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Unsichtbare Mauern der Festung Europa

Steffen Leidel15. Juli 2004

Illegale Einwanderer kreuzen das Mittelmeer zwischen Europa und Afrika auf immer gefährlicheren Routen. Sie versuchen so, High-Tech-Überwachungsanlagen wie an der Meerenge von Gibraltar zu umgehen.

Kein Durchkommen: die Meerenge von GibraltarBild: dpa

Fast vier Wochen ist es inzwischen her, dass Mitarbeiter der deutschen Hilfsorganisation Cap Anamur mit ihrem Schiff 37 Afrikaner aus einem auf offenem Meer treibenden Schlauchboot holten. Inzwischen hat das Schiff in einem italienischen Hafen angelegt, Helfer und Flüchtlinge wurden vorerst verhaftet. Der Fall "Cap Anamur" beschäftigt zurzeit Heerscharen von Journalisten sowie höchste Regierungsstellen in Italien und Deutschland. Irgendwann wird auch diese Geschichte zu Ende erzählt sein, der Medientross wird abziehen, die Politiker sich beruhigen.

Festgenommene Einwanderer in SüdspanienBild: dpa

Doch das eigentliche Drama, das sich täglich auf dem Mittelmeer abspielt, wird weitergehen. Niemand weiß, wie viele Menschen sich in den Nächten der vergangenen Wochen wieder in wacklige Schlauchboote gesetzt haben, um todesmutig von Afrika nach Europa überzusetzen. Jüngstes Beispiel: 39 Menschen haben in der Nacht von Dienstag (13.7) auf Mittwoch versucht, von der marokkanischen Atlantik-Küste auf die etwa 200 Kilometer entfernte Kanarische Insel Fuerteventura zu gelangen. Die Route gilt wegen des unberechenbaren Seegangs als besonders gefährlich. Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit für Flüchtlinge, unentdeckt zu bleiben, sehr gering. Seit knapp zwei Jahren funktioniert an einigen Stellen der Kanarischen Inseln ein High-Tech-Überwachungssystem, das sogar eine Luftmatratze auf offenem Meer orten könnte.

Flüchtlingsrouten umgeleitet

Dafür sorgt das mit EU-Geldern finanzierte System Sive (Integrated External Vigilance System). Hochauflösende Infrarotkameras, sowie auf Türmen oder in Patrouillenbooten und Helikoptern installierte Radarsysteme scannen das Meer vor der Küste nach illegalen Einwanderern. Das 140 Millionen Euro teure Sive funktioniert seit 2002 auch an der Meerenge von Gibraltar, wo nur 14 Kilometer zwischen Afrika und Europa liegen. Die spanischen Behörden rühmen die Effektivität des System, das die USA auch in ihrem "Kampf gegen den Terror" einsetzen will. So sei nicht nur die Zahl der Flüchtlingsboote vor der Küste von Cádiz und Algeciras um die Hälfte gesunken. Sive helfe auch, Boote frühzeitig zu orten und so Menschen vor dem möglichen Ertrinken zu retten.

Nichtregierungsorganisationen wie "Andalucía Acoge", die illegale Einwanderer betreut, lehnen das System ab. Flüchtlinge wählten nämlich weitere und gefährlichere Wege, um das System zu umfahren. So hat sich die Zahl der aufgegriffenen Flüchtlingsboote an den Küsten vor der Provinz Granada verdoppelt, wie Zahlen des Roten Kreuzes belegen. Die Gefahr zu verunglücken, ist an dieser Stelle wesentlich größer; die Entfernung zur marokkanischen Küste beträgt hier mindestens 150 Kilometer.

Abschottung als einzige Antwort

Die deutsche Menschenrechtsorganisation Pro Asyl schätzt, dass in den vergangenen Jahren rund 5.000 Menschen im Meer zwischen Südeuropa und Afrika ertrunken sind. "Die einzige Antwort, die die EU auf das Flüchtlingsproblem kennt, ist dicht zu machen", sagt Karl Kopp von Pro Asyl. Grenzsicherung genießt Priorität in der EU, das machte auch der EU-Gipfel in Thessaloniki im Juni 2003 deutlich. Dort beschlossen die Staats- und Regierungschefs, den Grenzschutz mit 400 Millionen Euro auszubauen. Kopp kritisiert, dass die Außengrenzen überall mit Überwachungstechnologie hochgerüstet würden. Länder wie Italien setzten außerdem auf eine enge Kooperation im Grenzschutz mit Libyen und Tunesien. "Die Flüchtlinge sollen quasi schon in den Häfen auf afrikanischen Booten abgefangen werden". Italien habe den Ländern dafür Equipment und Know-How geliefert. Die Zahl großer Flüchtlingsbooten konnte so tatsächlich gesenkt werden. "Allerdings versuchen nun wieder kleine, meist seeuntaugliche Boote überzusetzen. Das hat man ja auch im Fall der Flüchtlinge gesehen, die vom Cap-Anamur-Schiff gerettet wurden", sagt Kopp.

Festnahme illegaler Einwanderer an der polnisch-weissrussischen GrenzeBild: AP

Mit der EU-Erweiterung haben sich die östlichen Außengrenzen verschoben. So rückt Deutschland vom Rand in die Mitte der EU. Dagegen müssen die neuen Mitglieder nun die Kontrollen an ihren Außengrenzen erheblich verschärfen. Pro Asyl fürchtet, dass die Staaten sich nicht in der Lage sehen, die "auf sie abgewälzte Flüchtlingsaufnahme" zu bewältigen und deshalb auf komplette "Abschottung" setzten. Das führe dazu, dass sich an den Grenzen vermehrt Auffanglager bildeten, sagt Kopp. Zu beobachten sei dies bereits in Transitländern wie der Ukraine. Besonders berüchtigt ist das Pavshino-Lager an der Westgrenze der Ukraine. Nach einem Bericht der Organisation Human Rights Watch (HRW) von 2002 wurden dort hunderte illegaler Einwanderer unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten.

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