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Ungarn und Moldauer retten Rumäniens Demokratie

23. Mai 2025

Ohne die Stimmen der ethnischen Ungarn Rumäniens und der moldauischen Doppelstaatsbürger hätte Nicusor Dan die Präsidentschaftswahl wohl verloren. Die beiden Gruppen spielen eine wichtige Rolle im Land - und für Europa.

Männer und Frauen feiern mit rumänischen und EU-Fahnen in der Nacht auf einer Straße in Bukarest. Sie machen das Siegeszeichen und lachen begeistert
Anhänger des Präsidentschaftskandidaten Nicusor Dan feiern in der Wahlnacht zum 19.05.2025 den WahlausgangBild: Andreea Alexandru/AP Photo/picture alliance

Die wichtigste Nachricht geht sofort um die Welt: Der rechtsextreme Kandidat verliert, Rumäniens Demokratie überlebt. Der Bukarester Bürgermeister und liberale Proeuropäer Nicusor Dan gewinnt die zweite Runde der Präsidentschaftswahl und wird neues Staatsoberhaupt des südosteuropäischen Landes. Es ist Sonntag, der 18.05.2025, kurz vor Mitternacht.

Die zweitwichtigste Nachricht des Abends entlockt vielen rumänischen Beobachtern zwar erstaunte Kommentare. Aber sie geht international unter: Rumäniens ethnische Ungarn und die Doppelstaatsbürger der Republik Moldau haben in Rekordzahl für Nicusor Dan gestimmt und damit zu seinem Sieg entscheidend beigetragen. Sehr vorsichtig geschätzt erhielt Dan von ihnen mehr als 500.000, wahrscheinlich aber sogar mehr als 700.000 Stimmen - also fast die Anzahl seines Vorsprungs von 830.000 Stimmen. Mit anderen Worten: Ohne die Stimmen der Ungarn und Moldauer hätte Dan wahrscheinlich verloren.

Der parteilose Kandidat Nicusor Dan wird am Wahlabend von seinen Anhängern gefeiertBild: Cristian Ștefănescu/DW

Ethnische Ungarn in Rumänien? Moldauer mit rumänischer Staatsbürgerschaft? Für alle, die mit Rumänien nicht vertraut sind, klingt es nach einem randständigen Expertenthema. Wohl auch deshalb erhielt es am Wahlabend international keine Aufmerksamkeit. Tatsächlich aber spielen beide Gruppen in der rumänischen Innenpolitik und auch in Europa eine wichtige Rolle.

Orban für antiungarischen Rechtsextremen

Rumäniens ethnische Ungarn sind seit der Aufteilung Österreich-Ungarns nach dem Ersten Weltkrieg, als unter anderem Siebenbürgen an Rumänien fiel, eine nationale Minderheit. Derzeit zählt sie rund eine Million Personen und macht etwa 5,5 Prozent der Bevölkerung Rumäniens aus. Die meisten der rumänischen Ungarn sind Sympathisanten Viktor Orbans, des autokratischen Ministerpräsidenten im Nachbarland Ungarn. Orban hatte sich eine Woche vor der zweiten Wahlrunde für den Rechtsextremisten George Simion ausgesprochen - obwohl dieser eine explizit antiungarische Einstellung hat und in früheren Jahren Schlagzeilen mit gewalttätigen Aktionen gegen die ungarische Minderheit machte.

Orban tritt zwar als Schutzpatron aller Auslandsungarn auf, aber die Empfehlung für den Anti-Ungarn Simion war aus seiner Perspektive logisch und vorrangig, denn ein rumänischer Präsident Simion hätte das so genannte souveränistische, also das autokratische, prorussische und Anti-EU-Lager in Europa gestärkt. Für die Ungarn in Rumänien aber war Orbans Option absurd - sie hätten damit für einen zutiefst minderheitenfeindlichen Politiker und letztlich gegen sich selbst gestimmt. Deshalb folgten sie dem ungarischen Premier nicht.

Sagenhaftes Ergebnis für Nicusor Dan

Das zeichnete sich bereits in der Wahlnacht am vergangenen Sonntag ab, als die Zentrale Wahlkommission Rumäniens (BEC) die Zahlen zu den einzelnen Landkreisen veröffentlichte. Nicusor Dan kam auf 53,6 Prozent und erreichte rund 830.000 Stimmen mehr als sein rechtsextremer Rivale George Simion. Teils massiv für Dan stimmten unter anderem alle Landkreise, in denen ethnische Ungarn in größerer Anzahl leben.

Wahlsieger Nicusor DanBild: Cristan Ștefănescu/DW

Obwohl es keine exakte Statistik zum ethnischen Wahlverhalten gibt, hat Dan von den rumänischen Ungarn laut Experten wie dem siebenbürgisch-ungarischen Soziologen Nandor Magyari rund 550.000 bis 600.000 Stimmen erhalten. "Die rumänischen Ungarn haben damit für die Erhaltung der liberalen Demokratie und die Fortsetzung des euroatlantischen Weges Rumäniens votiert", sagt Magyari der DW.

