Urteil nach Brandanschlag auf Asylbewerberheim vor 32 Jahren
9. Oktober 202332 Jahre nach einem Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft im saarländischen Saarlouis ist der frühere Neonazi-Skinhead Peter S. wegen Mordes, versuchten Mordes und besonders schwerer Brandstiftung verurteilt worden.
Das Gericht ist überzeugt, dass er aus Hass auf Ausländer handelte. Bei dem Anschlag am 19. September 1991 starb der 27-jährige Ghanaer Samuel Kofi Yeboah qualvoll bei vollem Bewusstsein durch schwerste Verbrennungen am ganzen Körper. Weitere Bewohner wurden verletzt.
Das zuständige Oberlandesgericht in Koblenz verhängte gegen den heute 52-jährigen Peter S. eine Jugendstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten. Jugendstrafrecht hatten die Vertreterin des Jugendamts und eine Gutachterin wegen der Unreife von Peter S. zur Tatzeit empfohlen. Mit 20 Jahren galt er als Heranwachsender. Die mögliche Höchststrafe lag deshalb bei zehn Jahren. Strafmildernd wirkte sich seine Alkoholisierung zur Tatzeit aus.
Die Bundesanwaltschaft hatte neuneinhalb Jahre Freiheitsstrafe wegen Mordes aus rassistischen Motiven und nationalsozialistischer Überzeugung gefordert, die Verteidigung viereinhalb Jahre wegen Beihilfe. Die Verteidiger hatten Peter S. als Mitläufer beschrieben, der bei der Tat eines anderen Skinheads nur dabeigestanden habe. Dieser Darstellung folgte das Gericht nicht..
Gericht erkennt drei Merkmale für Mord
Die Richter zeigten sich überzeugt, dass Peter S. aus der rechten Neonazi-Skinhead-Szene in Saarlouis, einer 35.000-Einwohner-Stadt im Saarland im Westen Deutschlands, die Tat selbst begangen hat. Er soll sich nachts in ein Asylbewerberheim geschlichen, Benzin auf die Holztreppe gegossen und entzündet haben. Im Haus lebten geflüchtete Menschen aus Ghana, Nigeria, der Elfenbeinküste, Mauretanien, dem Sudan und dem ehemaligen Jugoslawien. Das Feuer breitete sich rasend schnell aus.
Das Gericht erkannte drei Mordmerkmale: niedere Beweggründe, Heimtücke gegen wehrlose Menschen und durch die Brandstiftung mit Benzin sogenannte gemeingefährliche Mittel. Peter S. habe vor dem Hintergrund seiner rechtsextremen Überzeugung aus Ausländerhass gehandelt und habe mit seiner Tat ein Zeichen an alle Ausländer senden wollen, dass sie in Deutschland nicht in Sicherheit leben können, sagte Richter Konrad Leitges. Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte sei dies besonders verachtenswert.
Allerdings erkannte das Gericht für die Menschen, die in der Tatnacht im Erdgeschoß einen Geburtstag feierten, im Gegensatz zur Anklage und Nebenklage keinen versuchten Mord, der Täter habe bei ihnen von einer Rettung ausgehen können, weil er Licht sah und Stimmen hörte. Nebenklagevertreter Björn Elberling, der einige von ihnen vertritt, hält das für nicht nachvollziehbar. Es sei klar das Ziel gewesen, Menschen zu töten. Auch Ursula Quack vom saarländischen Flüchtlingsrat, die im Kontakt mit Betroffenen ist, kritisierte die Einschätzung, diese Menschen nicht als Mordopfer zu werten.
"Eines Tages werden die mich umbringen"
Der Richter erinnerte daran, dass Samuel Kofi Yeboah selbst am Abend vor der Tat mit seinem Freund an den Skinheads auf dem Großen Markt in Saarlouis vorbeigekommen war. Dort habe er zu ihm gesagt: "Du wirst sehen, eines Tages werden die mich umbringen." Wenige Stunden später traf ihn die Feuerwalze.
