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Urteil im Missbrauchsfall Münster erwartet

5. Juli 2021

Münster steht für einen der größten Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern in Deutschland. Im Zentrum der Anklage steht Adrian V. Gegen ihn und vier weitere Beschuldigte soll nun ein Urteil verkündet werden.

Deutschland Erster Prozess im Missbrauchsfall Münster
Der Angeklagte Ende 2020 im Landgericht MünsterBild: Rolf Vennenbernd/dpa/picture alliance

Die Berichte aus Münster erschütterten im Jahr 2020 Deutschland: In einer Gartenlaube sollen Männer teilweise über Tage hinweg Kinder schwer sexuell missbraucht haben. Durch eine IP-Adresse waren die Ermittelnden zunächst auf den heute 28-jährigen Adrian V. gestoßen. Doch nach und nach wurde klar: Die Taten reichten weit über Münster hinaus, es handelte sich um eines der größten Missbrauchs-Netzwerke der deutschen Geschichte. Die Polizei identifizierte bislang mehr als 50 Tatverdächtige, 30 von ihnen sitzen zur Zeit in Untersuchungshaft.

Gegen wen wird nun ein Urteil gesprochen?

Seit November 2020 läuft am Landgericht Münster der Prozess gegen Adrian V., dessen Mutter sowie drei weitere Männer. Der Prozess gilt als wichtigstes Verfahren im Missbrauchskomplex Münster. Am 6. Juli sollen die Urteile gesprochen werden. Neben dem Hauptprozess in Münster laufen weitere Verfahren gegen Tatverdächtige in anderen Städten.

Missbrauchsfall in Münster: Behörden versagen

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Schlüsselfigur des Missbrauch-Netzwerkes soll Adrian V. sein. Ihm wird vorgeworfen, den minderjährigen Sohn seiner Partnerin vielfach schwer sexuell missbraucht, diese Taten gefilmt und die Videos weiterverbreitet zu haben. Zudem soll er den Jungen anderen Männern zum Missbrauch vermittelt haben. Die Staatsanwaltschaft fordert 14 Jahre Haft für Adrian V. und eine anschließende Sicherungsverwahrung. Für die drei anderen angeklagten Männer hat sie Haftstrafen zwischen zehn und zwölf Jahren beantragt, ebenfalls mit anschließender Sicherungsverwahrung. Die Mutter von Adrian V. soll nach dem Willen der Staatsanwaltschaft wegen Beihilfe für sechs Jahre ins Gefängnis. Sie soll ihrem Sohn die Gartenlaube überlassen haben, obwohl sie gewusst habe, was dort passierte.

Wie groß ist das "Dunkelfeld"?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass in Deutschland insgesamt eine Million Kinder und Jugendliche sexueller Gewalt ausgesetzt sind oder waren. Doch die meisten Taten geschehen unbemerkt, im so genannten Dunkelfeld. 14.500 Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs sowie 18.000 Fälle der Verbreitung von Darstellungen sexueller Gewalt gegen Kinder, vom Staat "Kinderpornographie" genannt, wurden den Behörden im Jahr 2020 gemeldet.

Für Schlagzeilen in Deutschland hatten vor dem Fall Münster vor allem die Missbrauchsserien in Lügde (2018) und Bergisch Gladbach (2019) gesorgt. Alle drei Städte liegen im Bundesland Nordrhein-Westfalen im Westen Deutschlands. Dort hatte die Landesregierung zuvor die Zahl der Ermittelnden erhöht, die Missbrauchsfällen nachgehen.

Julia von Weiler setzt sich bei "Innocence in Danger" gegen sexuellen Missbrauch von Kindern einBild: privat

"Nordrhein-Westfalen ist das einzige Bundesland, das das bisher gemacht hat", sagt Julia von Weiler vom Verein "Innocence in Danger", der sich gegen sexuellen Missbrauch von Kindern einsetzt. "Wenn man mehr Ermittler einsetzt, dann findet man auch mehr Fälle", sagt sie der DW. Entsetzen über einen Anstieg der Fallzahlen in den polizeilichen Kriminalstatistiken sei deshalb unangebracht. "Das ist erst einmal gut. Denn das heißt, es kommen mehr Fälle zur Anzeige. Und wenn man in anderen Bundesländern ebenfalls Chuzpe hätte, würde man dort auch mehr Fälle finden."

