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KonflikteLibanon

UNHCR: "Humanitäre Katastrophe im Libanon"

28. September 2024

Israels Bombenangriffe auf Beirut haben den Libanon erschüttert. Das Land beklagt hunderte zivile Todesopfer und tausende Binnenvertriebene. Im DW-Interview erklärt UNHCR-Sprecherin Shabia Mantoo: "Wir sind zornig".

Ein Mann hebt die Arme gen Himmel zum Gebet. Er steht in den Ruinen eines zerstörten Hauses im Libanon
Verzweiflung: Ein Mann steht in den Ruinen eines Gebäudes in der libanesischen Ortschaft Akbieh, das bei einem israelischen Bombenangriff zerstört wurde Bild: Mohammed Zaatari/AP Photo/picture alliance

Nach den jüngsten Luftangriffen der israelischen Armee auf den Libanon spricht das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen, UNHCR, von einer "humanitären Katastrophe".

Der Libanon gehört zu den größten Einsatzgebieten des UNHCR. Das erste Büro im Land wurde bereits 1964 eröffnet. Seitdem unterstützt die UN-Organisation die einheimische Bevölkerung, Flüchtlinge und Staatenlose.

Seit dem Überfall der Hamas auf Israel im Oktober 2023 und der Eskalation des Konfliktes sind im Libanon nach Angaben des UNHCR mindestens 1540 Menschen getötet worden, darunter mehr als 100 Syrer. Allein während des ersten groß angelegten israelischen Luftangriffs am 23. September wurden mehr als 500 Menschen getötet.

Am Freitag (27.09.) griff Israels Militär (IDF) nach eigener Darstellung das Hauptquartier der Hisbollah an. Dabei wurde der Chef der Schiitenmiliz, Hassan Nasrallah, getötet. Das libanesische Gesundheitsministerium berichtete von weiteren sechs Toten und 91 Verletzten.

Im DW-Interview beschreibt UNHCR-Sprecherin Shabia Mantoo aus ihrer Sicht die Eskalation des Konflikts, den laut UNHCR mangelnden Schutz der Zivilbevölkerung sowie die internen Vertreibungen im Libanon.

"Zivilbevölkerung schützen"

Shabia Mantoo ist globale UNHCR-Sprecherin für die Regionen Nahost sowie nördliches und südliches Afrika Bild: UNHCR

Deutsche Welle: Wie ist die Lage nach den jüngsten Luftangriffen Israels im Libanon?

Shabia Mantoo: Die Ereignisse der vergangenen drei Tage markieren die schwersten Angriffe auf den Libanon seit 2006. Ivo Freijsen, UNHCR-Repräsentant im Libanon, spricht von einer 'humanitären Katastrophe'. 

Die Bombenangriffe haben Hunderte von Todesopfern unter der Zivilbevölkerung gefordert. Auch zwei UNHCR-Kollegen wurden getötet.

Wir sind zornig und zutiefst getroffen von der Ermordung zwei geliebter Mitglieder der UNHCR-Familie im Libanon und eines Angehörigen. Die Zivilbevölkerung hat auch im Krieg ein Recht auf Schutz vor den Gefahren militärischer Operationen. Dies muss gewährleistet werden.

Wir rufen wie UN-Generalsekretär Guterres zur dringenden Deeskalation auf und fordern alle Parteien auf, die Zivilbevölkerung, einschließlich der Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, im Einklang mit den Verpflichtungen des humanitären Völkerrechts zu schützen.

Was tut der UNHCR für Zivilbevölkerung, Flüchtlinge und Binnenvertriebene im Land?

Wir unterstützen Vertriebene im ganzen Land und arbeiten eng mit den Behörden und humanitären Partnern zusammen, insbesondere im Süden des Libanons. Dazu gehört unter anderem die Bereitstellung von grundlegenden Hilfsgütern, die Unterstützung für die neu vertriebenen Menschen, die Zusammenarbeit mit dem libanesischen Gesundheitsministerium und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei der Beschaffung von Trauma-Kits und der Bereitstellung medizinischer Ausrüstung, die Ausweitung der Gesamtzahl der vom UNHCR unterstützten Krankenhäuser auf 42, sowie die Verteilung und Platzierung von wichtigen Hilfsgütern wie Matratzen, Decken, Küchensets und anderen wichtigen Hilfsgütern im Süden des Landes. Auch die Bargeldunterstützung wird koordiniert.

