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Politik

Von der Leyens Programm auf dem Prüfstand

17. Juli 2019

Nach ihrer knappen Wahl muss die neue EU-Kommissionspräsidentin überlegen, wie sie ihre wohlfeilen Versprechen erfüllen kann. Wo sind die Mehrheiten? Wo ist der Wille in den Mitgliedsstaaten? Bernd Riegert aus Straßburg.

Frankreich, Straßburg: Ursula von der Leyen
Bild: Reuters/V. Kessler

Ursula von der Leyen hat sich ihre knappe Wahl zur nächsten EU-Kommissionspräsidentin mit einer Reihe von Versprechen und Ankündigungen geebnet. Vor allem den Fraktionen der Sozialisten und Grünen machte sie gut klingende Zusagen. Ob sie die allerdings in den nächsten fünf Jahren in praktische Politik umsetzen kann, hängt nicht von ihrem Geschick alleine ab. Sie braucht Mehrheiten im Europäischen Parlament und vor allem auch im Rat der EU, wo die Minister die 28 Mitgliedsstaaten vertreten. Beide - Rat und Parlament - sind mehr oder weniger gleichberechtigte Kammern der EU-Gesetzgebung.

Der SPD-Abgeordnete Jens Geier, der gegen von der Leyen gestimmt hat, bemängelte, dass von der Leyen Versprechen mache, die teilweise eine Änderung der EU-Verträge nötig machten. Der grüne Abgeordnete Philipp Lamberts verlangt jetzt vier grüne Politiker als EU-Kommissare. "Wenn sie uns wollen, müssen sie uns bezahlen", meinte Lamberts am Tag nach der Abstimmung.

Von der Leyen sagte der DW auf die Frage, wie sie ihre Versprechen umsetzen wolle: "Es geht nicht um Versprechen. Es geht darum, was richtig ist. Das ist Politik, etwas, was wir voranbringen wollen." Trotzdem kann die gewählte Kommissionspräsidentin, die nur einer Behörde und nicht etwa einer Regierung vorsteht, nicht so agieren wie eine Bundeskanzlerin oder Regierungschefin. Sie kann sich weder im Parlament noch im Rat auf eine stabile Mehrheit verlassen, sondern ist ständig auf Kompromisse angewiesen.

Wie realistisch sind von der Leyens Versprechen?

"Europa soll bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent der Welt werden"

Dafür will die neue Kommissionspräsidentin die Ziele für die Einsparung von Kohlendioxid deutlich verschärfen und in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit ein Klimagesetz vorlegen. 2030 sollen bereits 50 oder 55 Prozent eingespart werden. Bislang konnten sich die Mitgliedsstaaten überhaupt nicht auf eine konkrete Zahl festlegen. Die Zahl 40 wurde ins Auge gefasst. Die christdemokratische EVP-Fraktion, also die größten Unterstützer von der Leyens, hielten bislang 45 Prozent für das maximale Ziel. Die EU-Kommission kann vorschlagen, einen neuen Fonds für Klimaschutz aufzulegen und die Europäische Investitionsbank zu einer "Klima-Bank" umzuwidmen. Die Anteilseigner der Bank sind allerdings die Mitgliedsstaaten (im Rat). Unklar ist, inwieweit sich von der Leyen für ihre Ankündigungen den Rückhalt der EU-Mitglieder sichern konnte.

Polnische kohlemine in Pawlowice: Noch ein weiter Weg zur Klimaneutralität. Die Mitgliedsstaaten entscheidenBild: Getty Images/S. Gallup

"Ich schlage einen neuen Pakt für Migration und Asyl vor"

Das dürfte nach Einschätzung von EU-Diplomaten ein sehr hartes Stück Arbeit werden. Über die Frage, wie mit Migranten oder Asylbewerbern verfahren werden soll, die über das Mittelmeer oder über die Balkanroute in die EU gelangen wollen, ist die EU tief gespalten. Die Vorschläge der amtierenden Kommission liegen seit Jahren auf dem Verhandlungstisch, aber die Mitgliedsstaaten können sich nicht einigen. "Es wird nicht einmal mehr diskutiert", berichten Diplomaten. Italien, Polen, Ungarn, Österreich und andere Staaten lehnen die Aufnahme von Flüchtlingen, Asylbewerbern und Migranten strikt ab. Einige Staaten bestehen auf einer verbindlichen Verteilungsquote für Flüchtlinge, die aber seit Jahren nicht durchsetzbar ist. Selbst Urteile des Europäischen Gerichtshofs wurden ignoriert. Das Europäische Parlament hat Ursula von der Leyen in dieser Frage sicher leichter auf ihrer Seite als die Mitgliedsstaaten. Ihr klares Bekenntnis zur Seenotrettung im Mittelmeer wurde mit viel Applaus bedacht, zuständig dafür ist aber nicht die EU, zuständig sind die einzelnen Mitgliedsstaaten. Ihren Wunsch, 10.000 Frontex-Grenzschutzbeamte bereits 2024 und nicht erst 2027 zur Verfügung zu stellen, haben die Mitgliedsstaaten bereits der amtierenden EU-Kommission mehrfach abgeschlagen.

