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PolitikEuropa

Ungarn: Post bringt keine Zeitung mehr

Stephan Ozsváth
3. März 2021

Ab Juli beendet die ungarische Post den Zustelldienst für Tageszeitungen. Der Grund ist offiziell Unwirtschaftlichkeit. Kritiker sehen jedoch darin eine weitere Maßnahme gegen unabhängige Medien.

Ungarn I Budapest I Protest gegen politische Einflussnahme auf Nachrichtenportal Index
"Freies Land, freie Presse": Ungarn demonstrieren schon seit längerem gegen die Einschränkung der MedienfreiheitBild: DW/F. Schlagwein

Ungarns unabhängige Medien stehen seit vielen Jahren unter dem Druck von Viktor Orbáns Regierung. Sie erhalten so gut wie keine staatliche und oft auch kaum private Werbung. Viele wurden in den vergangenen Jahren von regierungsnahen Geschäftsleuten aufgekauft und dann eingestellt oder auf Regierungslinie gebracht.

Jetzt kommt ein neues Druckmittel hinzu: Das staatliche Postunternehmen Magyar Posta Zrt. teilte vergangene Woche ebenso überraschend wie knapp mit, dass sie den landesweiten Zustelldienst für Tageszeitungen zum 1. Juli beenden wird. Die formale Begründung: Infolge der seit Jahren sinkenden Auflagen sei diese Dienstleistung "ergebnisorientiert nicht mehr aufrechterhaltbar". Praktisch ist es ein neuer Schlag gegen unabhängige Medien.

"Wir waren schockiert, als wir das erfuhren", sagt Csaba Lukács, der Direktor der ungarischen Wochenzeitung Magyar Hang (Ungarische Stimme). Noch ist das Blatt von dem Vorhaben der ungarischen Post nicht betroffen, "denn wir sind eine Wochenzeitung", so Lukács. Aber es könne leicht passieren, "dass die ungarische Post zum Jahresende entscheidet, dass sie auch Wochenzeitungen nicht mehr ausliefert", befürchtet er. Für die Zeitung mit einer Auflage von kaum 20.000 Exemplaren wäre das der Super-Gau, "denn derzeit haben wir keine Alternative".

Nicht die erste Einschränkung des Zeitungsvertriebs

Magyar Hang wird in der slowakischen Hauptstadt Bratislava gedruckt, weil sich in Ungarn keine Druckerei fand, die die Zeitung produzieren wollte, erzählt Lukács. Sollte sie aus dem Postvertrieb herausfallen, sagt er, mache die Redaktion bereits "B,C, und D-Pläne". Eine Überlegung sei, "dass wir jeden Donnerstag 5000 Briefumschläge fertig machen und zur Post bringen". Das koste aber drei- bis viermal soviel wie der normale Vertrieb über die Post. Ein mühsamer Weg wäre auch, die Zeitung über Kioske und Lebensmittelgeschäfte zu verkaufen, der aber Abonnenten kosten könne. "Einen eigenen landesweiten Vertrieb aufzubauen, können wir uns als kleiner Verlag nicht leisten", sagt Lukács.

Csaba Lukács, Direktor der Zeitung "Magyar Hang": "Wir befürchten, dass unser Postvertrieb eingestellt wird."Bild: DW/S. Ozsváth

Es ist nicht das erste Mal, dass die ungarische Post den Zeitungsvertrieb einschränkt. Bereits 2016 beendete sie in 19 Gemeinden den Zustelldienst. Im vergangenen Jahr wurden Wochenendausgaben von Zeitungen in insgesamt 82 Gemeinden erst montags ausgeliefert; zur Begründung führte die Post Corona-Beschränkungen und den Infektionsschutz an. Auch berichten Abonennten unabhängiger ungarischer Medien ihren Redaktionen immer wieder von Zustellproblemen.

Noch mehr Nachteile für unabhängige Medien in Ungarn

"Der Ausstieg der ungarischen Post aus dem Zeitungsvertrieb passt sehr gut in die schlaue Medienpolitik der Regierungspartei Fidesz", sagt der Medienrechtler Gábor Polyák der DW. Die konzentriere sich beim Versuch, die Medien zu kontrollieren, mittlerweile nicht mehr nur auf die Anbieter von Inhalten - also Zeitungen, Radio- und Fernsehsender sowie Internet-Portale -, sondern auch auf das Umfeld, bis hin zum Anzeigenmarkt. Den kontrollieren die Regierung und ihr verbundene Oligarchen. Der unfaire Wettbewerb auf dem ungarischen Medienmarkt würde sich mit dem Ausstieg der Post aus dem Zeitungsvertrieb fortsetzen, meinen Polyák und Lukács übereinstimmend.

