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Politik

Ungarn: Orbáns Betonklotz im Vogelparadies

Stephan Ozsváth
14. Mai 2021

Am Neusiedler See entsteht Ungarns größtes Tourismusprojekt. Hausbesitzer wurden dafür vertrieben, Umweltschützer protestieren, der UNESCO-Welterbe-Titel ist gefährdet. Doch ein Orbán-Freund profitiert.

Fertörakos Gefährlicher Abschnitt Straße
Eingang zum Nationalpark "Fertő-Hanság" auf der ungarischen Seite des Neusiedler Sees. Ein neues Schild warnt: "Gefährlicher Straßenabschnitt - Erhöhter LKW-Verkehr"Bild: Stephan Ozsváth

Die Strandstraße im ungarischen Grenzort Fertőrákos führt direkt zum Ufer des Neusiedler Sees. Der schilfgesäumte Steppensee ist ein Paradies für Vogelkundler und zählt zum UNESCO-Weltkulturerbe. An der Strandstraße weisen Schilder auf den "Naturpark" hin. Nun aber warnt eine neue Tafel auch vor starkem LKW-Verkehr.

"Alle fünf Minuten fährt ein Auto vorbei", erzählt eine Anwohnerin, die mit einem ehemaligen Grenzschützer verheiratet ist, der DW. "Wer damals Papiere hatte, konnte zum Strand. Heute geht das nicht mehr", empört sie sich und zeigt in Richtung Strand. Die Zufahrt bewacht ein Sicherheitsmann. "Da ist Schluss."

Schuld daran ist ein Tourismusprojekt der Regierung von Viktor Orbán - das größte Ungarns. Am Strand von Fertőrákos entstehen für umgerechnet 75 Millionen Euro ein 100-Betten-Hotel, eine Marina für 800 Boote, Sportplätze und Restaurants. Die Regierung hat es zur Chefsache erklärt, das Büro des Ministerpräsidenten Viktor Orbán selbst ist zuständig. Ráhel Orbán, die Tochter des Premiers, soll hinter dem Projekt stehen, erzählt man sich in Fertőrákos - beim Segeln soll sich die diplomierte Tourismus- und Gastgewerbe-Fachfrau in den See verliebt haben.

Pfahlbauten müssen verschwinden

Franz Meisel kramt eine Luftaufnahme hervor, auf der eine Reihe schilfgedeckter Pfahlbauten zu sehen ist. "Mein Haus ist das sechste von vorn", sagt der pensionierte Geografie- und Geschichtslehrer und deutet auf eine verkohlte Ruine am See. "Am 28. Juni 2017 kam es zu einem Brand", erzählt der Wiener der DW. "Da hat jemand mit einem Winkelschleifer Metallgegenstände geschnitten", erinnert sich der Hausbesitzer. "Es kam zum Funkenflug." Die Hälfte der 21 Häuser brannte ab, die Polizei ermittelte wegen Brandstiftung.

Der pensionierte Lehrer Franz Meisel musste sein Pfahlhaus am See abreißen lassenBild: Stephan Ozsváth

"Ich wollte sofort wieder aufbauen, habe auch die Genehmigung dazu bekommen", erzählt der Wiener. Er trieb sechzig Stützen in den Seegrund. Doch dann widmete der Gemeinderat der Kreisstadt Sopron die staatlichen Flächen um. Baustopp. Im neuen Bebauungsplan tauchten die Pfahlbauten nicht mehr auf. "Es gab vierzehn Tage Einsichtnahme", berichtet Franz Meisel. "Genau in diesen Tagen zog das Büro in Sopron von einer Straße in die andere um."

UNESCO-Welterbe in Gefahr

Anfang dieses Jahres bekamen Franz Meisel und die anderen Pfahlhausbesitzer amtliche Post: Bis Ende April müssten die Häuser auf eigene Kosten abgerissen sein. "An die 30.000 Euro" hat Franz Meisel dafür einer österreichischen Firma bezahlt. "Die war billiger als eine aus Ungarn", erzählt Meisel der DW. Viele der örtlichen Baufirmen seien Subunternehmer des Orbán-Freundes Lőrinc Mészáros, sagt Meisel. "Ein Bauinteresse des Orbán-Clans" stecke wohl hinter dem Tourismusprojekt, mutmaßt der pensionierte Lehrer.