Für Migranten ist die EU-Kommission nicht zuständig: NGO-Boot auf dem Weg nach ItalienBild: picture-alliance/O. Calvo

"Ich werde die neue EU-Kommission paritätisch mit Frauen und Männern besetzen"

Ursula von der Leyen möchte, dass die Mitgliedsstaaten ihr für die Bildung ihres Teams jeweils zwei Vorschläge machen. Zwingen kann sie sie dazu nicht. Im September und Oktober sollen die Kandidaten dann vom Europäischen Parlament angehört werden. Am Ende stimmt das Parlament über die gesamte EU-Kommission ab. Einige Mitgliedsstaaten, wie Dänemark oder Österreich, haben bereits  Kandidatinnen nominiert. Die Zuteilung der wichtigen und weniger wichtigen Portfolios ist, wie von der Leyen vor der Presse selbst sagte, ein großes "Puzzlespiel", bei dem es gilt, ein Gleichgewicht zwischen West und Ost, kleinen und großen Staaten zu halten. Die Kommissionspräsidentin möchte osteuropäischen Staaten gewichtige Zuständigkeiten übertragen, um die Spaltung zu überwinden. Außerdem sind die östlichen Mitgliedsstaaten beim bisherigen Postenpoker leer ausgegangen. Schon der derzeitige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte versucht, mehr Frauen in das Kollegium zu holen. Er beklagte aber schon vor fünf Jahren, dass die 27 übrigen Mitgliedsstaaten zu wenige Frauen nominiert hätten. Die Zurückweisung eines männlichen Kandidaten aufgrund seines Geschlechts ist nach EU-Recht eigentlich verboten.

"Bei der Rechtstaatlichkeit darf es und wird es keine Ausnahmen geben"

Die laufenden Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in Polen und Ungarn sollen energisch fortgeführt werden, kündigte Ursula von der Leyen an. Außerdem wolle sie einen neuen Mechanismus zusätzlich zum Strafverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge einführen. Damit grenzt sie sich klar von den Rechtspopulisten in den genannten Staaten ab und stärkt ihrem künftigen Kommissions-Vizepräsidenten Frans Timmermans den Rücken. Diesen hatten die osteuropäischen Staaten und Italien im Europäischen Rat als neuen Kommissionspräsidenten verhindert. Das Verfahren gegen Polen liegt zurzeit allerdings zur Entscheidung beim Rat der EU, also den Mitgliedsstaaten, der ersten Kammer. Die Kommission hat ihre Aufgabe bereits erfüllt. Das Verfahren gegen Ungarn hat nicht die EU-Kommission, sondern das Europäische Parlament selbst angestrengt. Auch hier müsste der Rat jetzt handeln. Die polnische Regierungspartei PiS behauptet nun, von der Leyen sei nur mit ihren Stimmen knapp ins Amt gewählt worden. Sie erwartet deshalb ein gewisses Entgegenkommen der frisch gekürten Verwaltungschefin, meinte der polnische Ministerpräsident Mateuz Morawiecki. "Polen ist bislang sehr ungerecht behandelt worden."

Gescheitertes Modell wiederbeleben: Von der Leyen will beim nächsten Mal wieder SpitzenkandidatenBild: picture-alliance/dpa/F. Seco

"Das System der Spitzenkandidaten soll besser und sichtbarer werden"

Ursula von der Leyen selbst ist keine Spitzenkandidatin aus einer Parlamentsfraktion gewesen, sondern die überraschende Kandidatin der Staats- und Regierungschefs. Sollte sie das Spitzenkandidaten-System verbindlich machen wollen, müssten entsprechende Bestimmungen aus den EU-Verträgen angewendet werden. Bislang haben die Mitgliedsstaaten das abgelehnt. Kaum vorstellbar, dass sie ihre Macht, den Kommissionspräsidenten vorzuschlagen, aus den Händen geben werden. Größter Gegner ist hier der französische Staatspräsident Emmanuel Macron.

"Ich trete für ein Initiativrecht des Parlaments ein"

Das Recht, Gesetzesvorschläge zu machen, liegt im Prinzip bei der Europäischen Kommission. Allerdings können das Parlament oder der Rat die Kommission, also Ursula von der Leyen, bereits heute auffordern, in bestimmten Bereichen einen Gesetzentwurf vorzulegen. Dieses Recht hat das Parlament, nutzt es aber nur selten. Sie könnte sich verpflichten, mögliche Anregungen des Parlaments schneller aufzugreifen als bislang üblich. Ein förmliches Initiativrecht würde eine Änderung der EU-Verträge erfordern. Der ehemalige Europa-Abgeordnete der CDU, Elmar Brok, sagte dazu der DW: "Das Parlament hat alle Rechte, die es braucht. Es muss sie nur nutzen."

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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