Warum haben nur wenige Künstlerinnen der Moderne Berühmtheit erlangt? Antworten darauf liefert die Ausstellung "Sturm-Frauen" in der Frankfurter Schirn. Eine Ausstellung nicht nur für Feministinnen.
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Die Künstlerinnen des STURM
Künstlerinnen zählten wenig in der Moderne. Die Berliner Zeitschrift "DER STURM" stellte ab 1910 neben männlichen Avantgardisten auch weibliche aus. Die Frankfurter Schirn schlägt das Kapitel der Kunstgeschichte neu auf.
Bild: DW/S. Oelze
Sturm-Frauen sind keine Püppchen
In der Kunst der Moderne hatten Künstlerinnen einen schweren Stand. Nur wenige Frauennamen sind bekannt: Sonia Delaunay, Gabriele Münter, Marianne von Werefkin. Einem Mann ist es zu verdanken, dass es noch viel mehr waren, die zu ihrer Zeit eine Chance hatten, ihre Kunstwerke zu zeigen. Herwarth Walden gründete 1910 erst die Avantgarde-Zeitschrift DER STURM, 1912 dann die gleichnamige Galerie.
Bild: DW/S. Oelze
Walden: Entdecker und Förderer
Gabriele Münter zählt zu den bekanntesten Künstlerinnen der Moderne. Die Lebensgefährtin von Wassily Kandinsky war Mitglied der Künstlervereinigung "Der Blaue Reiter". Auf Empfehlung von Kandinsky, der 1912 in "DER STURM" ausstellte, lernten sich Gabriele Münter und Herwarth Walden kennen. Walden war sofort begeistert und lud sie zu einer Einzelausstellung ein.
Bild: DW/S. Oelze
Russische Avantgardistin
Natalja Gontscharowa (1881-1962) war ab 1903 in vielen Ausstellungen in Russland und nicht zuletzt durch die Ausstellungen in der STURM-Galerie auch in Westeuropa bekannt. Ab 1912 präsentierte Herwarth Walden ihre Werke sechs Mal. Nicht nur in Berlin, sondern auch in Helsinki. Das Gemälde "Gartenarbeit" von 1908 stammt aus ihrer frühen neo-primitivistischen Werkphase.
Bild: Tate, London 2015, VG Bild-Kunst, Bonn 2015
Interesse auch für Bühnenbild und Film
Die Ukrainerin Alexandra Exter war vielseitig begabt: Sie entwarf Bühnenbilder für das Theater genauso wie Kostüme für den russischen Science-Fictionfilm Aelita, der auf dem Mars spielt. Die waren 1927 in der Galerie DER STURM zu sehen, wo sie auch ihre Marionetten ausstellte. Herwarth Walden hatte einen weiten Blick und interessierte sich auch sehr für Künstlerinnen aus Osteuropa.
Bild: Schirn.de
Niederländische Pionierin
Auch in den Niederlanden schaute sich Herwarth Walden nach begabten Künstlerinnen um- und wurde fündig: Jacoba van Heemskerck identifizierte sich mit dem STURM und übereignete Walden das alleinige Ausstellungsrecht. Ihre Arbeit wurde von der De Stijl-Gruppe um Piet Mondrian beeinflußt. Walden stellte ihre Werke zehn Mal in der Galerie DER STURM aus.
Bild: Kunstmuseum Bern
Kunstmachen als Kraftprobe
Magda Langenstrass-Uhlig gehörte zu den ersten deutschen Malerinnen, die 1911 erfolgreich ein Kunststudium absolvierten. Um 1900 waren die zehn Kunstakademien in Deutschland ein Hort des Frauenhasses: Ihre Kunst wurde ignoriert oder nicht ernst genommen. Langenstrass-Uhlig studierte in Weimar. In der Galerie DER STURM stellte sie gemeinsam mit Kurt Schwitters aus.
Bild: Stefan Renno, Weimar, VG Bild-Kunst, Bonn 2015
Künstlerin und Theoretikerin
Marianne von Werefkin (1860-1938), Ehefrau von Alexej Jawlensky, gab ihrem Mann zuliebe zehn Jahre lang, von 1896 bis 1906, das Malen auf. Ihr Mann war eifersüchtig auf ihr Können. Die Malerin, die Ende des 19. Jahrhunderts den Ruf eines "russischen Rembrandts" genoss, war auch eine kluge Theoretikerin, wie ihre Briefe beweisen. Schon früh machte sie erste Schritte in Richtung Expressionismus.
