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Politik

"Zu lange geredet, statt Probleme anzupacken"

22. Januar 2018

Nach einem Jahr im Amt stecken US-Präsident Donald Trump und seine Republikaner im Umfragetief. Ob und inwieweit die Opposition davon profitieren kann, erläutert US-Demokrat Jaime Harrison im DW-Interview.

Eine Gegner von US-Politikerin Hillary Clinton demonstriert am 12.09.2017 in New York
Bild: picture-alliance/dpa/ZUMA Wire/N. Kaszerman

DW: Mr. Harrison, die Demokratische Partei hat 2016 eine unerwartete und niederschmetternde Niederlage gegen Donald Trump und die Republikaner erlitten. Hat Ihre Partei sich davon überhaupt schon wieder erholt?

Jaime Harrison: Wir sind noch dabei, uns davon zu erholen. Das Wichtigste ist für uns derzeit, die Partei neu aufzustellen. Unter Präsident Barack Obama haben wir viel Gutes erreicht - aber wir haben unsere Strukturen auf Bundesstaaten-Ebene vernachlässigt: Da geht es darum, Kandidaten für öffentliche Ämter zu finden und aufzubauen, starke Persönlichkeiten in der Partei zu fördern, und die regionalen Parteiorganisationen zu stärken. Denn letztlich ist das der Apparat, mit dem man Wahlen vorbereitet und gewinnt. Dass Barack Obamas 2008 die Präsidentschaftswahl gewinnen konnte, lag auch daran, dass die damalige Parteiführung stark in eine "50-Staaten-Strategie" investiert hatte. Die sorgte dafür, dass wir im ganzen Land konkurrenzfähig waren - und zwar nicht nur im Kampf um das Präsidentenamt, sondern auf allen Ebenen. Aber nach dem Sieg Obamas hat man das schleifen lassen, und das war einer der Gründe, warum wir 2016 verloren haben. Deshalb haben wir die "50-Staaten-Strategie" jetzt wieder neu aufgelegt, um besser vorbereitet in die Wahlen 2018 und 2020 zu gehen.

Unter den Unterstützern der Demokratischen Partei ist die Ablehnung gegen Donald Trump, die Wut über seine Politik und sein Verhalten, enorm. Da könnte doch die Versuchung für Sie groß sein, sich bei den nächsten Wahlen einfach auf den Anti-Trump-Reflex zu verlassen. Allerdings hat schon Hillary Clintons Wahlkampf darunter gelitten, dass er vor allem als Gegen-Trump-Kampagne wahrgenommen wurde, und das war vielen Wählern dann wohl doch zu wenig. Wie können die Demokraten verhindern, dass sie wieder in diese Falle tappen?

Wir müssen versuchen, wieder näher an die Wähler heranzukommen. Wir müssen zuhören und herausfinden, was sie umtreibt und welche konkreten Veränderungen sie wollen. Und dann müssen wir dem auch Taten folgen lassen. Um das zu erreichen, haben wir unter anderem die Initiative "Dems For You" ("Demokraten für Dich") ins Leben gerufen. Das folgt der Erkenntnis, dass die Leute uns nicht über Werte reden hören wollen. Sie wollen, dass wir diese Werte mit Leben füllen. Und das heißt, dass wir bei den Bürgern sind, dass wir ihnen ganz konkret bei den Problemen helfen, die sie im Alltag haben: Wie schreibe ich eine Bewerbung? Wie bekomme ich Schulmaterialien für mein Kind? Wir müssen Dienstleister sein. Wir müssen uns kümmern. Nur so können wir das Vertrauen zurückgewinnen, dass wir in den vergangenen Jahren verloren haben.

Jaime HarrisonBild: picture-alliance/AP Photo/D. Zalubowski

Nach der letzten Wahl wurde auch oft die Kritik geäußert, die Clinton-Kampagne habe sich zu sehr als Koalition von Minderheiten verstanden - eine Allianz von vielen ethnischen und gesellschaftlichen Minderheiten, Initiativen und Interessengruppen, der aber eine einigende Botschaft fehlte, und die vor allem kein Angebot für diejenigen bereithielt, die sich von dieser Minderheiten-Allianz nicht repräsentiert fühlten. Weiße Männer, zum Beispiel. Gibt es denn jetzt so etwas wie eine Botschaft, hinter der sich alle Amerikaner vereinigen können? Wofür steht die Demokratische Partei?

