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Literatur

Das neue Netz-Gesetz und seine Folgen

Sabine Peschel
23. April 2019

Können kreative Inhalte besser geschützt und ihre Schöpfer mehr an ihrer Verwertung beteiligt werden? Lassen sich Google und Co. an die Kandare nehmen? Kritiker der EU-Urheberrechtsreform bezweifeln das.

Deutschland geplante EU-Urheberrechtsreform in Hamburg
Bild: picture-alliance/dpa/M. Scholz

Musik, Texte, Bilder, Videos, Audios - das Internet ist eine wunderbare Fundgrube für die Schöpfungen kreativer Menschen. Doch wer darf von den Leistungen der Kreativen profitieren? Seit 2013 tobte der Kampf um eine Neuregelung des Urheberrechts. Ziel war, dass nicht länger vor allem die großen Internet-Plattformen durch Werbeeinnahmen und Datenabschöpfung von den durch sie bereitgestellten attraktiven Angeboten profitieren sollten. Die eigentlichen Urheber, all die Musiker, Schriftsteller und Übersetzer, Filmer, Sprecher und Tönesammler, auch die, die nicht zu den Prominenten ihrer jeweiligen Szene gehören, sollten finanziell wesentlich stärker an den mit ihren Produkten erzielten Einnahmen beteiligt werden. Dagegen hatte eigentlich niemand etwas.

Das Ziel: Urheberrechtsverletzungen vermeiden

YouTube zum Beispiel hat sich schon vor längerem mit der GEMA, der Verwertungsgesellschaft für Musik, über Lizenzabgaben geeinigt. Doch der Versuch, auf europäischer Ebene Voraussetzungen zu schaffen, zukünftig Urheberrechtsverletzungen zu vermeiden, führte zu harten Auseinandersetzungen und riss tiefe Gräben auf. Ganz besonders, wenn es um den Bereich Wort ging, journalistische oder literarische Texte, Artikel, Zitate, Satire.

In ganz Europa protestierten noch kurz vor der Verabschiedung HunderttausendeBild: Reuters/H. Hanschke

Millionen Reformgegner unterzeichneten im Internet Petitionen gegen die Richtlinie. Hunderttausende protestierten noch kurz vor der Verabschiedung der Novelle auf den Straßen und im Internet gegen die Reform, sahen in der EU-Vorlage den falschen Weg und das freie Internet in Gefahr, wenn sämtliche Inhalte vor ihrer Bereitstellung auf mögliche Urheberrechtsverletzungen geprüft werden sollten.

Der digitale EU-Binnenmarkt wird neu geregelt

Doch nachdem am 15. April im EU-Rat die Richtlinie zur Neuregelung des digitalen EU-Binnenmarkts beschlossen wurde, schienen die Kritiker erst einmal verstummt. Deutlich zu vernehmen waren vor allem die positiven Stimmen der Verbände und Verwertungsgesellschaften. Kaum war das Abstimmungsergebnis der EU-Staaten bekannt, veröffentlichte der Börsenverein des Deutschen Buchhandels die Forderung, die Reform noch in diesem Jahr in nationales Recht umzusetzen. Denn für die Verabschiedung der entsprechenden Gesetze haben die Parlamente in den EU-Ländern jetzt zwei Jahre Zeit. 

Der Hintergrund ist nicht unkompliziert: Durch die Reform müssen Verlage zukünftig wieder an den Lizenzgebühren für die Nutzung der von ihnen verlegten Werke beteiligt werden - eine Verpflichtung, die die deutsche Rechtsprechung nach einem langen Streit vor drei Jahren gesetzlich unterbunden hatte.

Wikipedia war am 21. März einen Tag lang offline - aus Protest gegen die UrheberrechtsnovelleBild: picture-alliance/dpa/SvenSimon

Auch der Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) begrüßte das Ja des Europäischen Rates zur Urheberrechts-Richtlinie. "Der Grundsatz, dass die Schöpferinnen und Darsteller von Kunst und Kultur am ökonomischen Erfolg ihres Schaffens zu beteiligen sind, wird durch die Richtlinie europaweit gestärkt", ließ die Vorsitzende des Verbands, Lena Falkenhagen, verlauten. 

 

Werden die Kreativen tatsächlich profitieren?

Der Verband der Literaturübersetzer/innen (VdÜ) schloss sich dem Schriftstellerverband inhaltlich an. Man weise schon seit zwanzig Jahren darauf hin, "dass wir auf vertraglicher Ebene nicht angemessen vergütet werden". Spricht man jenseits bürokratisch geprägter Formulierungen mit Autoren und Übersetzern, bezweifeln allerdings viele von ihnen, dass die Position der Kreativen gegenüber den Internet-Plattformen durch die Reform gestärkt wird. Einen Normvertrag für Übersetzungen beispielsweise gibt es schon lange, nur halte sich in der Praxis individueller Vertragsvereinbarungen kein einziger Verlag daran.

