1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Unzicker: Vertrauen schwindet

Daniel Heinrich
2. Juli 2018

Angesichts der Regierungskrise attestiert Soziologe Kai Unzicker im DW-Gespräch, dass Politiker heute konstant in der Öffentlichkeit sind. Auch deswegen schwinde das Vertrauen der Gesellschaft in die handelnden Akteure.

Archivbild: Berlin - Merkel und Seehofer
Bild: picture-alliance/dpa/B. v. Jutrczenka

Deutsche Welle: Die Regierungskrise in Berlin und München, der Streit zwischen CDU und CSU, brodelt seit Tagen. Färbt dieses Chaos, dieser Umgang miteinander auf höchster politischer Ebene auch auf die Gesellschaft ab?

Kai Unzicker: Streit und auch Krisen gehören zur Politik. Was diese Regierungskrise für langfristige Folgen für die Gesellschaft haben wird, werden wir in irgendwann der Zukunft sehen. Klar ist, dass zu einem gesellschaftlichen Zusammenhalt Vertrauen und Zutrauen zu den politischen Institutionen gehören. Wenn wir uns die Ereignisse der vergangenen Tage anschauen, kann das problematisch werden. 

Innenminister Horst Seehofer soll schon vor Wochen gesagt haben: 'Mit dieser Frau, Angela Merkel, kann ich nicht mehr zusammenarbeiten.' Verändert dieser Kampf um Macht und Einfluss, ums Rechthaben auf politischer Bühne, eine Gesellschaft?

Im Rahmen einer Studie der Bertelsmann Stiftung haben wir im vergangenen Jahr 5.000 Menschen gefragt wie für sie das Zusammenleben in Deutschland funktioniert. Wir haben sie auch gefragt, wie sie die Qualität der politischen Institutionen, der Parlamente, der Regierung, der Parteien wahrnehmen. Die Ergebnisse waren eindeutig: Es gibt eine gewisse Skepsis, Distanz zu politischen Institutionen. Um diese Distanz abzubauen müssten die politischen Institutionen, die Parteien, die handelnden Akteure Verlässlichkeit, Handlungsfähigkeit signalisieren.  Sie müssten Vertrauen erzeugen. Ein Streit, der nicht auf sachlicher, sondern persönlicher Ebene geführt wird, erzeugt kein Vertrauen. 

Der Soziologe Kai UnzickerBild: Thomas Kunsch

Taugen politische Akteure denn noch als Vorbilder?

Das hängt ganz von den einzelnen Personen ab. Wir haben vorbildhafte Politiker in Deutschland, in der ganzen Welt. Es gibt natürlich auch Politiker, Persönlichkeiten, die sich bemühen könnten, Standhaftigkeit, Haltung an den Tag zu legen, Stabilität auszustrahlen.

Stabilität wird dieser Tage in Berlin ja gerade nicht ausgestrahlt. Was für Folgen hat das?

Vertrauen wird generiert durch Verlässlichkeit. Politikern, politischen Parteien, schenke ich Vertrauen, wenn ich den Eindruck habe, die tun das, was ich sage, die verhalten sich so, wie ich das von ihnen erwarte. Das hat natürlich auch viel mit Projektion auf die handelnden Akteure zu tun. Die Idealvorstellung ist: Die Politiker sind in sich geschlossen korrekt, da gibt es keine dunklen Seiten, die diese Leute vor der Öffentlichkeit verbergen. Das hat auch viel mit Idealisierung zu tun. Wir erwarten heute von Politikern, die viel stärker im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen, dass sie noch viel strahlendere Persönlichkeiten sind. Früher hat es gereicht, wenn ein Politiker ein-, zweimal in der Woche im Fernsehen interviewt wurde. Danach konnte er auch wieder einige Tage im Ausschluss der Öffentlichkeit politisch handeln, Gespräche führen, arbeiten. Heute geben die Leute – gerade in der Bundespolitik – täglich gleich mehrere Interviews, werden zu Statements gezwungen. Damit sind manche Politiker natürlich auch überfordert. 

Trägt eine Medienlandschaft, die eine rund-um-die-Uhr-Berichterstattung einfordert, Reporter, die immer auf Abruf stehen, dazu bei, dass eine Lage viel schneller dramatisiert wird?

Das kann dazu führen. Ich gebe Ihnen mal ein spezifisches Beispiel aus unserer Forschung zum Thema Wahrnehmung. Wir haben die Leute gefragt, wie es allgemein um unsere Gesellschaft bestellt ist. 75 Prozent der Leute haben gesagt, dass es irgendwie mit dem Zusammenleben, dem Miteinander in Deutschland nicht zu funktionieren scheint, dass es gefährdet ist. Wenn man sie dann aber fragt: Wie sieht es denn bei Dir, in deiner Umgebung aus? Dann sagen die Leute: In meiner Nachbarschaft, meiner Gemeinde, in meiner Gegend ist alles in Ordnung. Da gibt es ähnliche Zustimmungswerte von 70 Prozent.

Der Umkehrschluss ist: Diese Grundstimmung, dieses krisenhafte, dieses "hier-passiert-gerade-etwas" ist etwas, das auch häufig medial vermittelt wird. Das hat auch viel damit zu tun, wie wir glauben, dass sich die Welt insgesamt entwickelt. Da spielt natürlich die mediale Aufhetzung, der immer schnellere Rhythmus mit dem wir Nachrichten bekommen, eine immer größere Rolle.   

 

Der Soziologe Dr. Kai Unzicker hat an der Universität Bielefeld am Lehrstuhl für Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung gearbeitet. Heute ist er als Senior Project Manager für die Bertelsmann Stiftung tätig.

Das Gespräch führte Daniel Heinrich. 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen