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PolitikEuropa

Ungarn: Orban empört mit "Nazi-Reden"

27. Juli 2022

Ungarns Premier äußert sich öffentlich gegen "Rassenvermischung". Eine seiner engsten Beraterinnen tritt deshalb zurück. Der Fall schlägt hohe Wellen in Ungarn und im Ausland.

 Viktor Orban
Ungarns Premier Viktor OrbanBild: Beata Zawrzel/ZUMA/picture alliance

Ungarns Premier Viktor Orban ist ein kühler und zielsicherer Provokateur. Er spaltet die öffentliche Meinung in seiner Heimat und im Ausland mit bewusst hässlichen Aussagen, beispielsweise zur Todesstrafe, zu Migranten, zu Roma oder zur Europäischen Union. Die anschließende Kontroverse ist meistens erwünscht und dient gut erkennbaren Zwecken, etwa der Ablenkung von anderen Themen.

Manchmal allerdings sind Aussagen Orbans so skandalös und schwerwiegend, dass sie eine Dynamik entwickeln, die er selbst nicht vorausgesehen haben mag. So geschah es nun im Fall einer Bemerkung, die Ungarns Premier in einer Rede im rumänischen Kurort Bad Tusnad am vergangenen Sonnabend machte. Dort hält er jedes Jahr während einer sogenannten Sommeruniversität eine meistens sehr polarisierende Rede, oft mit polemischen, aggressiven Untertönen.

Ungarns Premier Viktor Orban am 23.07.2022 bei der Sommeruniversität im rumänischen Bad TusnadBild: Szilard Koszticsak/dpa/MTI/AP/picture alliance

Dieses Mal fabulierte Orban unter anderem über "gemischtrassige Völker", die "Überflutung Europas" durch außereuropäische Einwanderer und einen angeblichen "Bevölkerungsaustausch" in Europa - ausnahmslos rechtsextreme Themen. Wörtlich sagte er: "Es gibt die Welt, in der sich die europäischen Völker mit den von außerhalb Europas Kommenden vermischen. Das ist die gemischtrassige Welt." Im Karpatenbecken jedoch lebten nur die dort heimischen Völker, so Orban. "Wir sind bereit, uns miteinander zu vermischen, aber wir wollen nicht gemischtrassig werden."

"Rassenhass-Diskurs"

Mit einiger Verzögerung hat diese Aussage nun in Ungarn zu einem mittelschweren politischen Erdbeben geführt, dessen Schockwellen womöglich weit nachwirken werden. Aus Protest gegen Orbans Aussagen zu "gemischten Rassen" trat seine langjährige Beraterin, die Soziologin Zsuzsa Hegedüs, zurück, die zugleich Sonderbeauftragte für gesellschaftliche Integration und Modernisierung und auch eine enge persönliche Freundin des Premiers ist. Sie nannte Orbans Worte "reine Nazi-Reden" und einen "ganz klaren Rassenhass-Diskurs", der "nicht nur diskriminierend, sondern völlig inakzeptabel" sei. Hegedüs ist Jüdin und die Tochter von Eltern, die den Holocaust in Ungarn nur knapp überlebt hatten.

Ungarische Regierungskampagne mit antisemitischen Untertönen gegen den US-Börsenmilliardär ungarisch-jüdischer Abstammung George SorosBild: Martin Fejer/est&ost/Joker/picture-alliance

Kurz vor Hegedüs' Rücktritt hatten in Ungarn bereits Vertreter jüdischer Gemeinden gegen Orbans Wortwahl protestiert. So etwa hatte der ungarische Großrabbiner Robert Frölich gesagt, es gebe auf der Erde "nur eine Art, die auf zwei Beinen laufe, arbeite, spreche und gelegentlich denke: den Homo sapiens. Das ist eine einzige und unteilbare Rasse". Das Internationale Auschwitz-Komitee nannte Orbans Aussagen "dumm und gefährlich"; sie erinnerten Holocaust-Überlebende "an die schlimmen Zeiten" ihrer Verfolgung.

"Zu viele haben geschwiegen"

Orbans Beraterin Zsuzsa Hegedüs hatte am Dienstag in einem persönlichen Brief an den Premier geschrieben, dass sie nach einer "solchen schändlichen Stellungnahme", die "meinen gesamten Grundwerten widerspricht", keine andere Wahl habe, als "öffentlich mit dir zu brechen". In einem Interview mit dem Fernsehsender RTL Klub sagte Hegedüs später, "auch Goebbels hätte sich eine solche Rede schreiben lassen können" und verglich Orbans Worte mit Aussagen Hitlers. Wegen solcher Aussagen sei es zum Zweiten Weltkrieg gekommen.