Im Wiener Arbeiterbezirk Ottakring hat Christian Schuhböck sein Büro. Der Generalsekretär der Nichtregierungsorganisation "Alliance for Nature" kämpft für den Erhalt des UNESCO-Welterbetitels und gegen die Bausünden an beiden Ufern des Neusiedler Sees. "Mittlerweile ist einfach der Bogen überspannt worden", schimpft er. Ungarn und Österreich müssten international an den Pranger gestellt werden, "weil sie mit ihrem Welterbe so sorglos umgehen".

Christian Schuhböck von der Umweltorganisation "Alliance for Nature"Bild: Stephan Ozsváth

8000 Autos pro Tag

Der ungarische Regierungssprecher Zoltán Kovács richtet auf DW-Nachfrage per E-Mail aus, gegen das 60 Hektar große Tourismusprojekt habe es von den UNESCO-Welterbe-Büros in beiden Ländern keine Einwände gegeben, alle Umweltgenehmigungen seien erteilt worden. Umweltschützer wie Christian Schuhböck bestreiten das. "Das Schilf wird weggenommen und die Brutplätze werden dadurch beeinträchtigt", sagt er. Da gerade eine Schnellstraße zwischen Fertőrákos und Sopron gebaut wird, rechnet er in der Hauptsaison "mit einer massiven Verkehrsbelastung von rund 8000 Autos pro Tag". Fertőrákos würde zum Touristenmagnet in beiden Ländern, obwohl der Wasserspiegel des Steppensees sinkt, da ihn nur Regen speist.

Der in Fertőrákos geplante Hotelklotz erfülle wohl kaum die UNESCO-Schutzkriterien, heißt es aus dem zuständigen Welterbe-Büro in Eisenstadt. Mehr als 30 Umweltgruppen protestieren gegen das größte Tourismusprojekt der Regierung Orbán.

Hauptsache Bauen?

"Das Bauen an sich scheint das Ziel zu sein", mutmaßt Gyula Major vom ungarischen Verein "Freunde des Neusiedler Sees". Schon jetzt seien die Hotels in Sopron nicht ausgelastet. Als weiteren Beleg für seine Vermutung führt der Umweltschützer die überall in Ungarn gebauten neuen Stadien an, die leer bleiben, und die EU-finanzierte Kleinbahn in Orbáns Heimatdorf Felcsút, mit der kaum jemand fährt. "Aber immer bekommt der gleiche Investorenkreis Geld", so Major zur DW.

Gyula Major vom ungarischen Umweltschutzverein "Freunde des Neusiedler Sees"Bild: Stephan Ozsváth

Orbáns Jugendfreund Lőrinc Mészáros etwa, einst kleiner Gasinstallateur, dann Bürgermeister in Orbáns Heimatdorf, mittlerweile Milliardär und reichster Geschäftsmann in Ungarn. "Wenn der Staat investiert - ob aus eigenen Mitteln oder mit EU-Mitteln - gibt er dem Hauptunternehmer Geld", erklärt die Investigativjournalistin Blanka Zöldi das Prinzip. "Der gibt das Geld weiter an Subunternehmer. Die wiederum bezahlen die Transportunternehmer für das Baumaterial."

Orbáns Freund - wieder dabei

Die Subunternehmer sind in den Verträgen nicht sofort sichtbar. Erst nach jahrelanger Wühlarbeit durch Tausende Akten stießen Blanka Zöldi und ihre Kollegen vom Investigativportal Direkt36.hu auf Orbáns Vater Győző. Dessen Firmen Dolomit und Nehéz Kő "versorgen große staatliche Bauprojekte mit Baumaterial", berichtet Blanka Zöldi der DW, "wir fanden sie beim Straßenbau, Eisenbahnbau, Kanal- oder Rekultivierungsarbeiten". Ob Mitglieder der Familie Orbán auch am Tourismusprojekt in Fertőrákos beteiligt sind, wollten auf Nachfrage weder das Soproner Projektbüro noch die Budapester Regierungspressestelle beantworten. Einer ist aber schon da: Laut Ausschreibungsunterlagen hat den Zuschlag für das Tourismusprojekt niemand anders als der Orbán-Freund Lőrinc Mészáros bekommen.