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Politik

NSU-Prozess: Lebenslang für Beate Zschäpe

11. Juli 2018

Entscheidung nach gut fünf Jahren NSU-Prozess: Das Oberlandesgericht München hat Beate Zschäpe wegen zehnfaches Mordes verurteilt. Die Rechtsterroristin muss lebenslang in Haft.

Deutschland NSU Prozess
Bild: Reuters/M. Rehle

Im Prozess gegen den "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) sind am Mittwoch die Urteile gesprochen worden. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe wurde wegen Mordes, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und schwerer Brandstiftung zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Das Gericht stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest. Damit ist eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren so gut wie ausgeschlossen. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl folgte mit seinem Strafmaß der Forderung der Bundesanwaltschaft. Eine Sicherungsverwahrung wurde nicht angeordnet.

Haftstrafen für Mitangeklagte

Der Mitangeklagte Ralf Wohlleben wurde als Waffenbeschaffer für den NSU zu zehn Jahren Haft verurteilt. Das Gericht sprach ihn der Beihilfe zum Mord schuldig. Der Mitangeklagte Holger G. wurde zu drei Jahren Haft verurteilt, André E. zu zweieinhalb Jahren, Carsten S. zu drei Jahren Jugendstrafe. Die Richter blieben damit zum Teil deutlich unter der Forderung der Bundesanwaltschaft. Der Haftbefehl gegen André E. wurde aufgehoben. Die Untersuchungshaft sei nicht mehr verhältnismäßig, sagt der Vorsitzende Richter Manfred Götzl. Dies sorgte zu Beginn der Urteilsverkündung bei einer Gruppe Rechtsradikaler für Jubel.

Das Oberlandesgericht München kurz vor der Urteilsverkündung gegen Beate ZschäpeBild: Reuters/M. Rehle

Mit den Urteilen endet nach mehr als fünf Jahren einer der längsten und aufwendigsten Indizienprozesse der deutschen Nachkriegsgeschichte. Zschäpe selbst nahm die Entscheidung des Gerichts ruhig und gefasst auf. Ihr Pflichtverteidiger Wolfgang Heer kündigte bereits an, Revision einzulegen. In diesem Fall muss das Urteil vom Bundesgerichtshof überprüft werden. Die Verurteilung wegen Mittäterschaft sei "nicht tragfähig begründbar", sagte der Anwalt. "Wir halten die Verurteilung Frau Zschäpes wegen Mittäterschaft an den von Böhnhardt und Mundlos begangenen Taten für rechts-fehlerhaft", sagte Herr im DW-Interview. "Das Gericht setzt sich ganz offensichtlich über die eindeutigen Vorgaben des Bundesgerichtshofs zur Mittäterschaft hinweg." 

Auch der Nebenklage-Vertreter Mehmet Daimagüler will eine Revision prüfen - wegen des Strafmaßes gegen zwei Mitangeklagte. Die Urteile gegen Ralf Wohlleben und André E. seien "nach unserem Dafürhalten sehr, sehr milde", sagte der Anwalt dem Bayerischen Rundfunk. Die drei Jahre Jugendstrafe für Carsten S. hält er hingegen für zu hart. "Ich bin explizit enttäuscht, dass der nochmal einfahren muss. Dieser Mann hat entscheidend zur Aufklärung beigetragen, er hat vor langer Zeit mit der Szene gebrochen", sagte Daimagüler.

Ganze Kubasik vor dem Gebäude des Münchner OberlandesgerichtsBild: picture alliance/dpa/T. Hase

Die Hinterbliebene Gamze Kubasik, Tochter des in Dortmund ermordeten Mehmet Kubasik, hält die Urteile zwar für einen wichtigen Schritt. Die Aufarbeitung der Morde sei aber noch nicht am Ende. "Ich hoffe nun, dass auch alle weiteren Helfer des NSU gefunden und verurteilt werden", sagte sie. "Wenn das Gericht ehrlich ist, wird es auch noch sagen, dass Lücken geblieben sind. Solange diese Lücken bleiben, können meine Familie und ich nicht abschließen."

Gericht folgt Argumentation der Anklage

Zschäpe hatte fast 14 Jahre lang mit ihren Freunden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund gelebt. In dieser Zeit ermordeten die beiden Männer neun Gewerbetreibende türkischer oder griechischer Herkunft und eine deutsche Polizistin. Zudem verübten sie zwei Bombenanschläge in Köln, bei denen Dutzende verletzt wurden.

Zwar gibt es keinen Beweis, dass Zschäpe an einem der Tatorte war. Die Anklage hatte Zschäpe allerdings eine maßgebliche Rolle bei der Tarnung des Trios zugeschrieben und argumentiert, Zschäpe habe "alles gewusst, alles mitgetragen und auf ihre eigene Art mitgesteuert und mit bewirkt". Dieser Argumentation folgte das Gericht. Sie "töteten im bewussten und gewollten Zusammenwirken", sagte Richter Götzl über jede einzelne Mordtat und meinte damit Zschäpe und die beiden Männer.

Zschäpes zwei Verteidiger-Teams hatten den Freispruch von allen Morden und Anschlägen gefordert: Die 43-Jährige sei keine Mittäterin, keine Mörderin und keine Attentäterin. Zschäpe selbst hatte in schriftlichen Einlassungen geltend gemacht, sie habe von den Morden und Anschlägen ihrer Freunde immer erst im Nachhinein erfahren. Die Vertrauensanwälte hatten eine Haftstrafe von unter zehn Jahren gefordert. Zschäpes drei Pflichtverteidiger hatten die sofortige Freilassung beantragt, weil die Haftstrafe für die Brandstiftung mit der Untersuchungshaft schon abgegolten sei.

Selbstmord und Flucht

Der NSU war im November 2011 aufgeflogen. Damals nahmen sich Böhnhardt und Mundlos nach einem gescheiterten Banküberfall in Eisenach (Thüringen) das Leben. Kurz danach ging die gemeinsame Wohnung in Zwickau (Sachsen) in Flammen auf und Zschäpe floh. Tage später stellte sie sich der Polizei.

Das Auffliegen des NSU hatte ein politisches Beben in Deutschland ausgelöst - weil eine rechtsextreme Terrorzelle jahrelang unbehelligt von den Behörden im Untergrund leben und mordend durch die Republik ziehen konnte. Jahrelang hatten die Ermittler zuvor falsche Fährten verfolgt und den rechtsextremen Hintergrund der Taten verkannt. Stattdessen wurden engste Familienangehörige wie Verdächtige behandelt und drangsaliert.

Großes Interesse am Urteil

Während das öffentliche Interesse an den Prozess im Laufe der Jahre teilweise abgenommen hatte, war der Zuschauer-Andrang zur Urteilsverkündung groß. Schon mehrere Stunden vorher bildete sich vor dem Oberlandesgericht München eine lange Schlange. Einige Interessierte waren bereits seit dem späten Dienstagabend dort.

wo/AR (dpa, afp)

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