Unter Bauern
9. Oktober 2009Die 97jährige Jüdin Marga Spiegel lebt heute in Münster. 1969 veröffentlichte sie ihr Buch "Retter in der Nacht", in dem sie schildert, wie couragierte Bauern im Münsterland von 1943 bis 1945 ihren Mann, sie selbst und ihre Tochter versteckten und die Familie so überleben konnte. "Unter Bauern" ist mit Veronica Ferres in der Hauptrolle verfilmt worden.
DW-World: Frau Spiegel, vor 40 Jahre wurde Ihr Buch "Retter in der Nacht" veröffentlicht. Im August erlebte der Film beim Filmfestival in Locarno seine Premiere. Jetzt kommt Ihre Geschichte in die deutschen Kinos. Was empfinden Sie dabei?
Marga Spiegel: Als ich erfuhr, dass der Film gemacht werden sollte, war ich einerseits sehr stolz. Ich habe mich aber auch darüber gefreut, weil ich hoffe, dass der Film zur Versöhnung beitragen kann. Denn den Menschen von damals bin ich natürlich noch heute sehr verbunden.
"Wir sind uns charakterlich sehr nah"
Sie sind eine kleine Frau, Veronica Ferres, die Sie spielt, hingegen ist groß, blond, blauäugig. Sie steht also rein äußerlich für den idealen Deutschen der NS-Propaganda. Können Sie sich mit Ihrer Figur im Film identifizieren?
Ja, der Film hat mich sehr beeindruckt. Ich war auch öfter bei den Dreharbeiten dabei. Veronica Ferres kannte ich vorher kaum. Ich kenne mich sowieso nicht im Filmbereich aus. Als wir uns dann unterhielten, war sie mir sehr sympathisch. Und daraus ist jetzt eine richtige Freundschaft geworden. In unseren vielen Gesprächen hat sich gezeigt, dass wir viele gemeinsame Eigenschaften haben. Wir sind uns charakterlich sehr nahe. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine bessere Schauspielerin für die Rolle hätte geben können.
Ein Film kann ein Buch nie genau umsetzen. Sind sie mit der historischen Genauigkeit des Films zufrieden?
Es gibt Dinge im Film, die im Buch anders sind. Zum Beispiel zeigt der Film, wie Anni, die Tochter der Bauern, die uns aufnahmen, erst nach längerer Zeit von ihren Eltern erfährt, dass ich und meine Tochter Juden sind. Und sie ist - als überzeugtes Mitglied im "Bund Deutscher Mädel" - sehr erbost darüber und will, dass wir den Hof verlassen. Diese Szene hat es nicht gegeben. Denn die wirkliche Anni hat von Anfang an alles gewusst. Aber ich habe verstanden, dass das für den Film aus dramaturgischen Gründen wichtig war.
"Darauf stand die Todesstrafe"
Wie war die gesellschaftliche Stellung der Familie der Bauern, der Aschoffs?
Heinrich Aschoff war ein sehr angesehener Bauer. Er war auch Kirchenvorsteher. Es gibt ja so einige Ämter, die man in einer streng katholischen Familie hat. Er war sich auch der Gefahr bewusst, Juden zu "verstecken“, darauf stand die Todesstrafe. Aber der Bischof von Münster war ihm näher als Hitler. Natürlich haben die Bauern auch Angst gehabt und haben gezweifelt. Und ich hatte nicht nur um mich Angst, um mein Kind und meinen Mann, sondern auch um die, die uns beschützten.
Ihr Mann war zu bekannt. Er konnte nicht wie sie auf einem Hof arbeiten, sondern musste sich die ganze Zeit verstecken. War die Situation für ihn noch schlimmer?
Ich war natürlich die Glücklichere, weil ich das Kind bei mir hatte und wir uns, wenn auch sehr eingeschränkt, bewegen konnten. Ich dachte auch, dass es gar nicht möglich ist, sich über einen langen Zeitraum mit einem Kind zu verstecken. Aber mein Mann war besessen von seinem Willen. Und ich hatte irgendwo in mir das Gefühl, dass wir übrig bleiben würden, dass wir überleben würden. Auch als dann die Bomben fielen. Das hat mir sehr geholfen.
"Diese Menschen verdienen Aufmerksamkeit"
Sie und ihr Mann haben während des Holocaust 34 Verwandte verloren, darunter auch beide Eltern und ihre Schwester. Erleben Sie noch heute Wut und Verzweiflung?
Verzweiflung ja, aber Wut oder Hass nicht. Ich bin allen Menschen, die uns unterstützt haben natürlich sehr dankbar. Für mich war dieser Film die Erfüllung meines Wunsches, dass diese Menschen, die uns geholfen haben, die verdiente Aufmerksamkeit bekommen. Dieses Bedürfnis hat mich nach dem Krieg auch angetrieben, das Buch zu schreiben. Weil es so unglaublich war, dass es eine solche Geschichte gab.
Das Gespräch führte Bernd Sobolla
Redaktion: Jochen Kürten