Yeboah und sein Freund hatten am Vortag einen Fernsehbericht über rassistische Ausschreitungen gegen Asylbewerber gesehen. Im Prozess ging es auch um die Welle ausländerfeindlicher Anschläge Anfang der 1990er Jahre in Deutschland , die Vernetzung von Rechtsextremisten im In- und Ausland sowie um Versäumnisse von Polizei und Politik. Ein Prozess, der ein Signal sein könnte sowohl für Betroffene rechter Gewalt als auch für die Täter.
Dank an eine mutige Zeugin
Die Anklage und die Beweisaufnahme im Prozess stützten sich auf Vernehmungen von Mitgliedern der Neonazi-Szene, das Verhalten von Peter S. nach der Tat und die Aussage der Hauptbelastungszeugin, die 2019 neue Ermittlungen ausgelöst hatte.
Der Angeklagte soll der Zeugin 2007 bei einem Grillabend über den Brandanschlag gesagt haben: "Das war ich und sie haben mich nie erwischt." Als sie erfuhr, dass jemand dabei getötet wurde, meldete sie das der Polizei. Acht Überlebende der Brandnacht hatten sich dem Prozess als Nebenkläger angeschlossen. Ihre Anwälte bedankten sich für ihre mutige Aussage, ebenso wie für die Arbeit der Ermittler und der Anklagebehörde seit 2019.
Verteidigung: Mitläufer ohne rassistisches Motiv
Die Verteidiger hatten eine deutlich niedrigere Freiheitsstrafe gefordert. Sie begründeten das damit, dass ihr Mandant die Tat nicht selbst begangen habe. Außerdem soll er 1991 nicht aus rassistischen Motiven gehandelt haben, argumentierte Rechtsanwalt Guido Britz. Zum Tatzeitpunkt sei S. neu in der Neonazi-Skinhead-Szene gewesen, ein Mitläufer, der dazu gehören wollte und einen Familienersatz suchte. Er bedaure das Geschehene zutiefst.
Das Gericht stellte fest, diese Worte in der Verteidigererklärung seien die einzigen Anzeichen von Reue. Sein Verhalten nach der Tat zeige keine Empathie oder menschliche Regung. Bei Durchsuchungen vor seiner Festnahme wurden bei ihm menschenverachtende Bilder in Chats gefunden sowie ein Foto, das ihn in SS-Uniform mit Hakenkreuzbinde zeigt.
Nach anfänglichem Leugnen im Prozess hatte der Angeklagte durch seinen Verteidiger erklären lassen, er sei beim Brandanschlag auf das Asylbewerberheim dabei gewesen. Das Benzin ausgegossen und angezündet habe aber Heiko Sch. aus der Skinhead-Szene. Peter S. beantwortete keine Fragen. Das Gericht schenkte dieser Darstellung keinen Glauben, erkannte aber Täterwissen, weil er von einer Holztreppe mit Teppich berichtet hatte.
Heiko Sch. sagte zweimal vor Gericht aus. Gegen ihn und den damaligen Anführer der Saarlouiser Skinheadszene Peter St. ermittelt mittlerweile die Bundesanwaltschaft. Peter St. befindet sich seit Juni in Untersuchungshaft. Am Abend vor der Tat hatten die drei Männer nach übereinstimmenden Aussagen in einer Gaststätte Alkohol getrunken und über die rassistisch motivierten Angriffe auf Ausländer in Ostdeutschland gesprochen.
Zwei Tage vor dem Brandanschlag in Saarlouis hatten in Hoyerswerda Angriffe begonnen, Brandsätze wurden geworfen. Auch an anderen Orten gab es pogromartige Zustände. Nach Aussage von Heiko Sch. soll der dominante Szeneführer St. gesagt haben: "Hier müsste auch mal sowas passieren". Peter S. und Peter St., die als enge Freunde gelten, haben das bestritten.
Verhöhnung des Ermordeten
Nach Anklage- und Nebenklage-Plädoyers erinnerte auch der vorsitzende Richter Konrad Leitges in der Urteilsbegründung an die Brandnacht und den Ermordeten: Samuel Kofi Yeboah (27) kämpft in der Nacht zum 19.09.1991 im Dachgeschoss des brennenden Asylbewerberheim in Saarlouis um sein Leben. "Ich sterbe, ich sterbe" - Mitbewohner, die sich über Fenster, Balkone oder Feuerleitern retten konnten, hören zehn bis 15 Minuten lang seine verzweifelten Hilfeschreie aus dem Dachgeschoss, die langsam verstummen, das haben sie ausgesagt. Wegen der Flammen und des Rauchs auf der Treppe können sie ihm nicht helfen.
