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Politik

Ungarn protestiert gegen das "Sklavengesetz"

17. Dezember 2018

Ungarn erlebt die größten Proteste der letzten Jahre. Auslöser ist ein arbeitnehmerfeindliches Gesetz. Doch den Demonstranten geht es um weit mehr. Die Orbán-Regierung hingegen wittert wieder ein Komplott.

Ungarn Proteste gegen das "Sklavengesetzt" in Budapest
Bild: Reuters/L. Foeger

Es ist eine Protestwelle, wie sie Ungarn lange nicht mehr erlebt hat: Seit Tagen demonstrieren tausende Ungarn gegen die Sozialpolitik der Orbán-Regierung und gegen die antidemokratische Umgestaltung ihres Landes. Dabei ging die Polizei in den vergangenen Tagen teilweise mit großer Brutalität und massiven Tränengaseinsätzen gegen Demonstranten vor, nachdem es zuvor nur vereinzelte Rangeleien mit Einsatzkräften gegeben hatte. Dutzende Menschen, zum Teil auch Unbeteiligte, wurden verhaftet - viele erst nach zwölf Stunden oder mehr wieder freigelassen.

Am Sonntag verlief eine Großkundgebung, zu der neben Oppositionsparteien auch ungarische Gewerkschaften aufgerufen hatten, zunächst friedlich. Doch am späten Sonntagabend ging die Polizei wieder mit Tränengas gegen Demonstranten vor, als diese das Gebäude des öffentlichen Rundfunks belagerten. Eine Gruppe von Parlamentsabgeordneten, die freien Zutritt zum Rundfunkgebäude haben, forderte in der Nacht zum Montag vergeblich, in der Nachrichtensendung live eine Petition verlesen zu dürfen. Sie setzten ihre Protestaktion im Rundfunkgebäude am Montag fort. Ein demonstrierender Abgeordneter wurde allerdings gewaltsam aus dem Gebäude geworfen, obwohl das nach geltendem Recht, unter anderem wegen der parlamentarischen Immunität, unzulässig ist.

Bild: Reuters/B. Szabo

Arbeitnehmer weiter entrechtet

Auslöser der Protestwelle ist eine in der Öffentlichkeit inzwischen als "Sklavengesetz" bekannte Novelle des Arbeitsrechts, die vergangene Woche im Parlament verabschiedet worden war. Das Gesetz erhöht die jährlich mögliche Überstundenzahl von Arbeitnehmern von 250 auf 400. Gleichzeitig dürfen Arbeitgeber sich mit der Ausbezahlung der Überstunden drei Jahre statt wie bisher ein Jahr Zeit lassen. Die Gesetzesänderung war gegen den massiven Protest von Gewerkschaften, Opposition und Zivilorganisationen verabschiedet worden. Bei der Abstimmung kam es zu Tumulten, weil die Opposition das Podium des Parlamentspräsidenten besetzt hatte.

Zwar hatten Viktor Orbán und seine Regierung das Arbeits- und Steuerrecht schon vor Jahren stark zugunsten von Unternehmen reformiert - so etwa ist das Streikrecht stark eingeschränkt, und Unternehmen zahlen in Ungarn so niedrige Steuern wie sonst nirgendwo in der EU - Proteste dagegen gab es aber kaum. Die Gewerkschaften sind schwach und politisch zersplittert. Die meisten Oppositionsparteien beschäftigen sich mit sozialpolitischen Themen nur am Rande, Nicht-Regierungsorganisationen konzentrierten sich in den vergangenen Jahren überwiegend auf das Thema der Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit.

Frustration mit der Lage im Land

Doch in dem "Sklavengesetz" scheint sich nun der Unmut eines Teils der ungarischen Öffentlichkeit zu bündeln. Denn tatsächlich wälzt es große soziale Probleme, die Orbáns System erst geschaffen hat, in einer Weise auf Arbeitnehmer ab, die viele als unverschämt und demütigend empfinden: In Ungarn herrscht massiver Arbeitskräftemangel, bedingt durch die starke Abwanderung, die wiederum zum großen Teil eine Folge der Frustration vieler Ungarn mit Orbáns Politik ist.

Auch im Parlament wurde gegen das neue Arbeitsgesetz protestiertBild: picture-alliance/AP/L. Soos

In den letzten acht Jahren sind rund 600.000 zumeist gut ausgebildete Bürger aus Ungarn abgewandert, weil ein erdrückendes politisches Klima herrscht, Bildungs- und Gesundheitswesen zum Teil äußert schlecht organisiert und unterfinanziert sind und private Unternehmen in großem Maß von der Gunst der Regierung abhängig sind. Den massiven Arbeitskräftemangel will die Regierung nun offenbar schlicht mit der Erhöhung der zulässigen Überstunden bekämpfen.

Mehr als nur "Sklavengesetz"

Doch es geht bei den Protesten um mehr als nur um das "Sklavengesetz". Zugleich wurde damit auch ein Gesetz über die Gründung einer neuen Verwaltungsgerichtsbarkeit verabschiedet. Sie ist ein neuer Zweig des Gerichtswesens, der - anders als die jetzigen Gerichte - weitgehend unter Kontrolle des Justizministeriums steht. Für die Regierung wichtige oder heikle Fälle sollen bei Bedarf an die neuen Verwaltungsgerichte gegeben werden können, womit die Unabhängigkeit der Justiz im Land weiter ausgehöhlt wird.

Auch über andere Gesetze scheint sich in der letzten Zeit Unmut in der Öffentlichkeit angehäuft zu haben. So wurde im September Obdachlosigkeit in Ungarn quasi verboten, der so genannte "lebensführende" Aufenthalt im öffentlichen Raum ist untersagt. Es ist eine sehr weit gefasste Bestimmung, mit der Obdachlose in Wohnheime gezwungen werden sollen. Umfragen in Ungarn ergaben, dass viele Menschen im Land ein derartiges Vorgehen gegen Obdachlose nicht gutheißen.

Victor Orbán (links) hat Nicola Gruevski Asyl gewährtBild: picture-alliance/dpa/epa/L. Soos Hungary

Ebenso für Unmut sorgte, dass der ehemalige mazedonische Premier Nikola Gruevski, der wegen Korruption rechtskräftig zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, in Ungarn im Eilverfahren Asyl erhielt und nun gerne in Luxusrestaurants speist, wie unabhängige Medien aufdeckten. Einer neuen Umfrage zufolge hält eine Mehrheit der Ungarn auch insgesamt Korruption im Land für ein größeres Problem als die Gefahr durch Migration, die Orbán und seine Regierung immer wieder heraufbeschwören.

Wie lange die Proteste noch anhalten werden, ist unklar. Oppositionsparteien haben jedenfalls auch für die kommenden Tage zu Protestkundgebungen aufgerufen. Die Orbán-Regierung antwortete auf ihre Weise: Sie seien vom US-Börsenmilliardär George Soros und den hinter ihm stehenden Kräften wie auch von Leuten initiiert, die Ungarn mit Migranten überschwemmen wollten, hieß es. Außerdem würden Provokateure und ausländische Straftäter an den Protesten teilnehmen. Das Ziel: Ungarn solle im Ausland herabgewürdigt werden.

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