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"US-Abgastests sind Vorbild für die EU"

Gero Rueter29. September 2015

Autos pusten mehr Stickoxide und CO2 aus und verbrauchen mehr Sprit als es die Hersteller versprechen. Konsequenzen drohen nun auch in der EU. Michael Cramer fordert für Europa Kontrollen wie in den USA.

Deutschland VW-Skandal Abgase Symbolbild
Bild: DW/G. Rueter

Deutsche Welle: Herr Cramer, der VW-Skandal bringt Manipulationen ans Licht: Die Diesel-PKW stoßen viel mehr Stickoxide als erlaubt aus. Aber auch Spritverbrauch und CO2-Emissionen der PKW sind in der Realität viel höher als angegeben. Wie konnte das passieren?

Michael Cramer: Offensichtlich hat VW vor vielen Jahren die Entscheidung getroffen, lieber mit krimineller Energie zu betrügen als die Wahrheit zu sagen und alles darauf zu setzen, dass man die Vorgaben einhält. Schon 2007 soll Bosch VW vor illegalen Manipulationen gewarnt haben.

Deshalb wissen wir: Seit Jahren wird manipuliert und nicht nur bei VW. Fast nirgendwo stimmen die Angaben der Hersteller mit der Realität überein. Die britische Konsumentenorganisation "which" hat zum Beispiel die Verbrauchswerte von 200 Autos getestet und bei nur drei PKW stimmten die Angaben der Hersteller.

Wie hoch sind die Abweichungen zwischen Herstellerangaben und Realität?

Bei der Euro-6-Norm darf maximal 80 Milligramm Stickoxid pro Kilometer in die Luft gelangen, in der Realität sind es aber oft 500 Milligramm, also mehr als das sechsfache. Die EU-Kommission hat sogar Deutschland damit gedroht, in einigen Städten Dieselautos zu verbieten, weil die Konzentration von Stickoxiden in der Luft so hoch ist und die Gesundheit erheblich gefährdet. Brüssel macht hier Druck, nur Berlin stellt sich hier stur.

EU-Verkehrsexperte Michael CramerBild: David Morrison

Und beim Sprit und CO2 deckte die Studie von der unabhängigen Organisation International Council on Clean Transportation (ICCT) auf, dass Neuwagen in Europa knapp 40 Prozent mehr Treibstoff verbrauchen und damit auch 40 Prozent mehr CO2 ausstoßen.

Experten wissen schon lange, dass die Angaben der Autohersteller von der Realität abweichen. Wieso änderte sich daran nichts?

Es gibt eine ganz enge Abstimmung zwischen Teilen der Politik und der Automobilindustrie, in Deutschland ist sie besonders stark. Da heißt es immer Arbeitsplätze, Arbeitsplätze, Arbeitsplätze. Die USA haben schärfere Tests und schärfere Kontrollen. Sie könnten hier für die EU ein Vorbild sein. Aber sie werden nicht als Vorbild genommen, stattdessen wird an den Werten manipuliert, so dass man die Werte auf dem Papier erzielt.

Was unternimmt die EU?

Erstens: Ab 2016 sollen die Emissionen der Fahrzeuge auch im Realbetrieb geprüft werden. Dann spiegeln die Angaben endlich die Realität wieder. Zweitens: Die Grenzwerte müssen weiter verschärft werden. Aber die deutsche Regierung blockt. Sie will, dass bei den realitätsnahen Messungen dann eben die Grenzwerte angehoben werden müssen.

Das stellt alles auf den Kopf und macht den Betrug zum Maßstab der Dinge - und nicht die Umweltverträglichkeit und die Gesundheitsfürsorge. Um diesen Irrsinn zu verhindern, fordern wir im Europäischen Parlament die EU-Kommission zum schnellen Handeln auf. Sie muss sich in Kürze vor den Abgeordneten verantworten.

Macht beim Abgastest sicherlich keine Probleme: Elektroauto beim VW-Händler in KölnBild: DW/G. Rueter

Die EU hatte beschossen, dass die verkauften PKW im Jahr 2015 im Durchschnitt maximal 130 Gramm CO2 pro Kilometer (g/km) ausstoßen dürfen. Bei Überschreitung werden Strafen fällig. Die Hersteller erreichen die EU-Vorgaben mit den umstritten Labortests, jedoch nicht auf der Straße. 2014 lag der durchschnittliche CO2-Ausstoß neuer PKW auf der Straße bei 170 g/km. Die EU-Zielvorgaben werden in der Realität 2015 wohl verfehlt. Kann jetzt die EU die Hersteller auch zur Kasse bitten?

Bei kriminellen Manipulationen in jedem Fall. Wir leben in einem Rechtsstaat. Wir werden sehen, was VW in den USA alles bezahlen muss. Ich hoffe, dass der VW-Skandal uns hilft, dass nichts mehr verwässert wird und auch die realistischen Tests jetzt schnellstmöglich eingeführt werden.

Ist das für die Autohersteller ein Vorteil, wenn jetzt auch die EU entschieden kontrolliert und sanktioniert?

Ja, das ist definitiv ein Vorteil. Die Automobilindustrie ist gefordert, von ihrem alten Geschäftsmodell abzugehen. Wenn sie nicht sauber ist, hat sie für die Zukunft keine Chance - gerade im harten internationalen Wettbewerb.

Der Autoskandal ist also eine Chance?

Jeder Skandal ist immer auch eine Chance. Aus Fehlern kann man lernen - und das muss jetzt geschehen.

Michael Cramer ist Mitglied im Europäischen Parlament (Bündnis 90/Die Grünen) und dort Vorsitzender im Ausschuss für Verkehr. Seit 1989 ist Cramer Verkehrsexperte in seiner Partei.

Das Interview führte Gero Rueter

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