Unterstützt der UNHCR den Libanon auch dabei, neue Flüchtlingscamps im Land selbst oder im Nachbarland Jordanien zu errichten?

Ja. Wir ergänzen und unterstützen nationale Hilfsmaßnahmen. Bei der Bereitstellung von Unterkünften unterstützen wir die libanesische Regierung, die behelfsmäßige Sammelunterkünfte errichtet, in denen die Betroffenen untergebracht sind.

Massenflucht: Nach den israelischen Luftangriffen stehen tausende Menschen, die aus dem Süden des Landes fliehen, im StauBild: Mohammad Zaatari/AP/picture alliance

Im Libanon leben Millionen von Flüchtlingen, die meisten aus Syrien. Was passiert, wenn nun nicht nur sie, sondern auch große Teile der einheimischen Bevölkerung fliehen müssen?

Unter den Feindseligkeiten leiden sowohl libanesische Bürger als auch Flüchtlinge, die großzügig im Land aufgenommen wurden. Tausende Syrer und Libanesen fliehen vor der Gewalt im Libanon und überqueren die Grenze nach Syrien. Die Flüchtlinge, die auf der Suche nach Sicherheit aus ihrer Heimat in den Libanon geflohen sind, sehen sich nun damit konfrontiert, dass sie erneut vertrieben werden. Diese doppelte Vertreibung verschlimmert ihre Verwundbarkeit.

Auch unter Flüchtenden sind Opfer zu beklagen - wir wissen von mindestens 231 verletzten Syrern (223 davon sind dem UNHCR bekannt - darunter 77 Männer, 72 Frauen und 82 Kinder). Mehr als 59 Syrer wurden getötet (davon sind dem UNHCR 46 bekannt, darunter 26 Männer, 11 Frauen und 22 Kinder).

Helfer vom Syrisch-Arabischen Roten Halbmond (SARC) und UNHCR betreuen syrische Familien, die angesichts der Kriegsgefahr im Libanon wieder zurück in ihre alte Heimat wollenBild: Hummam Sheikh Ali/Xinhua/picture alliance

Wie unterstützt der UNHCR die Menschen, die vom Libanon nach Syrien fliehen?

Der UNHCR ist zusammen mit dem Syrisch-Arabischen Roten Halbmond (SARC) an vier Grenzübergängen zwischen Libanon und Syrien präsent, um den Menschen, die dort ankommen, Hilfe anzubieten. UNHCR und SARC bringen Wasser, Matratzen, Decken und Grundnahrungsmittel an die Grenze.

An den Grenzposten, die das UNHCR im vergangenen Jahr gemeinsam mit der WHO und dem SARC eingerichtet hat, werden den Ankommenden Räume zum Ausruhen angeboten. Außerdem erhalten sie Informationen über die nach der Einreise verfügbaren Dienste, auch über 100 vom UNHCR finanzierte Gemeinschaftszentren im ganzen Land.

Leistet der UNHCR auch Unterstützung für Binnenvertriebene in Israel?

UNHCR Israel wurde bisher von der israelischen Regierung nicht gebeten, eine Bedarfsermittlung vorzunehmen und/oder Hilfe für Binnenflüchtlinge zu leisten. Sollte ein offizielles Ersuchen an UNHCR gerichtet werden, stehen wir natürlich zur Verfügung, um mit der israelischen Regierung zusammenzuarbeiten, um die Bedürfnisse zu bewerten und die spezifischen Bereiche zu identifizieren, in denen zusätzliche Unterstützung benötigt wird.

Die Fragen an UNHCR-Sprecherin Shabia Mantoo wurden schriftlich per E-Mail beantwortet.

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