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Ungarn: Protz und Infrastruktur-Chaos bedrohen Orbans Macht

12. Juni 2025

Ungarns Öffentlichkeit ist zunehmend empört über das Luxusleben im Umfeld Viktor Orbans und das Infrastruktur-Chaos im Land. Der Premier reagiert darauf mit hysterischer Propaganda. Rettet das seine Macht?

Porträtaufnahme eines Mannes, des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban, der in die Kamera schaut und spöttisch den Mund verzieht
Ungarns Regierungschef Viktor Orban (hier auf einer Aufnahme vom 16.05.2025) bekommt immer mehr GegenwindBild: Leon Neal/Getty Images

In dem Video hält Ungarns Premierminister Viktor Orban ein Smartphone in der Hand und zeigt auf eine Kurzmitteilung mit einem Link. "So machen das die ukrainischen Cyber-Betrüger", sagt er. "Du drückst da drauf, und schon ist deine Kohle futsch."

Es ist eines der aktuellen antiukrainischen Facebook- und TikTok-Videos von Viktor Orban. Er warnt darin ohne jegliche Belege vor vermeintlichen ukrainischen Kriminellen, die den Ungarn angeblich ihr Geld stehlen würden, wenn man auf einen Link in einer SMS drücke.

Unter dem Video von Orban finden sich sowohl auf Facebook als auch auf TikTok jeweils hunderte spöttische oder wütende Kommentare. "Bei euch läuft der Betrug sogar ohne Klicken", schreiben viele an Orban gerichtet. "Hier noch einige Saison-Ideen", schlägt jemand vor: "Im Sommer greift UV-Strahlung ukrainischen Ursprungs an, im Winter erschwert ein Schneesturm aus der Ukraine den Verkehr." Manche beschweren sich über die hohe Inflation und den schlechten Zustand des Gesundheitswesens. Immer wieder tauchen auch die Buchstaben MNB und eine Zahl auf: 500 Milliarden. Dazu Wut-Emojis.

Gigantischer Bankraub

500 Milliarden Ungarische Forint, umgerechnet etwa 1,25 Milliarden Euro - um diese gewaltige Summe geht es in einer der größten staatlichen Korruptions- und Betrugsaffären in Ungarn, seit Viktor Orban 2010 mit Zwei-Drittel-Mehrheit an die Macht kam. Das Geld ist aus dem Vermögen der Ungarischen Nationalbank MNB verschwunden - etwas verkürzt könnte man auch von einem gigantischen Bankraub sprechen. Die beiden Hauptakteure dabei sind der ehemalige MNB-Präsident György Matolcsy, der bis März 2025 im Amt war, und sein Sohn Adam. Letzterer führt seit Jahren ein ausschweifendes Luxusleben.

Unzufriedene Bürger gehen in Ungarn gegen die Regierung auf die Straße - hier ein Protest gegen die Einschränkung der Versammlungsfreiheit am 1.04.2025Bild: Attila Kisbenedek/AFP/Getty Images

Das ganze Ausmaß der Affäre kommt seit März 2025 immer mehr ans Licht und scheint sich zu einem der Kipppunkte der Orban-Ordnung zu entwickeln. In den Augen vieler Ungarn spiegelt die Affäre gebündelt die ganze Verdorbenheit und Unmoral des Orban-Systems: Es geht um öffentliche Gelder, deren Verschwinden jahrelang keine Behörde untersuchte, um schamlose Vetternwirtschaft und offene Interessenkonflikte. Und um das unverdiente Luxusleben der Kinder von Orban-Vertrauten - während viele Ungarn sich ökonomisch gerade so durchschlagen. Der öffentliche Unmut über dieses Luxusleben der herrschenden Elite ist riesig.

"Playboys der Orban-Ordnung"

Die verschwundenen Milliarden flossen zunächst in Stiftungen, die der ehemalige MNB-Präsident Matolcsy gegründet hatte, nachdem er im März 2013 sein Amt antrat. Danach verschwanden sie in einem Netzwerk von ineinander verschachtelten Firmen, die seinem neundreißigjährigen Sohn Adam und einigen von dessen Freunden gehörten oder von diesen gemanagt wurden. Mit den Geldern wurden dubiose Immobilien- und Aktiengeschäfte getätigt. Ein Großteil ging angeblich durch Wertverluste und fallende Kurse verloren.

Der frühere Wirtschaftsminister und Nationalbankchef György Matolcsy, hier auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2013Bild: Tamas Kovacs/AP Photo/picture alliance

Unbetroffen davon nahm der Reichtum der Clique zu. Adam Matolcsy, der ein Wirtschaftsstudium in Budapest abbrach, besitzt Luxusautos, Luxusuhren und Luxuswohnungen in Budapest und Dubai und reist im Privatjet durch die Welt, ausgestattet mit einem ungarischen Diplomatenpass. "Playboys der Orban-Ordnung" nennt Ungarns Öffentlichkeit solche Sprösslinge von Parteifreunden, Vertrauten oder Oligarchen des ungarischen Premiers.