Wie kam die Polizei den Tätern auf die Spur?

Zunächst hatten die Ermittelnden nur eine IP-Adresse, von der aus Bilder sexueller Gewalt an Kindern verbreitet wurden. Im April 2019 führt diese IP-Adresse die Polizei zu einem landwirtschaftlichen Betrieb. Systemadministrator dort: Adrian V.

Mittlerweile abgerissen: in dieser Gartenlaube sollen die Täter ihre Verbrechen begangen habenBild: Marcel Kusch/dpa/picture alliance

In der Gartenlaube und im Keller seiner Mutter fanden die Ermittler Festplatten mit riesigen Datenmengen. Allerdings: Die Dateien waren hochprofessionell verschlüsselt oder gelöscht. Es dauerte ein Jahr, bis die Polizei Beweisaufnahmen wiederherstellen konnte, die den Missbrauch zeigten. Nach und nach kam sie anhand der Daten immer mehr mutmaßlichen Tätern auf die Spur. Zuletzt stellte sich Ende Juni 2021 ein Mann aus Berlin, der auf Missbrauchs-Videos zu sehen war und dessen Fahndungsfoto die Polizei veröffentlich hatte.

Hätten die Täter früher gestoppt werden können?

"Ja", sagt Julia von Weiler von "Innocence in Danger." Nämlich dann, wenn Nachbarn, Familienangehörige und Lehrer genau hingeschaut hätten. "Ich kann verstehen, dass man sich damit ungern auseinandersetzt. Aber Wegschauen, Wegducken und Schweigen schützt nur eine einzige Person: die, die es tut. Auf gar keinen Fall die, der es angetan wird."

Kindesmissbrauch im Darknet

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Das erwarte sie von jedem Einzelnen, sagt von Weiler: "Wenn Sie sich Sorgen machen um ein Kind, wenn Sie vermuten, ein Kind ist in Not: dass Sie dann verdammt noch mal handeln. Das ist die individuelle Pflicht zum Kinderschutz." Das allein reiche jedoch nicht aus, um Missbrauch einzudämmen. Denn bei einem Verdacht kämen zunächst Beratungsstellen und dann Jugendämter und andere Behörden zum Einsatz. "Dazu müssten die Jugendämter genug qualifiziertes Personal zur Verfügung haben, das mit einer solchen Vermutung professionell adäquat und gut umgehen kann. Und davon sind wir meilenweit entfernt."

Was kann die Politik tun?

Neben mehr Personal und Technik bei der Polizei fordert von Weiler deshalb eine bessere personelle Ausstattung der Jugendämter. Doch oft werde die Verantwortung hin- und hergeschoben zwischen Bund, Ländern und Kommunen - besonders, wenn es schließlich um die Frage gehe, wer am Ende zahle. "Rein ökonomisch betrachtet ist es aber dann besonders teuer, wenn wir nichts tun", so von Weiler. "Denn wenn diese Kinder schwerster Gewalt ausgesetzt sind, schwerst geschädigt werden, Langzeitfolgen haben, die Schule nicht beenden können, arbeitsunfähig sind, ins Krankenhaus müssen und in die Psychiatrie: dann wird es richtig teuer für die Gesellschaft."

Polizisten fordern immer wieder mehr Befugnisse im Kampf gegen KindesmissbrauchBild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Von Weiler beschäftigt sich seit 30 Jahren mit sexueller Gewalt gegen Kinder. "Es hat sich schon etwas bewegt in Deutschland in dieser Zeit", sagt sie. "Das Thema ist präsenter. Aber es hat sich strukturell noch zu wenig getan. Und ich ahne, dass das leider noch sehr lange dauern wird. Und das heißt, dass wir weiter Kinder mit Ansage über die Klinge springen lassen. Wir wissen nämlich eigentlich, was passiert."

Erst am 30. Juni hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gemahnt, es brauche mehr Anstrengungen beim Kampf gegen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. In einer Rede vor dem Nationalen Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen forderte er eine Haltung des Hinschauens sowie verbesserte Hilfsangebote für Betroffene und ihre Angehörigen.

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