Als der 27-Jährige schließlich von der Feuerwehr herausgetragen wird, ist sein ganzer Körper verbrannt und verkrümmt. Einer der Mitbewohner berührt ihn, da bricht ein Finger ab. Samuel Yeboah ist die ganze Zeit bei Bewusstsein, bis er im Krankenhaus qualvoll stirbt. Zwei Mitbewohner haben sich Knochenbrüche zugezogen, andere leiden unter Rauchvergiftungen.
In der Skinheadszene wurde der Ermordete verhöhnt, das berichteten Zeugen. Peter S. selbst sagte: "Der Idiot ist in die falsche Richtung gelaufen." Man verglich den Toten mit einem verkohlten Würstchen. Der Angeklagte Peter S. habe "hämisch gegrinst", wenn über den Anschlag gesprochen wurde, berichteten Zeugen. Er wurde als "Feuerteufel" bezeichnet.
Traumata bei Überlebenden
"Dieser Mann wollte uns alle ermorden und hat unseren Freund Samuel Kofi Yeboah getötet", das sagte Abdul S. (Name geändert), einer der Überlebenden und Nebenkläger im Prozess am OLG Koblenz. Feuer können einige bis heute nicht ertragen, das berichteten sie vor Gericht. "Wenn geschrien wird, verliere ich die Kontrolle", hat ein Mandant von Nebenklage-Vertreter Björn Elberling ausgesagt. Ein Familienvater wache oft nachts weinend auf.
Wer hat ihnen das angetan und warum? Mit diesen Fragen waren sie jahrzehntelang allein, sagen die Überlebenden. Nach dem Anschlag hatte die Polizei nur kurz gegen die rechte Szene ermittelt, Alibis wurden nicht überprüft, in den Akten steht das rassistische N-Wort. Die saarländische Ministerpräsidentinhat sich erst im Juni bei den Betroffenen für Fehler entschuldigt. Die Stadt Saarlouis spricht erst seit kurzem überhaupt von einer rassistischen Tat.
"Zu der allerersten Gedenkveranstaltung der Stadt Saarlouis nach 32 Jahren am 19. September 2023 wurde keiner der Überlebenden eingeladen", kritisieren der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemischer Gewalt (VBRG) und der Saarländische Flüchtlingsrat. Diese Missachtung der Überlebenden zeige massive Defizite in der Auseinandersetzung mit Rassismus und Rechtsterrorismus im Saarland.
Sieben Überlebende konnten nicht mehr ausfindig gemacht werden, 13 haben ausgesagt. Nach dem Brandanschlag bekamen sie keine Hilfe der Behörden, stattdessen erhielten einzelne Abschiebebescheide. Einige erlebten in der nächsten Asylunterkunft in Saarlouis erneut rechte Angriffe und einen Brandanschlag. Es folgten zahlreiche weitere im Saarland.
Zeugen aus der Neonazi-Szene
Mord verjährt nicht in Deutschland, aber die Aufklärung nach mehr als 30 Jahren ist aufwendig. Beweisstücke vom Tatort wie den Benzinkanister gibt es nicht mehr. Seit Mitte November hat der Staatsschutzsenat am Oberlandesgericht Koblenz verhandelt mit vielen tausend Aktenseiten und 94 Zeugenvernehmungen.
"Es ist lange her" - viele Zeugen aus der damaligen Neonazi-Szene beriefen sich auf Erinnerungslücken. Einer beschwerte sich, er habe nicht damit gerechnet, dass ihn seine Vergangenheit in der rechten Szene noch einmal einhole.
Die Richter ermahnten Zeugen mehrfach, die Wahrheit zu sagen, als eklatante Widersprüche zu anderen Aussagen auffielen. Keiner muss sich selbst oder enge Angehörige belasten, doch jeder muss vor Gericht die Wahrheit sagen. Gegen zwei Zeugen wird wegen uneidlicher Falschaussage ermittelt, das hat die Staatsanwaltschaft Koblenz der DW bestätigt.
