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Politik

Orbáns Kampf gegen LGBTQI

Felix Schlagwein
21. Mai 2020

Mit einem neuen Gesetz schränkt die Orbán-Regierung die Rechte von Trans- und Intersexuellen ein. Es ist ein weiterer Schritt im Kampf gegen alles, was nicht in das Weltbild des ungarischen Premierministers passt.

Regenbogenfahne
Bild: Imago-Images/Panthermedia

Das Gesetz kam wenig überraschend. Bereits Ende März - mitten in der Corona-Krise - hatte Ungarns rechtsnationaler Premierminister Viktor Orbán angekündigt, die Möglichkeit zur Änderung des Geschlechts abzuschaffen. Am Dienstag verabschiedete seine Regierungskoalition das Gesetz mit ihrer Zweidrittelmehrheit im ungarischen Parlament. Es richtet sich gezielt gegen trans- und intersexuelle Menschen. Diese können nun das biologische Geschlecht, das nach der Geburt im Personenregister vermerkt wurde, nicht mehr ändern lassen. Die Zuweisung des Geschlechts wird laut dem neuen Gesetz "durch das primäre Geschlecht oder das Chromosom bestimmt" - für immer.

Proteste von Oppositionspolitikern, die auf die gravierenden Auswirkungen für die Betroffenen hinwiesen, wurden nicht beachtet. Bereits im April erklärte Imre Vejkey, Abgeordneter von Viktor Orbáns christlich-konservativem Koalitionspartner KDNP: "Die Meinung der Betroffenen spielt keine Rolle".

Dunja Mijatovic: "Schlag gegen die Menschenwürde von Transsexuellen"Bild: picture-alliance/dpa/Council of Europe/S. Weltin

Massive Kritik im In- und Ausland

Menschenrechtsorganisationen verurteilten das neue Gesetz scharf. David Víg, Direktor von Amnesty International Ungarn, sagte, die Entscheidung werfe "Ungarn zurück ins Mittelalter".

Tamás Dombos von der Háttér Gesellschaft, einer Organisation, die sich für LGBTQI-Rechte in Ungarn einsetzt, bezeichnete das Gesetz im Gespräch mit der DW als "extrem problematisch". Bei jeder Identitätsprüfung müssten Transsexuelle nun ihre Transsexualität offenbaren, so Dombos.

Auch international sorgte das Anti-Trans-Gesetz für massive Kritik. Die Kommissarin für Menschenrechte des Europarats, Dunja Mijatovic, bezeichnete das neue Gesetz als "Schlag gegen die Menschenwürde von Transsexuellen". Zudem widerspreche es der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Auch die Vereinten Nationen, die Europäische Union und LGBTQI-Organisationen weltweit verurteilten Ungarns Vorgehen. In den sozialen Medien starteten Gegner des Gesetzes eine Protestkampagne unter dem Hashtag #drop33. Darin warfen sie die nun beschlossene Änderung des Gesetzesartikels Nr. 33 symbolisch in den Müll.

Rechtliche Anfechtung wird Jahre dauern

Da das Gesetz weder mit der ungarischen Verfassung noch mit europäischen Menschenrechtsstandards vereinbar sei, werde man "mit allen Mitteln dagegen vorgehen", sagt Tamás Dombos gegenüber der DW. Háttér hat Präsident János Áder dazu aufgerufen, das Gesetz nicht zu unterzeichnen und dem Verfassungsgericht zur Prüfung vorzulegen. Sowohl Áder als auch die Verfassungsrichter sind allerdings Getreue von Premierminister Orbán und stellen sich in der Regel nicht gegen Gesetzesvorhaben der Regierung.

Eine weitere Option sei eine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, sagt Dombos. Zuversichtlich ist er jedoch nicht: "Eine endgültige Entscheidung wird Jahre dauern, egal ob in Ungarn oder Straßburg. Bis dahin haben Transsexuelle keine Chance auf rechtliche Anerkennung ihres Geschlechts, was sie Diskriminierung und möglicherweise sogar Gewalt aussetzt."

LGBTQI-Menschen passen nicht in Orbáns Weltbild

Tatsächlich hat sich der Ton der Machthaber in Budapest gegenüber LGBTQI-Menschen in den vergangenen Jahren verschärft. So verglich Parlamentspräsident László Kövér die Adoption von Kindern durch homosexuelle Paare mit Pädophilie. Wenig später forderte István Boldog, stellvertretender Vorsitzender der Fidesz-Fraktion im Parlament, den Budapest Pride abzuschaffen. Und der regierungsnahe Publizist Zsolt Bayer verkündete sogar stolz: "Ja, wir sind homophob."

LGBTQI-Menschen passen nicht in Orbáns WeltbildBild: picture-alliance/dpa/Z. Szigetvary

"Mit diesen Äußerungen will die Regierung ihre Wählerschaft ansprechen, weil sie gesehen haben, dass das in Polen gut funktioniert hat", sagt Tamás Dombos.

Wie auch in Polen passen in Ungarn LGBTQI-Menschen nicht ins christlich-konservative Weltbild der Regierung. Viktor Orbán hat mehrfach betont, dass Ungarn in seinen Augen ein illiberaler Staat ist, ein Staat also, in dem eben nicht jeder so leben können soll, wie er oder sie will.

Schon kurz nach Amtsantritt vor zehn Jahren ließ Orbán die Verfassung in seinem Sinne ändern. Dort heißt es seitdem: "Ungarn schützt die Institution der Ehe als Zusammenschluss zwischen Mann und Frau (...) und die Familie als Basis für das Überleben der Nation."

Für alles, was seinem Weltbild nicht entspricht, hat Orbán einen Kampfbegriff gefunden: "Gender". Der Begriff beschreibt die wissenschaftliche Anschauung, dass das Geschlecht eines Menschen nicht nur biologisch bestimmt ist, sondern auch von sozialen und kulturellen Einflüssen abhängt. Dieses Feld zu erforschen, hält die ungarische Regierung für nicht notwendig. Der Studiengang Geschlechterforschung ist verboten.

Zuletzt lehnte sie zudem die Ratifizierung der Istanbul-Konvention wegen deren "inakzeptablen Ansatz" zur Definition von Geschlecht ab. "Wir haben das Recht, unser Land, unsere Kultur, unsere Gesetze, Traditionen und nationalen Werte zu verteidigen. Die Gender-Anschauung, die von der Überzeugung der (Bevölkerungs-)Mehrheit abweicht, darf dies nicht gefährden", hieß es aus Budapest. Dabei soll die Konvention des Europarats lediglich einen europäischen Rechtsrahmen zum Schutz von Frauen vor Gewalt schaffen.

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