"Unglaublicher Dreck" in Bitterfeld
1. Oktober 2012DW: Wie begann Ihre Faszination für Bitterfeld?
Das begann, als ich Anfang der 1970er Jahre als Reporterin für die DDR-Zeitung "Wochenpost" nach Bitterfeld geschickt wurde. Das war ein großes emotionales Erlebnis. Ich hatte immer geglaubt, dass es Leuten wie mir in der DDR schlecht erginge - es gab keine Meinungsfreiheit, man durfte nicht die Bücher lesen, die man wollte - aber für die Arbeiter, tröstete ich mich, sei es der bessere Staat. Von dieser Einschätzung wurde ich in Bitterfeld geheilt.
Was hat Sie denn dort am stärksten beindruckt?
Der unglaubliche Dreck, das Gift, das wir in Kauf genommen haben für ein bisschen Wohlstand und überflüssige Dinge wie Weichspüler. Ich kam mir vor wie ein Sklavenhalter, weil diese Leute auch für mich arbeiteten. Dass ein Staat, der sich "Arbeiter- und Bauernstaat" nennt, so seine Arbeiter behandelt! Gut, es wurde nach dem Krieg in Bitterfeld viel demontiert, es gab Reparationszahlungen an die Sowjetunion und Produktionsauflagen - aber eigentlich konnte keine Entschuldigung gelten, den Bitterfeldern diese Lebensverhältnisse zuzumuten.
Sie lebten in Berlin, waren diese Umweltprobleme Ihnen und Ihren Bekannten bewusst?
Ach, eigentlich schon. Jeder ist mal durch Bitterfeld durchgefahren und das reichte. Man musste nur den Himmel über der Stadt sehen, um den ganzen Rest zu ahnen. Die Frage war immer nur, wie dicht man das an sich herangelassen hat. Aber wenn man dann persönlich diese Duldsamkeit und diesen Opferstolz der Bitterfelder erlebt hat, dann sieht man das eben anders.
Bitterfeld wurde dann zum Wendepunkt in Ihrer Biographie.
Ja, genauer gesagt: Die Entscheidung, ein Buch über die Umweltprobleme dort zu schreiben, "Flugasche" - der Roman, der in der DDR nicht gedruckt wurde. Ich war froh darüber, dass sie es verboten haben, denn wenn sie mich dafür noch gelobt hätten, wäre ich vielleicht korrumpierbar gewesen.
1988 verließen Sie Ostberlin, gingen in den Westen. Dann kam die Wende. Ein gutes Jahrzehnt später, 2001, ging in Bitterfeld-Thalheim die erste Solarzelle vom Band. Wie kam die Stadt wieder in Ihren Blick?
Ein befreundeter Architekt hat Solarfabriken gebaut, der hat mir immer vom Aufstieg der Solarindustrie erzählt. Eigentlich wollte ich nicht mehr drüber schreiben, keinen Schritt zurück machen. Ich hätte "Bitterfelder Bogen" auch nicht geschrieben, wenn es so eine Vorher-Nachher-Geschichte gewesen wäre. Was mich aber interessiert hat, war das Aufeinandertreffen zweier Gruppen. Zum einen die Kreuzberger Solarfreaks und auf der anderen Seite die bedürftigen Bitterfelder. Die waren auf Augenhöhe, was nicht typisch war für Ost-West-Begegnungen. Die einen brauchten Arbeitsplätze und eine Zukunft und die anderen einen günstigen Standort, Subventionen und viel Platz.
Mit dem Bericht "Bitterfelder Bogen" aus dem Jahr 2009 korrigieren Sie also das Bild von den Ostdeutschen als Verlierer der Wende?
Ich fand das immer ärgerlich, dass der Osten so homogen abgefertigt wurde. Dieses Bild, dass die Ossis nur jammern würden und undankbar seien. Und dabei gab es mutige Unternehmer, die dort aus den Resten der Bitterfelder Industrie Firmen gegründet haben.
Jetzt ist vom "Sonnenuntergang" in Bitterfeld die Rede. Die Krise der Solarindustrie erfasst die Region. Sehen Sie wieder Anlass zu schreiben?
Nein. Wie gesagt, ich wollte nie so eine Geschichte "Bitterfeld davor und danach" schreiben, sondern ein Sinnbild für die deutsche Wiedervereinigung. Ich finde nur, dass die Solarförderung, so wie sie betrieben wird, einfach falsch ist, indem man den Endverbraucher fördert und damit auch die vielen Chinesen, die Solarzellen kaufen. Das macht keinen Sinn. Der heimischen Industrie werden die Beine weggehauen. Weil die Chinesen schon in China gefördert werden und außerdem erfüllen sie viele Umweltstandards nicht, die in Deutschland gefordert werden. Es ist leider der deutschen Solarindustrie nicht gelungen, den entsprechenden Vorsprung zu behalten. Und in der Massenproduktion können die Deutschen die Chinesen im Preis nicht unterbieten.
In Ihrem Buch "Bitterfelder Bogen" beschreiben Sie viele Menschen, die sich immer wieder aufgerafft, sich neu orientiert haben. Wie sehen Sie nun die Zukunft Bitterfelds?
Wenn Q-Cells nicht als eigenständiges Unternehmen überlebt, dann ist da ein Betrieb weg, der der Region eine Identität hätte geben können - nach der Filmindustrie und nach der chemischen Industrie. Q-Cells war ein identitätsstiftendes Unternehmen und ich weiß nicht, was davon noch übrig bleiben kann.
Die Schriftstellerin Monika Maron wurde 1941 in Berlin geboren, wuchs in der DDR auf und übersiedelte 1988 in die Bundesrepublik. Ihr Debütroman "Flugasche" durfte im Osten nicht erscheinen, wurde jedoch 1981 in Westdeutsschland veröffentlicht. Darin thematisierte Maron am Beispiel Bitterfeld erstmals die massiven Umweltprobleme der DDR. 2009 befasste sich die Schriftstellerin erneut mit der Region - ihr Bericht "Bitterfelder Bogen" handelt vom Aufstieg der Solarindustrie. Insgesamt hat Monika Maron über zehn Romane sowie Erzählungen und Essays veröffentlicht. Für ihr Werk erhielt sie unter anderem den Kleist-Preis sowie den Deutschen Nationalpreis.
Das Gespräch führte Claudia Hennen.