Schon jetzt profitieren die regierungsnahen Medien übermäßig stark vom ungarischen Staat. Zusammengefasst sind sie nahezu vollständig in der Mitteleuropäischen Presse- und Medienstiftung KESMA. Sie wurde 2018 gegründet. Damals gingen an einem einzigen Tag, dem 28. November, 476 private regierungsnahe Medien in die Hand der Stiftung über - offiziell wurden sie KESMA von ihren Besitzern, Orbán-nahen Geschäftsleuten, "gespendet". Sie erhalten unverhältnismäßig viele staatliche Werbeaufträge, auch bei kleinen Auflagen oder geringer Reichweite.

"Deine Zeitung liefere ich nicht aus"

Zu KESMA gehört auch die große Medienholding Mediaworks, die einst im Besitz von Lörinc Mészáros war, einem Jugendfreund Orbáns und ehemaliger Bürgermeister in dessen Geburtsort Felcsút. Mészáros stieg im vergangenen Jahrzehnt vom Gasinstallateur mit mäßig erfolgreichem Kleinbetrieb zum reichsten Mann Ungarns auf. Seine Ex-Firma Mediaworks hat schon vor Jahren ein eigenes Pressevertriebsnetz aufgebaut. Regierungsnahe Medien werden daher vom Ende des postalischen Zustelldienstes für Tageszeitungen nicht oder kaum betroffen sein.

Schwindende Medienvielfalt: Im Herbst 2016 wurde die linke Tageszeitung Népszabadság über Nacht geschlossen.Bild: Reuters/L. Balogh

Csaba Lukács sagt, die Pläne der Post führten dazu, dass alle unabhängigen Zeitungen künftig gezwungen sein würden, sich mit Mediaworks über den Vertrieb zu einigen, "wenn sie wollen, dass ihre Produkte zu den Lesern kommen". Er ist überzeugt davon, dass die Abhängigkeit vom Mediaworks-Vertriebssystem den wenigen verbliebenen unabhängigen Medien Knüppel zwischen die Beine werfen würde. Denn Mediaworks als privates Unternehmen könne mehr Geld als die Post verlangen und trotzdem entscheiden: "Deine Zeitung liefere ich nicht aus." Ein privates Unternehmen müsse auch nicht in jeden Winkel des Landes ausliefern wie die Post.

Regierung plant für die Parlamentswahl

Laut ungarischen Medienberichten will Mediaworks künftig Städte, in denen die Opposition regiert, mit Gratiszeitungen beliefern. Das Ziel dieser Maßnahme sei klar, meint Csaba Lukács: "Die Gemeinden, in denen Fidesz die Kommunalwahl 2019 verloren hat, sollen zurückerobert werden". Die Gratiszeitungen würden auf Bahnhöfen, vor Einkaufszentren und in Unterführungen verteilt und wären eher Boulevard-Medien. "Zwischen zwei VIP-Informationen packt man dann die Regierungsbotschaft: 'Stoppt Brüssel und Soros' oder 'Wählen Sie Fidesz'", so Lukács. "Gehirnwäsche", nennt er das.

"Alles ist auf die Wahl im Frühjahr 2022 ausgerichtet", glaubt auch der Medienrechtler Gábor Polyák, der zunehmend weniger Raum für unabhängige Medien sieht. "Fidesz mag es überhaupt nicht, wenn starke Akteure viele Menschen mit einem Weltbild erreichen, das dem der Regierungspartei widerspricht."

Orbáns Ultimatum

So ähnlich drückt es auch der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund aus, der sich in den vergangenen Monaten bei Ungarn-Reisen immer wieder für die unabhängigen Medien im Land eingesetzt hat. "Die Fidesz-Regierung will die Kontrolle darüber, was die Menschen lesen, hören und sehen", sagte er der DW, "kritische Stimmen werden systematisch fertig gemacht." Das habe mit Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun, die EU müsse hier mit Sanktionen gegensteuern. "Diese Attacken auf die freie Presse müssen aber auch bei den Parteifreunden Viktor Orbáns in der CDU zu einer entschiedenen Reaktion führen", forderte er. Es könne nicht sein, dass die Partei von Angela Merkel und Armin Laschet "mit Demokratiefeinden gemeinsame Sache macht".

Zerrüttetes Verhältnis: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán (re.) und der EVP-Fraktionschef Manfred WeberBild: picture-alliance/dpa/S. Koszticsak

An diesem Mittwoch hat Fidesz die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament verlassen. Unmittelbar zuvor hatte die Fraktion dafür gestimmt, die Geschäftsordnung so zu ändern, dass einzelne Parteiengruppen ausgeschlossen werden können. Bei dieser "Lex Fidesz" dürfte wohl auch die ungarische Medienpolitik eine Rolle gespielt haben.

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