Orbans Wahlgeschenke: Zwischen Zuckerbrot und Aushungern
Veröffentlicht 5. Dezember 2025Zuletzt aktualisiert 6. Dezember 2025
Was werfen ungarische Regierungspolitiker und Vertreter der Regierungspartei Fidesz ihm nicht alles vor: Peter Magyar, Oppositionsführer, Chef der Tisza-Partei und Favorit für die Parlamentswahl im Frühjahr 2026, ist angeblich Sklave und Söldner Brüssels. Agent der Ukraine und Kriegstreiber, der Ungarns wehrfähige Männer zwangsrekrutieren will. Ein korrupter Scharlatan, der Ungarn ruiniert, ein Frauenmisshandler und überhaupt ein Schwindler und Lügner.
Womöglich klingt all das zu absurd, um die ungarische Öffentlichkeit gegen Magyar aufzubringen. Fest steht: Trotz der seit mehr als einem Jahr laufenden Kampagne der Orban-Regierung und des Fidesz gegen den konservativen Oppositionsführer stieg dieser zum beliebtesten Politiker des Landes auf. Seine Partei Tisza erreichte bis vor kurzem in Umfragen immer neue Bestwerte.
Doch nun schwächt sich der Trend ab. Vier Monate vor der Wahl stagniert Magyars Tisza, während Viktor Orbans Partei Fidesz langsam aufholt. In einigen Umfragen ist der Vorsprung von Tisza von zehn auf fünf Prozent gesunken. Beobachter erklären das mit einem teilweisen Strategiewechsel in der Wahlkampagne Orbans. Ungarns Premier überhäuft die Bevölkerung des Landes seit einiger Zeit mit Geld-, Steuer- und Sozialversprechen. Ungarische Medienkommentatoren nennen es einen "Versprechens-Tsunami".
Doch Orban belässt es nicht bei Ankündigungen für den Fall seines Wahlsieges. Er macht vielmehr bereits jetzt kostspielige Wahlgeschenke, obwohl das ungarische Haushaltsdefizit steigt und aktuell rund fünf Prozent beträgt - bei stagnierendem Wirtschaftswachstum, sinkenden Steuereinnahmen und eingefrorenen EU-Fördermilliarden.
Beispielsweise tritt Anfang 2026 eine lebenslange Befreiung von der Einkommenssteuer für Mütter mit zwei Kindern in Kraft, zunächst für solche unter 40 Jahren, später auch für ältere Mütter. Rentner wiederum erhalten im Februar 2026 nicht nur eine 13., sondern sogar eine 14. Monatsrente - nur knapp acht Wochen vor der Wahl. Einige weitere Steuervergünstigungen für Familien sowie Beihilfen für Rentner traten bereits in Kraft.
Langfristige Verschuldung
Viktor Orban hat für diese Politik eine griffige Formulierung geprägt: "Von uns profitieren auch die, die nicht für uns stimmen." Bemerkenswert dabei: Während Orban das Land mit seinen Wahlkampfgeschenken langfristig verschuldet, klagt er den Rest der EU-Staaten regelmäßig an, durch die Unterstützung der Ukraine das Geld zukünftiger Generationen zu verschleudern.
Orbans "Versprechens-Tsunami" geht einher mit einer neuen Negativkampagne und weiteren absurden Vorwürfen gegen Peter Magyar. Wenn er die Wahl gewinne und Tisza an die Regierung käme, würde der Lebensstandard der Ungarn massiv einbrechen. Denn sie würden dann zur Kasse gebeten, um den Krieg in der Ukraine zu finanzieren. Außerdem würde Magyar beispielsweise eine hohe Hunde- und Katzensteuer erheben lassen.
Rentner sind wichtigste Orban-Wähler
Der Politologe Zoltan Pogatsa sagt im Gespräch mit DW Ungarisch, dass Orbans Fidesz sich Tisza in Umfragen wohl deshalb angenähert habe, weil die jüngste Kampagne des Regierungslagers besonders bei unentschiedenen Wählern wirke. "Sie haben Angst, dass ihr Lebensstandard sinkt", so Pogatsa. Ähnlich sieht es auch der Politologe Andras Biro-Nagy vom Institut Policy Solutions. Der Fidesz wolle den gefühlten Preis eines Regierungswechsels bei den unentschiedenen Wählern gewissermaßen in die Höhe treiben, sagte er dem Portal Telex.
