Es sah erst nach einem harmlosen Landregen aus und wurde zu einem der schwersten Unwetter seit Jahrzehnten. DW-Redakteur Christoph Hasselbach lebt in der betroffenen Region. Ein persönlicher Erfahrungsbericht.
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Bis Mittwochabend hat es in unserem Eifeldorf fast 24 Stunden ununterbrochen geregnet. Heftig geregnet. Es ist wie ein Dauer-Gewitterregen, nur ohne Blitz und Donner.
Gegen 17.30 Uhr fahre ich mit dem Auto nach Bad Münstereifel zur Post. Von einem Hang strömt bereits viel Wasser über die Straße. Ich denke: Bin mal gespannt, wie das weitergeht.
Als ich eine halbe Stunde später zurückkehre, haben die Wassermassen an der Stelle schon so zugenommen, dass ich einen Augenblick zögere. Mit zwei Rädern auf dem Bürgersteig geht's noch. Aber sicher nicht mehr lange. Eine halbe Stunde später wäre ich wohl nicht mehr nach Hause gekommen.
Tote und Vermisste: Unwetter-Katastrophe in Europa
Schwere Unwetter haben in Deutschland und mehreren Nachbarstaaten für Chaos gesorgt und viele Menschenleben gefordert. Die Lage bleibt extrem angespannt, in vielen Regionen herrscht Katastrophenalarm.
Bild: Polizei/picture alliance/dpa
Reißende Flüsse
Die Kyll ist in normalen Zeiten ein kleiner Nebenfluss der Mosel. Sie fließt aus der belgischen Region Wallonien in die deutschen Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Im besonders vom Unwetter betroffenen Eifelkreis Bitburg-Prüm ist die Kyll bei Erdorf über die Ufer getreten und hat Teile des Dorfes geflutet.
Bild: Harald Tittel/dpa/picture alliance
Auch Millionenstadt betroffen
Auch Köln, mit rund einer Million Einwohnern Deutschlands viertgrößte Stadt, ist von der Hochwasserkatastrophe betroffen - so wie in dieser Bahnunterführung, bei der nur noch das Dach eines Autos aus dem Wasser ragt.
Bild: Marius Becker/picture alliance/dpa
Ganzes Dorf verwüstet
Im kleinen Ort Schuld in der Eifel, rund 50 Kilometer südlich von Köln, sind ganze Häuser von den Wassermassen weggerissen worden. Straßen sind unterspült. Die Drohnenaufnahme zeigt das Ausmaß der Zerstörung.
Bild: Christoph Reichwein/TNN/dpa/picture alliance
Historisches Hochwasser der Ahr
Im Ahrtal haben die Regenfälle ein Jahrhundert-Hochwasser ausgelöst. Bei Ausfall des Pegelmelders am Mittwochabend war die Ahr bereits zwei Meter über dem alten Rekord.
Die Straßen von Esch (Kreis Ahrweiler) haben sich in reißende Ströme verwandelt. Zahlreiche Dörfer und Städte in der Region sind vollständig geflutet.
Bild: Thomas Frey/dpa/picture alliance
Mindestens 43 Tote und rund Dutzende Vermisste in Deutschland
Das erste Todesopfer des Unwetters wurde aus dem Sauerland gemeldet. Ein Feuerwehrmann fiel in Altena nach einem Hilfseinsatz beim Wiedereinstieg ins Einsatzfahrzeug ins Wasser und wurde abgetrieben. "Er konnte kurze Zeit später nur noch tot geborgen werden“, teilte die Polizei später mit. Die Kleinstadt ist weitgehend überflutet - auch Erdrutsche hat es gegeben.
Bild: Markus Klümper/dpa/picture alliance
Bundeswehr hilft
In vielen Regionen im Westen Deutschlands wurde Katastrophenalarm ausgelöst. Das erleichtert die Koordination zwischen den Behörden - und die Kooperaiton mit der Bundeswehr. Mit einem Bergepanzer und schwerem Räumgerät rücken die Soldaten an, um die Schäden, die die Überflutung der Nahma in der Großstadt Hagen verursacht hat, zu beseitigen.
Bild: Roberto Pfeil/dpa/picture alliance
Evakuierung von Stadtteilen
In Leichlingen halfen sich Anwohner durch die Fluten der Wupper. Durch den starken Regenfall war der Pegel des Flusses so stark angestiegen, dass Teile der Stadt evakuiert werden mussten. Besonders betroffen war der Bereich unterhalb der Diepentalsperre. Dort drohte ein Damm zu brechen.
Bild: Roberto Pfeil/dpa/picture alliance
Schäden in Millionenhöhe
Ein Auto ist vom Schutt bedeckt, den die Überflutung der Nahma in Hagen am Vorabend mit sich gebracht hat. Durch die heftigen Regenfälle war das Flüsschen am Rande des Ruhrgebiets zu einem reißenden Fluss geworden.