Bild: DW/S. Oelze
Der Sturm als Karrieresprungbrett
Emmy Klinker war 27 Jahre alt, als sie gemeinsam mit Kurt Schwitters und Elisabeth Niemann an der 64. STURM-Ausstellung teilnahm. Die Ausstellung beschleunigte ihre Karriere. Dank der Vernetzung von Herwarth Walden wurde sie auch zu Ausstellungen anderer Künstlerbewegungen der Zeit eingeladen. Als eines ihrer Werke von den Nazis als "entartet" verfemt wurde, zog sie sich ins Privatleben zurück.
Bild: DW/S. Oelze
Erweiterter Blick
Lavinia Schulz lebte nur 28 Jahre. Dann brachte sie zuerst ihren Mann und dann sich selbst um. Sie engagierte sich für das Expressionistische Theater. Die Künstlerin war auch die erste, die die Kunstschule des STURM besuchte. Dort wurde nicht nur Malerei, sondern auch Bühne und Tanz gelehrt. Ihre Ganzkörpermasken sind nun in der Schirn-Kunsthalle zu sehen: Schulz ist eine von 18 "STURM-Frauen".
Bild: DW/S. Oelze
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Die Geschichte der Moderne in der Kunst ist eine der Männer. Der Hauptgrund klingt banal: Die schwierige Vereinbarkeit von Beruf und Beziehung. In diesem Dilemma steckte schon Marianne von Werefkin (1860-1938), die Ehefrau von Alexej Jawlensky. Zehn Jahre lang, von 1896 bis 1906, unterbrach sie das Malen auf Wunsch ihres Mannes. Jawlensky duldete kein Genie neben sich, er war eifersüchtig auf ihr Können. Die Malerin, die Ende des 19. Jahrhunderts den Ruf eines "russischen Rembrandts" genoss, zog sich deshalb aus der Kunst zurück. Als sie ihr Schaffen 1906 wieder aufnahm, blühte sie nicht nur künstlerisch auf: Ihre Wohnung wurde zum angesagten Treffpunkt von Künstlern und Literaten - den auch Kandinsky frequentierte.
Der STURM entdeckte auch die Künstlerinnen
Werefkins Geschichte steht für die ungezählter Künstlerinnen. Gleichwohl ist sie die bekannteste unter den 18 "STURM-Frauen", deren Schicksal die Schirn anhand ausgesuchter Werke auffächert. Alexandra Exter oder Elisabeth Iwanowa Epstein aus der Ukraine haben ähnliches erlebt. Ihre Sujets und ihre Bildsprache orientierten sich an den Pariser Avantgarden, entwickelten trotzdem ein eigenständiges Werk. Sie waren also auf der Höhe der künstlerischen Entwicklung in Europa. Viele stellten in der STURM-Galerie in Berlin aus oder auch am Großen Deutschen Herbstsalon, den der Verleger und Kunstgalerist Herwarth Walden als Antwort auf den Pariser Herbstsalon in Berlin ins Leben rief. Der Titel der Frankfurter Schau erinnert daran.
Im Unterschied zu anderen Berufsgruppen, in die Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts allmählich vordrangen, blieb es für Künstlerinnen in Europa schwierig. Männliche Vorurteile verhinderten ihre Anerkennung als Künstlerin. Geschätzt wurden allenfalls ihre handwerklichen Fähigkeiten
Herwarth Walden unterschied nicht zwischen Mann und Frau
Die Ausstellung "STURM-Frauen" verbindet Künstlerinnen, die zwischen 1910 und 1932 entweder in der Zeitschrift Der STURM publizierten, oder in der gleichnamigen Galerie in Berlin ausstellten. Initiator Walden stand offenbar unter dem Einfluß starker Frauen, wie die Ausstellungsmacher vermuten. Ab 1903 war er mit der Dichterin Else Lasker-Schüler verheiratet. Von ihr stammte die Namens-Idee. Zur Zeitschrift kamen zwei Jahre später die Galerie, dann noch eine Buchhandlung, eine Bühne und Sturmaktionen hinzu.
Der STURM betrieb Kunst-Export und -Import
Den STURM baute er zu einem internationalen Netzwerk aus. Direkt nach der Eröffnung der Galerie 1912 fuhr er nach Paris und brachte Werke von Sonia Delaunay und Natalja Gontscharowa, die sich bereits in Paris einen Namen gemacht hatten, nach Berlin, wo er eine Ausstellung für sie organisierte. Sein Einsatz für die STURM-Frauen war länderübergreifend: bis nach Tokio reisten die Ausstellungen.
So bietet die Ausstellung nicht nur einen erhellenden Einblick in die Geschichte des Kunsthandels, in Rivalitäten und Machtkämpfe. "Sturm-Frauen" beweist einmal mehr: Nicht männlich oder weiblich ist die Kunst, sondern gut oder schlecht.