Ungarns Regierung will Kultur "lenken"
9. Dezember 2019Tausende Künstler haben gemeinsam mit kulturinteressierten Bürgern in Ungarns Hauptstadt Budapest gegen einen Gesetzentwurf protestiert, der nach ihrer Einschätzung die Unabhängigkeit insbesondere der Theater untergraben könnte. Den Auftakt machten Mitglieder des Ensembles des Trafo-Theaters und ihr Publikum. Aus Protest gegen die Regulierungspläne hielten sie sich eine Hand vor die Augen.
Online-Petition von 47.000 Ungarn
Eine Online-Petition, in der die Parlamentarier aufgefordert wurden, den Gesetzentwurf abzulehnen, wurde bis Nachmittag von mehr 47.000 Menschen unterzeichnet. Am Wochenende hatten Schauspieler die Petition an mehreren Theatern verlesen.
Die Gesetzesvorlage, die vom stellvertretenden ungarischen Ministerpräsidenten Zsolt Semjen unterzeichnet wurde, sieht die Schaffung eines Nationalen Kulturrates vor, der die "fachliche Basis für die strategische Lenkung der kulturellen Sektoren durch die Regierung gewährleisten" soll. Von kulturellen Organisationen, die staatliche Fördergelder erhalten wollen, werde erwartet, dass sie "aktiv den Erhalt, das Wohlergehen und das Gedeihen der Nation schützen", heißt es in dem Gesetzestext.
Oberbürgermeister von Budapest protestiert mit
Zudem sieht der nun veröffentlichte Entwurf vor, dass bei der Bestellung von Intendanten von Stadttheatern, die Förderungen vom Staat erhalten, der zuständige Minister zustimmen muss. Bisher haben die Gemeinden allein entschieden, wer die von ihnen betriebenen Theater leitet.
An der Kundgebung in Budapest nahm auch der neuen Oberbürgermeister Gergely Karacsony teil. Der links-grüne Kommunalpolitiker bezeichnete den Gesetzentwurf in seiner Ansprache als "Diktat" der Orban-Regierung, das die Kulturschaffenden um ihre Freiheit bringen werde. "Wenn wir die Freiheit der Theater verteidigen, verteidigen wir die Freiheit der Stadt", fügte Karacsony hinzu.
Reaktion auf Fidesz-Schlappe bei Kommunalwahl?
Beobachter sehen in dem neuen Gesetzentwurf eine Reaktion der rechts-nationalen Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban auf die Kommunalwahlen im Oktober, bei denen Orbans Fidesz-Partei die Hauptstadt Budapest und zehn weitere Städte an die Opposition verloren hatte.
Eine frühere, interne Version des Entwurfs, die in der vergangenen Woche durchgesickert war, hatte heftige Proteste unter Kulturschaffenden ausgelöst. Einige Bestimmungen, die in der internen Vorlage enthalten waren, fehlen nun im Entwurf. So wird der Nationale Kulturfonds, der über die Vergabe von Fördermitteln entscheidet, nicht - wie ursprünglich geplant - abgeschafft.
Das neue Gesetz soll im Eilverfahren durchs Parlament gepeitscht und bereits am Mittwoch ohne wesentliche Debatte verabschiedet werden. Orbans Regierung steht seit Jahren unter Verdacht, gegen europäische Standards und das Rechtsstaatsprinzip zu verstoßen.
qu/sti (dpa, rtr)