Rechte Szene: gewaltbereit und gut vernetzt
Mehrere Zeugen aus der Neonazi-Szene sagten aus, Angriffe auf Ausländer habe man damals "gefeiert". Nebenklagevertreterin Kristin Pietrzyk fragte eine Zeugin nach der Reaktion auf andere Brandanschläge wie in Mölln oder Solingen: "Hat schon wieder gebrannt, klasse." "Auch wenn Menschen gestorben sind?" "Ja." "Auch der Angeklagte?" "Ja, der hat das für gut befunden, hat nicht gesagt, tut mir leid." Die Anwältin fragte nach: "Auch nicht, wenn Kinder verbrannt sind?" "Ne."
Wie gewaltbereit die Szene war, zeigte schon 1986 der Artikel "Terror der Skins" im Magazin Stern. Zum brutalen Mord an einem jungen Türken in Hamburg sagte ein Skinhead aus Saarlouis: "Die Skins, die das gemacht haben, haben das einzige Mal in ihrem Leben das Richtige gemacht." Er nannte sich Mengele - wie der SS-Arzt im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Das Gericht ordnete den Spitznamen einem Zeugen zu, der die Aussage verweigerte.
Die rechtsextreme Szene war im In- und Ausland vernetzt über Flugblätter, Telefonate, Konzerte und Aufmärsche. Es gibt Fotos von Peter S. und anderen bei einem Gedenkmarsch für den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß in Worms 1996. Dort waren auch Mitglieder und Unterstützer des späteren rechtsterroristischen NSU ("Nationalsozialistischer Untergrund") aus Thüringen. Ein Zeuge, der als Sozialarbeiter mit den Skinheads in Saarlouis gearbeitet hatte, berichtete von Drohungen. Jahre später habe er erfahren, dass er auf einer "Feindesliste" des NSU stand.
Zehn Tage nach dem Brandanschlag gab es im Saarland im Wald ein Konzert mit der neonazistischen Band Skrewdriver aus Großbritannien. Dort soll auch ein Sprecher des Ku-Klux-Klan aus den USA aufgetreten sein. Szene-Mitglieder engagierten sich in Organisationen, die teilweise später verboten wurden. Eine Zeugin wollte in die "Hatebar" der neonazistischen Hammerskins. Im September wurden die Hammerskins in Deutschland verboten.
Signal für Betroffene rechter Gewalt und Täter
Die Aufklärung des Brandanschlags in Saarlouis sei ein Signal an alle Opfer und Betroffenen der Anschläge in den 1990er Jahren, sagte Oberstaatsanwalt Malte Merz. Rechtsanwalt Björn Elberling, der vier der acht Nebenkläger vertreten hat, ergänzte, es sei auch ein Zeichen an die Täter, dass sie sich nicht sicher fühlen könnten. Auf die Verschwiegenheit der Szene könnten sie sich nicht verlassen. "Wenn alle dichthalten, kommt schon nichts raus", zitierte Richter Leitges einen Ausspruch eines der Neonazis nach Wiederaufnahme der Ermittlungen. Doch einige haben ausgesagt.
"Der Anschlag und dass wir drei Jahrzehnte vom Staat im Stich gelassen wurden, hat unser Leben beschädigt", sagte der Überlebende und Nebenkläger Abdul S.. Seine Hoffnung, dass das Gericht den Angeklagten verurteilt, wurde erfüllt.
Die Versuche zur Aufklärung sollen in einem Untersuchungssauschuss des saarländischen Landtags weitergehen. Folgen könnte auch noch ein Verfahren gegen den damaligen Szeneanführer Peter St..
Das Urteil gegen Peter S. ist bisher nicht rechtskräftig. Bundesanwaltschaft, Verteidigung und Nebenklage-Vertreter Björn Elberling haben Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt. Das hat die Sprecherin des Oberlandesgerichts Koblenz der Deutschen Welle bestätigt.
Dieser Artikel wurde am 8.10.2023 publiziert, nach der Urteilsverkündung am 9.10.2023 und am 17.10.2023 nach Einreichung der Revision aktualisiert.