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Politik

Unter den Bomben von Ost-Ghuta

28. Februar 2018

Die Lage im syrischen Ost-Ghuta wird immer dramatischer. Den Menschen fehlt es an allem, Ärzte können kaum mehr helfen. Helfer berichten von schlimmsten Lebens- und Arbeitsbedingungen.

Syrien Blutvergießen in Syrien geht weiter - Hilfsorganisationen können Ost-Ghuta nicht erreichen
Bild: Reuters/B. Khabieh

Keine Hilfe für Ost-Ghuta

01:26

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Es fehlt an allem. Nicht einmal sauberes Trinkwasser gibt es noch. Seit geraumer Zeit sind keine Nahrungsmitteltransporte mehr nach Ost-Ghuta gekommen. Die Krankenhäuser und Hospitäler des Distrikts werden systematisch beschossen. Von den ehemals 27 medizinischen Einrichtungen des Stadt seien sechs nicht mehr funktionsfähig, berichtet Mohammed Kuttoub, Sprecher der Syrisch-Amerikanischen Medizinischen Gesellschaft, im arabischen Fernsehprogramm der DW. Mehrere Ärzte und Assistenten seien den Angriffen zum Opfer gefallen: "Zehn unserer medizinischen Mitarbeiter sind bereits tot."

Insbesondere seit der letzten Woche hat sich der Beschuss der von Dschihadisten kontrollierten Stadt noch einmal intensiviert. Innerhalb weniger Tage wurden nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte rund 500 Zivilisten getötet, unter ihnen über 120 Kinder; über 2400 seien verletzt worden. Insgesamt sind in Ost-Ghuta rund 400.000 Menschen eingeschlossen.

Selbst Ambulanzfahrzeuge werden behindert

"Bei uns werden fast jeden Tag Kriegsverletzte eingeliefert" berichtet eine Ärztin, die in Ost-Ghuta in Koordination mit Ärzte ohne Grenzen ein provisorisches Krankenhaus koordiniert; aus Sicherheitsgründen will sie weder ihren Namen angeben noch das Krankenhaus, in dem sie arbeitet. "Die Verletzten kommen aus allen Gesellschaftsschichten. Die große Mehrheit der Verwundeten sind Zivilisten: Kinder, Frauen und Männer." Auch sie berichtet vom großen Mangel an medizinischem Gerät sowie Medikamenten. Zudem schränke der ständige Beschuss die Arbeit der Ärzte ein. "Wir können uns kaum bewegen, die Fahrten der Ambulanzwagen werden behindert, selbst für Menschen zu Fuß ist es sehr schwierig, sich draußen zu bewegen." Hilfskräfte warten vor der Stadt, können sie unter dem Beschuss aber nicht betreten

Ohnmächtige Helfer: Mitarbeiter des "Roten Halbmonds" am Rand von Ost-GhutaBild: picture-alliance

Seit Beginn der Proteste in Syrien 2011 war Ost-Ghuta ein Zentrum des Widerstands gegen die Regierung Assad. 2013 griff das Regime die dortigen Oppositionsgruppen mit Giftgas an. Doch die Assad-Gegner konnten sich halten und bauten seitdem ihre Stellungen weiter aus. Wie auch im übrigen Syrien hat sich auch in Ost-Ghuta die ideologische Ausrichtung des Widerstands über die Jahre geändert. War er zunächst demokratischen und freiheitlichen Idealen verpflichtet, öffnete er sich unter steigendem militärischem Druck immer mehr auch islamistischen und dschihadistischen Gruppen. Sie dominieren inzwischen den Widerstand - auch ideologisch.

Russland will "terroristischen Nährboden auslöschen"

Es ist diese allmähliche Veränderung, mit der das Assad-Regime den intensiven Beschuss des Distrikts rechtfertigt. Im vergangenen Jahr hatte sich die syrische Regierung im Rahmen der von Russland in Sotschi ausgerichteten Konferenzen bereit erklärt, auch Ost-Ghuta als eine von zunächst vier, später fünf Deeskalationszonen zu respektieren. Die dort lebenden Zivilisten sollten sich dort sicher fühlen. Ausdrücklich ausgenommen von der Selbstverpflichtung zum Waffenstillstand waren aber jene Bezirke, die von Dschihadisten kontrolliert werden. Den Beschuss der vergangenen Tage rechtfertigt das Assad-Regime damit, es greife ausschließlich von extremistischen Hardlinern kontrollierte Zonen an.