Bild: Roberto Pfeil/dpa/picture alliance
Auf verlorenem Posten
Am Mittwoch haben Feuerwehrleute im Katastrophengebiet versucht, das Schlimmste zu verhindern. Eine Sperrwand aus Holz sollte Mayschoss im Ahrtal vor den Wassermassen sichern. Am Ende waren viele Bemühungen vergeblich - die Naturgewalten haben sich ihren Weg gebahnt.
Bild: Thomas Frey/dpa/picture alliance
Verkehrsverbindungen unterbrochen
Ein Zug steht in der Nacht am Bahnhof in Kordel im Landkreis Trier-Saarburg in Rheinland-Pfalz. Ein Teil des Ortes wurde von den Wassermassen der Kyll überflutet. In weiten Teil Westdeutschlands ist der Nah- und Fernverkehr unterbrochen - auch die Stromversorgung ist in mehreren besonders betroffenen Gebieten unterbrochen.
Bild: Harald Tittel/dpa/picture alliance
Starkregen sorgt auch in Belgien für Tote
In Belgien sind Medienberichten zufolge zwei Menschen im Zusammenhang mit Starkregen in der Provinz Lüttich ums Leben gekommen. Viele Orte in den Ardennen hat es besonders getroffen. Die Stadt Spa liegt gut 35 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Das Zentrum wurde durch den andauernden Starkregen zum Teil überflutet.
Bild: Bruno Fahy/dpa/BELGA/picture alliance
Schäden an der Infrastruktur
Die Aufräumarbeiten werden auch in Belgien noch lange Zeit in Anspruch nehmen. Der Starkregen hat die Infrastruktur in den betroffenen Gebieten massiv beschädigt. Hier wurde ein Auto von den Wassermassen auf einer überfluteten Straße durch einen Zaun mitgerissen.
Bild: Valentin Bianchi/AP/dpa/picture-alliance
Angst vor Jahrhunderthochwasser in Schweiz
Auch in der Schweiz ist die Gefahr eines Jahrhunderthochwassers noch nicht gebannt. Die Schifffahrt wurde vielerorts eingestellt. Überschwemmungen, Erdrutsche und Murgänge werden aus mehreren Regionen gemeldet. Diese Luftaufnahme zeigt den Fluss Allaine, der nach starken Regenfällen in den letzten Tagen über die Ufer getreten ist.
Wir passen zurzeit auf das Haus der Nachbarn auf, die im Urlaub sind. Am Morgen war im Keller noch alles in Ordnung. Gegen 19 Uhr sehen wir nochmal nach. Alles steht unter Wasser bis zur Oberkante der ersten Treppenstufe. Der Strom ist ausgefallen, auch eine Pumpe, die eigentlich anspringen sollte. Eine Tiefkühltruhe voller Vorräte muss geleert werden.
Wenig später sagt eine Nachbarin, auch ihr Keller laufe gerade voll. Dann noch ein Ehepaar. Wir teilen uns auf und schöpfen gemeinsam mehrere Keller aus, so gut es geht, stundenlang. Das ist Nachbarschaftshilfe!
Es sieht aus, wie nach einem Luftangriff
Ein Nachbar kommt erst spät dazu, weil er einem Bekannten mit einer Souterrainwohnung geholfen hat, die natürlich völlig verwüstet ist. Er erzählt, dass der Rückweg in unser Dorf praktisch abgeschnitten ist. Er probierte sämtliche Zufahrtswege, nur ein einziger war noch so gerade passierbar. Ganze Täler stehen unter Wasser.
Erst am nächsten Tag zeigt sich das ganze Ausmaß der Überflutungen: In Bad Münstereifel sind die massiven Steinbrücken über die Erft weggeschwemmt. Geröllmassen haben sich durch die historische Innenstadt gewälzt, die jetzt aussieht wie nach einem Luftangriff. Es ist unbeschreiblich!
Telefon, Internet und Mobilfunknetz sind tot
Ein Bekannter, der einen Buchladen in einem schönen Fachwerkhaus betreibt, sagt auf unsere Frage, wie es stehe: "Es gibt keinen Laden mehr."
Telefon und Internet sind ausgefallen. Das Mobilfunknetz funktioniert auch nur mit Unterbrechungen. Einige Verwandte haben weder Strom noch Wasser. Ihr ganzes Dorf wird evakuiert, weil eine Talsperre zu brechen droht. Wir werden sie bei uns einquartieren.
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Menschen sind von der Außenwelt abgeschnitten
Einem älteren Familienmitglied geht es ebenso. Aber er ist von der Außenwelt abgeschnitten, weil die Brücke zu seinem Wohngebiet weggespült wurde. Wir überlegen, wie wir ihn über Waldwege hierherbekommen. Einen Tag will er erst einmal ausharren, dann weitersehen.
Das letzte Hochwasser in Bad Münstereifel gab es 2006. Auch damals trat die Erft über die Ufer und überschwemmte die Altstadt. Was neu ist, ist das Ausmaß diesmal, sind die Schuttmassen, die zerstörten Brücken. Und dass ganze umliegende Dörfer von der Außenwelt abgeschnitten sind. Die Schäden scheinen ungeheuer! Und die bange Frage bleibt, ob uns der Klimawandel in Zukunft mehr davon bringen wird.