"Für die Urheber wird die Novelle am wenigsten bringen, sowohl finanziell als auch sonst ist dadurch keine wirkliche Stärkung des Urhebers erfolgt", befürchtet der Kritiker Wolfgang Tischer. Seine Seite literaturcafe.de gehört zu den zehn meistgenutzten deutschsprachigen Webseiten der unabhängigen Literaturszene. "Die Zeitungsverlage haben sich das Leistungsschutzrecht jetzt auf europäischer Ebene reinschreiben lassen und die Buchverlage haben die Legalisierung der von den Gerichten als illegal eingestuften Beteiligung an den Beiträgen aus den Verwertungsgesellschaften wieder gesichert."

Unabhängige Autoren befürchten Schwierigkeiten

Er könnte Recht behalten. Die Verwertungsgesellschaft VG Media, die die Rechte von Presseverlagen und privaten Rundfunk- und Fernsehsendern vertritt, hat bereits drei Tage nach dem EU-Beschluss gegen Google geklagt, obwohl die Bundesregierung das nationale Recht erst noch erarbeiten muss. Es geht dabei um Ansprüche von mehreren Milliarden Euro, die Google rückwirkend bis zum Jahr 2013 bezahlen soll.

Tatsächlich jede Urheberrechtsverletzung herauszufiltern, dagegen wäre keinesfalls etwas zu sagen, findet auch Vera Nentwich. Trotzdem hält die Vorsitzende des Selfpublisher-Verbands die Novelle für fragwürdig. Der Verband vertritt etwa 120.000 deutschsprachige Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die ihre Werke ohne Verlag selbst veröffentlichen. Die seit 2015 existierende Interessenvertretung äußert sich kritisch zur Regulierung der Datenkonzerne. "Sie bietet nur Schwierigkeiten und sehr viele offene Türen für Unternehmen, uns als unabhängigen Autoren das Leben schwer zu machen", urteilt Nentwich. "Die Internet-Plattformen werden Hindernisse einbauen, die dazu führen, dass Autoren ihre Werke nicht mehr hochladen oder in irgendeiner Form vermarkten können. Das nehmen wir zum Teil jetzt schon wahr. Die Regulierung gibt Verlagen das Recht, sich Gelder einzuheimsen, die ihnen eigentlich nicht zustehen."

Bedrohen Upload-Filter die Freiheit im Internet?

Filter, durch die geprüft wird, was hochgeladen werden soll, sind auf einigen Plattformen jetzt schon im Einsatz. Ob sich kleinere Plattformen in Zukunft die anspruchsvolle Software leisten können, ist noch fraglich. Giganten wie Facebook und Google könnte das weiter stärken. Zweifelhaft sehen viele Kommentatoren aber vor allem, wie diese Upload-Filter funktionieren werden.

Zentraler Streitpunkt: Artikel 13 der EU-Novelle, der die Upload-Filter betrifftBild: picture-alliance/dpa/M. Skolimowska

Wurde mit den neuen Regeln, die eigentlich vor allem die großen Internetplattformen besser kontrollieren sollen, die Freiheit des Internets geopfert? "Niemand weiß bis jetzt, was durch das Zitatrecht abgedeckt ist. Ob die Plattform schon zahlen muss, wenn ich bei Facebook für meine zehn Freunde ein Gedicht poste, oder es einen Unterschied macht, wenn ich eine Million Follower habe", gibt Wolfgang Tischer zu bedenken. "Wo sind die Maßstäbe?" Möglicherweise verhinderten diese Filter in Zukunft sogar, dass Autoren ihre eigenen Texte veröffentlichen können, befürchtet der Buchblogger.

Zensur durch Technik

Eine Art automatisierte Zensur und darüber hinausgehende Kontrolle durch Upload-Filter, diese Befürchtung war ein Hauptargument der Kritiker in der bisherigen Diskussion. "Die Technik unterscheidet nicht, für wen sie arbeitet", fasst es Wolfgang Tischer zusammen. "Die Veränderung des Internets wird spätestens dann kommen, wenn diese Filter auch für andere Zwecke als zur Prüfung des Urheberrechts eingesetzt werden."

Die EU-Vorlage lässt Vieles noch im Vagen. Wie die deutsche Bundesregierung am Ende das, was das EU-Parlament im März als Vorlage erarbeitet und der EU-Rat verabschiedet hat, gesetzlich ausformulieren wird, ist noch offen.

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