Ermittlungen des Rechnungshofs

Vater Matolcsy war als Wirtschaftsminister und Nationalbankchef einer der Architekten von Orbans "unorthodoxer" Wirtschaftspolitik. In den vergangenen Jahren fiel er beim Budapester Autokraten in Ungnade, weil er Kritik an einigen ökonomischen Maßnahmen der Orban-Regierung äußerte. Seit sein MNB-Mandat im März 2025 auslief, ermittelt der Ungarische Rechnungshof (ASZ) wegen der verschwundenen Milliarden.

Der ASZ steht unter Orbans Kontrolle und ermittelt nicht gegen loyale Gefolgsleute des Regierungschefs. Doch wenn selbst der Rechnungshof davon spricht, dass 500 Milliarden Forint verschwunden seien, liest sich das wie ein amtliches Eingeständnis, dass manche Fidesz-Parteigranden und Orban-Oligarchen sich dreist und illegal bereichern. Dass sie außerdem noch mit ihrem Luxus protzen, löst besonders große Empörung aus.

Keine Einzelfälle

Auch weil es nicht um ein paar Einzelfälle geht. Da ist beispielsweise Orbans Schulfreund Lörinc Meszaros, ehemals Gasanlagen-Monteur in Felcsut, dem kleinen Heimatdorf des Premiers, heute Multimilliardär und reichster Ungar. Er wird mitunter als "Orbans Portemonnaie" oder "Orbans Strohmann" bezeichnet und ist dafür bekannt, dass er oft und gern in Luxus-Privatjets reist.

Da sind auch Orbans Parteifreunde wie beispielsweise Antal Rogan, der Kanzleiminister des Regierungschefs, der vor Jahren Schlagzeilen machte, als er und seine damalige Ehefrau sich im Helikopter zu einer Luxushochzeit fliegen ließen. An Rogan blieb das Etikett "Luxus-Toni" hängen, auch weil er und seine damalige ebenso wie seine heutige Ehefrau immer wieder mit Luxus-Outfits auffielen, von denen manche das Mehrfache eines ungarischen Jahresdurchschnittsverdienstes kosten.

Das Haus von Ungarns Regierungschef Viktor Orban im Dorf FelcsutBild: AFP/Getty Images

Und da ist vor allem Viktor Orban selbst. Auf dem Papier besitzt er keine Ersparnisse und ist nur Miteigentümer eines Wohnhauses in Budapest sowie eines Bauernhauses in seinem Heimatdorf Felcsut. Umso vermögender die Familie Orban: Vater Orban hat unweit vom Heimatdorf ein altes herzögliches Anwesen zu einem riesigen Privatsitz der Orban-Familie umbauen lassen. Der Schwiegersohn des Premiers, Istvan Tiborcz, ist Entwickler von Luxus-Immobilien und gehört ebenfalls zu den reichsten Ungarn. Viktor Orban selbst behauptet jedoch immer wieder, er habe "mit Geschäftsangelegenheiten nichts zu tun".

Schädlich für das Image der Regierungspartei

Die Empörung über die Luxus-Protzerei paart sich mit Wut über den schlechten Zustand der öffentlichen Infrastruktur. Am vergangenen Samstag (7.06.2025) beispielsweise brach der Zugverkehr von Budapest zum Balaton-See zeitweise wegen eines Schrankenfehlers zusammen. Es war eine von vielen chaotischen Situationen im ungarischen Eisenbahnverkehr - in der sich viele Ungarn daran erinnerten, was generell schlecht läuft im Land: etwa, dass viele Krankenhäuser oder Schulen in einem erbärmlichen Zustand sind.

Orbans Schwiegersohn und Nachwuchs-Oligarch Istvan TiborczBild: Daniel Nemeth/EST&OST/IMAGO

Der Kontrast zwischen den auseinanderklaffenden Lebensrealitäten der Orban-Elite und der breiten Bevölkerung führt auch in der Regierungspartei Fidesz erstmals seit vielen Jahren zu kritischen Debatten. Tibor Navracsics beispielsweise, ein alter Weggefährte Orbans, derzeit Verwaltungs- und Entwicklungsminister, sagte im Video-Podcast des Journalisten Szabolcs Dull, das Luxusleben der Orban-Elite sei schädlich für das Image der Partei.

Er ist nicht die einzig kritische Stimme im Fidesz. Orban selbst reagiert, indem er seiner antiukrainischen Kampagne der vergangenen Wochen immer absurdere Lügen hinzufügt. Die neueste besagt, der ukrainische Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj dränge die Europäische Union dazu, die Energiepreise in Ungarn zu erhöhen. Zwar hat Brüssel gar nicht die Befugnis dazu. Dennoch legt Orban in einem Facebook-Video Selenskyj Worte in den Mund, die dieser nie gesagt hat: "Der ukrainische Präsident spricht davon, dass er den Ungarn das Geld aus der Tasche ziehen will, damit er seinen Krieg erfolgreicher weiterführen kann."