Kein Unterschied zwischen "guten" und "schlechten" Terroristen: Der russische Außenminister Sergej Lavrov Bild: Getty Images/AFP/F. Coffrini

Dieser Haltung schließt sich auch Russland an. Die staatliche syrische Nachrichtenagentur zitiert auf ihrer Internetseite den russischen Außenminister Lavrov mit den Worten, es sei unmöglich, zwischen "guten" und "schlechten" Terroristen zu unterscheiden. Russland werde den Terrorismus weiterhin ohne "doppelte Standards" bekämpfen und der syrischen Armee dabei helfen, den "terroristischen Nährboden vollständig auszulöschen".

Kinder bis auf die Knochen abgemagert

Doch die Angriffe richten sich gegen den gesamten Distrikt. Sie und ihre Kollegen könnten sich kaum bewegen, berichtet die Ärztin aus dem Krankenhaus in Ghuta. Selbst in eigens gekennzeichneten Krankenwagen könnten sie nicht durch die Stadt fahren. "Es gab keine Unterbrechung bei den Bombardements, während derer wir Patienten hätten transportieren können. Unsere Rettungsteams hatten Probleme, Menschen aus den Trümmern zu retten und sie ins Krankenhaus zu bringen."

Dokument des Krieges: eine leere Raketenhülse in Ost-GhutaBild: Getty Images/AFP/H. Mohamed

Vor dem Beschuss könne sich die Bevölkerung kaum schützen, berichtet der in Ost-Ghuta lebenden Aktivist Diaa al-Shami im arabischen Fernsehen der DW. Die Menschen hätte sich in Keller und tiefer liegende Schutzräume zurückgezogen, obwohl die für einen dauerhaften Aufenthalt gar nicht geeignet seien. Doch die schwere Artillerie und die Bomben ließen ihnen keine andere Wahl. "Das führt dazu, dass viele Menschen erkrankt sind. Trotzdem können sie ihre Schutzräume nicht einen Moment verlassen. Es wäre zu gefährlich."

Unter dieser Situation leiden ganz besonders die Kinder. "Viele hungern schon seit Wochen und sind bis aufs Skelett abgemagert", berichte der Syrien-Beauftragte der SOS-Kinderdörfer, Louay Yassin, in einem Pressegespräch. So hätten sie auch der Winterkälte nichts entgegenzusetzen. In der Region um Ghuta fallen die Temperaturen nachts derzeit auf vier Grad.

"Amputationen und schreckliche Wunden"

Die katastrophale Lage setzt auch den Ärzten zu. Sie und ihre Kollegen seien erschöpft, berichtet die Medizinerin von "Ärzte ohne Grenzen". "Wir sind erschöpft von den ständigen Bombardements, die eine ganze Woche ohne Unterbrechung angedauert haben." Seit Tagen hätten sie und ihre Kollegen kaum geschlafen. "Und wenn, dann natürlich in Schichten. Die meisten Kollegen mussten wach bleiben, weil es einen ständigen Zustrom von vielen Verletzten gab."

Zu all dem gesellt sich die psychische Belastung des unausgesetzten Krieges, eines Schreckens, den die Ärzte so gut wie möglich ignorieren müssen, wollen sie weiterhin arbeiten und Menschenleben retten können. Doch die Wucht der Gewalt, deutet die mit "Ärzte ohne Grenzen" zusammenarbeitende Ärztin an, lässt sich nur mit allergrößter Mühe verdrängen. "Es gibt keine Geräusche, die lauter sind als die Bombenangriffe auf ganz Ost-Ghuta. Und auch die Dinge, die die Mitarbeiter sehen, die Leichen, tote Kinder und Babys, die Körperteile, die Amputationen und andere schreckliche Wunden."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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