Ungarns Premier Viktor Orban auf einer Konferenz der Conservative Political Action Conference (CPAC) in Budapest am 19.05.2022Bild: Hungarian Prime Minister's Press Office/Zoltan Fischer/REUTERS

Orban antwortete Hegedüs in einem Brief: "Du kannst es doch nach zwanzig Jahren gemeinsamer Arbeit nicht ernst meinen, mich des Rassismus zu beschuldigen. Du weißt, dass nach meiner Ansicht der liebe Gott jeden Menschen nach seinem eigenen Antlitz geschaffen hat. Deshalb ist im Fall der wie ich Gearteten Rassismus ab ovo ausgeschlossen." Hegedüs schilderte daraufhin in einem weiteren, sehr persönlichen und emotionalen Brief an Orban das Überleben ihrer Eltern im Holocaust und schrieb, dass sie nicht länger schweigen könne, weil erst das "Schweigen zu vieler" die Schrecken der Nazis ermöglicht hätten.

Seltene Kritik, seltene Rücktritte

Der Rücktritt von Hegedüs ist präzedenzlos. Es ist das erste Mal überhaupt in den bisherigen fünf Amtszeiten Viktor Orbans als Regierungschef, dass ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin aus seinem engen Umfeld wegen seiner politischen Aussagen und unter öffentlichem Protest zurücktritt. Die Soziologin war zwar keine einflussreiche Person in Orbans Machtzirkel oder im Regierungsapparat. Allerdings zählte sie viele Jahre lang zu den wenigen persönlichen Freunden, denen Orban vertraute und deren Wort bei ihm manchmal Gewicht haben konnte.

Ungarischer Ex-EU-Kommissar und Europaminister Tibor NavracsicsBild: picture-alliance/dpa/O. Hoslet

Auch sonst gab es in Amts- und Oppositionszeiten von Orban nur höchst selten Fälle, in denen Weggefährten oder Freunde aus der Orban-Partei Fidesz sich kritisch äußerten oder zurücktraten. Zu ihnen zählt der Ex-EU-Kommissar und heutige ungarische Europaminister Tibor Navracsics, der sich bisweilen vorsichtig von polarisierenden Äußerungen Orbans abgrenzt und als einer der wenigen gemäßigten Fidesz-Politiker aus der alten Garde der 1990er Jahre gilt. 2012/13 sorgte der Rücktritt des Staatssekretärs Jozsef Angyan im damaligen Ministerium für ländliche Entwicklung für Aufregung - Angyan warf Orban vor, Bodenspekulanten und Mafia-Methoden in der ungarischen Landwirtschaft zu fördern. Im Jahr 2015 machte der Bruch des Oligarchen Lajos Simicska mit seinem Jugendfreund Orban Schlagzeilen - Simicska war eine Art langjährige graue Eminenz des Fidesz und ein wichtiger Partei-Finanzier gewesen.

"Ich möchte sprengen"

Hegedüs' Rücktritt unterscheidet sich jedoch von allen ähnlichen vorherigen Fällen dadurch, dass er in eine Zeit fällt, in der Ungarns Premier immer mehr durch ein Abdriften in offen rechtsextreme und rassistische Ideologie auffällt. In Mittelosteuropa grenzen sich immer mehr einstige Partner und Verbündete von Orban ab, einerseits wegen der allgemeinen antidemokratischen Entwicklung in Ungarn, andererseits jüngst auch wegen der Putin-freundlichen Haltung der ungarischen Regierung angesichts des Krieges gegen die Ukraine.

Ungarns Premier Viktor Orban und der russische Präsident Wladimir Putin am 1.02.2022 in MoskauBild: Sputnik via REUTERS

Auch in Ungarn selbst ist eine Reihe streng konservativer Intellektueller und Akademiker, die sich jedoch demokratischen und rechtsstaatlichen Werten verpflichtet fühlen, zunehmend unzufrieden mit Orban und seiner Partei. Ob sich aus diesem Kreis eine neue konservative politische Kraft formiert, ist ungewiss.

Zsuzsa Hegedüs kündigte jedenfalls an, dass sie es nicht bei ihrem Rücktritt belassen wolle. In ihrem Interview mit dem Fernsehsender RTL Klub kritisierte sie die schlechte soziale und wirtschaftliche Lage in Ungarn. Dass die EU dem Land Finanzmittel streichen wolle, solange sich die Rechtsstaatlichkeit nicht bessere, bezeichnete sie als "völlig richtig". Sie stellte in Aussicht, dass sie eine Initiative gegen Rassismus und Rassenhass starten wolle. "Ich möchte sprengen", sagte sie im Interview. "Ich muss etwas tun, um das zu stoppen."

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