Es gab verblüffende Rekorde: Im rumänischen Landkreis Harghita, wo 85 Prozent ethnische Ungarn leben, stimmten sagenhafte 91 Prozent für Nicusor Dan - der Höchstwert aller rumänischen Landkreise.

Idee der Wiedervereinigung nicht populär

Ebenfalls in Rekordzahl stimmten Wählerinnen und Wähler in der Republik Moldau, die die rumänische Staatsbürgerschaft besitzen, für Nicusor Dan. Insgesamt erhielt der Proeuropäer dort rund 135.000 Stimmen - das waren 88 Prozent aller Wahlteilnehmer.

Historisch gehörten der größte Teil der Republik Moldau und die heutige rumänische Region Moldau einst zu einem gemeinsamen Fürstentum. In der Republik Moldau leben drei Viertel rumänischsprachige Menschen, das Land wird mitunter auch der "zweite rumänische Staat" genannt.

Von den rund 2,45 Millionen Einwohnern im Land haben etwa 640.000 die rumänische Staatsbürgerschaft. Viele der letzteren leben allerdings in westeuropäischen Ländern. Auch dort dürften sie aber in großer Zahl für Nicusor Dan gestimmt haben. Denn sein Kontrahent George Simion tritt für die in der Republik Moldau nicht sehr populäre Idee einer Wiedervereinigung mit Rumänien und der Schaffung eines Großrumäniens ein. Zudem schlägt Simion gegenüber den Moldauern einen paternalistischen Ton an, was vielen dort missfällt. Simion hat seit 2014 Einreiseverbot in der Republik Moldau.

Orban instrumentalisiert Auslandsungarn

Die jetzige Präsidentschaftswahl ist nur das jüngste Beispiel für die Bedeutung der Ungarn und der Moldauer mit rumänischer Staatsbürgerschaft in Rumänien und in Europa. Die ungarische Minderheitenpartei Rumäniens - der Demokratische Verband der Ungarn in Rumänien (UDMR) - ist seit 1996 fast durchgehend an rumänischen Regierungskoalitionen beteiligt und hat zur Aussöhnung der beiden historischen Erzfeinde Rumänien und Ungarn entscheidend mit beigetragen.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban bei seinem jährlichen Auftritt vor der ungarischen Minderheit in Rumänien im Juli 2024Bild: Alexandru Dobre/AP Photo/picture alliance

Orban hat jedoch die Auslandsungarn und vor allem diejenigen Rumäniens in den vergangenen Jahren stark für sich instrumentalisiert. So etwa stimmen bei Wahlen die Doppelstaatsbürger jeweils zu über 90 Prozent für ihn und seine Partei Fidesz. Der UDMR war in den vergangenen Jahren zudem praktisch zu einem Anhängsel Orbans verkommen - bis zur vergangenen Woche. Der UDMR und sein Vorsitzender Hunor Kelemen wie auch die Führungen der ungarischen Kirchen in Rumänien stellten sich eindeutig gegen Orbans Empfehlung für Simion.

"Orban hat einen Fehler begangen", sagt der siebenbürgisch-ungarische Anwalt und frühere liberale UDMR-Politiker Peter Eckstein-Kovacs der DW. "Er glaubte, dass die Ungarn in Siebenbürgen alles schlucken, auch seinen weltpolitischen Irrsinn, aber er hat sich geirrt." Von einem Bruch zwischen UDMR und Fidesz will Eckstein-Kovacs jedoch nicht sprechen. "Es ist ein Riss im Verhältnis, kein Bruch." Auch der Soziologe Nandor Magyari glaubt, dass es "insgesamt bei der großen Unterstützung der Ungarn in Rumänien für Orban bleiben wird".

Dank an Ungarn vergessen

Umgekehrt spielen in Rumänien die Auslandsrumänen und die rumänischsprachigen Moldauer eine geringere politisch-ideologische Rolle. Die Republik Moldau ist jedoch nach der Ukraine der am meisten von russischen Aggressionsplänen betroffene Staat. Im dortigen Landesteil Transnistrien herrscht ein separatistisches, moskautreues Regime, außerdem versucht Russland seit Jahrzehnten, die Republik Moldau über Energielieferungen zu erpressen. Auch aus eigenem Sicherheitsinteresse hilft Rumänien seinem Nachbarn seit langem dabei, sich ökonomisch von Russland zu lösen und dem dortigen russischen Einfluss entgegenzuwirken, etwa durch Bildungsprogramme für Doppelstaatsbürger. Allerdings läuft die Unterstützung oft schwerfällig.

Wähler in der Republik Moldau stehen vor einem Wahllokal anBild: Simion Ciochina/DW

Anders als sein Vorgänger Klaus Iohannis interessiert sich Rumäniens gewählter Präsident Nicusor Dan für die Republik Moldau und ihr Wohlergehen. In seiner Siegesrede in der Nacht zum 19.05.2025 bedankte sich Dan ausdrücklich bei seinen moldauischen Wählern. Bei den Ungarn vergaß er es - holte es aber immerhin einen Tag später in einem Fernsehinterview und in einem Anruf beim UDMR-Chef nach.