Der Wahlexperte Matyas Bodi sagt im Gespräch mit DW Ungarisch, dass besonders die Wahlgeschenke an die Rentner wichtig seien für Fidesz. "Das ist die wichtigste Wählerschicht der Partei. Falls die wegbricht, hat Fidesz ein ernstes Problem. Deshalb versucht man, die Renten an das Reallohnniveau anzugleichen, deshalb die 14. Monatsrente, die einer Rentenerhöhung von sieben bis acht Prozent entspricht."
Dass von der Orban-Politik auch die Nicht-Fidesz-Wähler profitieren, ist freilich eine Halbwahrheit, die verschleiert, dass im autokratischen System des ungarischen Regierungschefs Loyalität belohnt und Opposition, Unabhängigkeit oder abweichendes Denken bestraft wird - auch finanziell.
Starke Zentralisierung
Ein Hebel dabei ist, dass die einst starke Selbstverwaltung ungarischer Gemeinden und Städte seit Orbans Machtantritt 2010 Stück für Stück beschnitten und zugunsten einer starken Zentralisierung geändert wurde. Damit kann die Regierung auch sehr kleinteilig über Mittelvergabe entscheiden. Empirische Auswertungen von Wissenschaftlern zeigen, dass Fidesz-geführte oder Orban-nahe Orte deutlich mehr finanzielle Förderung erhalten und oppositionelle Gemeinden und Städte mit willkürlichen Maßnahmen teils regelrecht "ausgehungert" werden.
Ein besonders krasses Beispiel dafür war der Fall der Kleinstadt Göd, der 2020 sogar internationale Schlagzeilen machte. Dort hatte Fidesz im Oktober 2019 die Wahl verloren. Im Frühjahr 2020 enteignete die Regierung mit Bestimmungen aus einem Pandemie-Sondergesetz Teile eines Gewerbegebietes in Göd, wodurch die Stadt einen großen Teil ihrer Steuereinnahmen verlor.
Budapest vor der Pleite
Aktuell macht diese Politik in Ungarns Hauptstadt Budapest Schlagzeilen. Dort amtiert seit 2019 der links-grüne Oberbürgermeister Gergely Karacsony. Seitdem lässt die Orban-Regierung nichts unversucht, um die Hauptstadt finanziell in den Ruin zu treiben - teils durch einen so genannten "Solidaritätsbeitrag", durch den Budapest unverhältnismäßig große Summen an den Staatshaushalt überweisen muss, teils durch trickreiche Mittelkürzungen, teils dadurch, dass sie Mittel nicht auszahlt, die Budapest gesetzlich zustehen.
Ungarns Premier Orban scheint dabei einen regelrechten persönlichen Rachefeldzug gegen Budapest zu führen - so hat es den Anschein, wenn man ihn in abfälliger Weise über die Hauptstadt und deren Führung sprechen hört.
Inzwischen steht Budapest, das in den vergangenen Jahren gezwungen war, seine gesamten finanziellen Reserven aufzubrauchen, vor der Pleite. In der vergangenen Woche spazierte der Oberbürgermeister Karacsony persönlich zum Karmeliterkloster im Budapester Burgviertel, dem Amtssitz Viktor Orbans, um dem Premier einen Brief zu übergeben, in dem er um Klärung und Hilfe bat. Orban sandte allerdings lediglich eine Sekretärin vor die Tür, die das Schriftstück entgegennahm. Danach blieb es still. Zu Anfang dieser Woche marschierte Karacsony nochmals mit einigen hundert Mitarbeitern und Unterstützern zu Orbans Amtssitz - wieder ohne irgendetwas zu erreichen.
Es ist unklar, wie weit die Blockade- und Boykottpolitik der Regierung gegenüber Budapest noch geht. In anderen Fällen scheint Viktor Orban es für sinnvoller zu erachten, Städten und Gemeinden unbürokratisch zu helfen. So erließ Ungarns Premier Mitte November Dekrete, in denen er insgesamt 70 Orten schnelle finanzielle Hilfe bei Investitionsvorhaben genehmigte. Das Portal 444 fand heraus, dass es ausgerechnet jene Kleinstädte und Gemeinden waren, in denen der Oppositionsführer Peter Magyar kurz zuvor bei Wahlkampfveranstaltungen aufgetreten war.