Wir stehen für eine Idee, für die wir auch unter Präsident Obama standen, und für die wir auch davor schon standen. Wir glauben, dass jeder Amerikaner - unabhängig von Rasse, Herkunft und Geschlecht - die Möglichkeit haben sollte, den amerikanischen Traum zu leben. Und dabei sind wir uns bewusst, dass dies in der Realität oft nicht so ist, dass es da für viele Menschen große Barrieren gibt. Und deshalb ist es unserer Ansicht nach Aufgabe der Regierung, dafür zu sorgen, dass diese Barrieren verschwinden, dass jeder, der hart arbeitet, seine Chance bekommt. Darum kämpfen wir jeden Tag, ob es um Bildung geht oder die Gesundheitsversorgung oder um Arbeitsplätze oder um Steuern. Und das unterscheidet uns stark von der Partei, die jetzt in der Regierung ist.

Sie haben aber viele Wähler verloren, die lange als "sichere Bank" der Demokraten galten: Arbeiter und Angestellte aus der unteren Mittelschicht in den alten Industriegebieten des Mittleren Westens zum Beispiel. Aus diesen Regionen war immer wieder zu hören: Die Demokraten sind kurz vor Wahlen zu uns gekommen, haben schöne Reden geschwungen und Versprechungen gemacht, aber verbessert hat sich dadurch nichts. Im Gegenteil, die Lage in vielen Orten hat sich in den vergangenen Jahren ständig verschlechtert, obwohl die Wirtschaft insgesamt boomte. Was also haben die Demokraten diesen "vergessenen Männern und Frauen", die sich Trump zugewandt haben, heute anzubieten - außer noch mehr schönen Worten?

Darum sind Initiativen wie "Dems For You" so wichtig. Denn da geht es um Dinge, die man wirklich verändern kann, und bei denen man die Veränderung auch sehen kann. Wir müssen wieder eine Graswurzel-Organisation werden, die Probleme an den Wurzeln bekämpft, mit konkreten Aktionen. Wir Demokraten haben viel zu lange nur geredet, statt die Probleme der Leute tatsächlich anzupacken.

Wahlkämpferin Clinton im Juni 2016 in Fresno (Kalifornien)Bild: picture alliance/AP Photo/J. Locher

Sie haben allerdings auch noch das eine oder andere Problem innerhalb Ihrer Partei, oder? Hinter den Kulissen der gemeinsamen Empörung über Trump tobt ein Machtkampf zwischen dem linken Flügel, der vor der letzten Wahl den Kandidaten Bernie Sanders unterstützte, und dem eher gemäßigten Establishment-Flügel der Partei, für den Hillary Clinton stand. Gelöst oder ausgefochten haben Sie diesen Konflikt noch nicht: Es gab eine Kampfabstimmung um den Vorsitz im Democratic National Committee (DNC), dem Führungsgremium der US-Demokraten. Den hat der Establishment-Kandidat Tom Perez gewonnen  - und sein Rivale Keith Ellison vom Sanders-Flügel wurde sein Stellvertreter. Aber das ist doch nur ein brüchiger Burgfrieden und keine echte Einigkeit, oder?

An der Einigkeit arbeiten wir noch. Aber ehrlich gesagt ist das auch kein ganz neues Phänomen. Wir hatten 2008, im Vorwahlkampf zwischen Hillary Clinton und Barack Obama, eine viel heftigere Auseinandersetzung innerhalb der Partei als 2016. Obama hat dann die Wahl gewonnen, und deshalb schien die Partei stärker geeint, weil sich alle darauf konzentriert haben, in der Regierung Erfolg zu haben. 2016 haben wir verloren, und deshalb sieht es jetzt so aus, als sei die Partei zerstritten. Aber alle Demokraten sollten sich jetzt fragen, was wichtiger ist: Recht zu behalten in einer Debatte mit einem anderen Demokraten, mit dem man wahrscheinlich bei 85 Prozent aller Fragen übereinstimmt, nur um sich bei den anderen 15 Prozent auch durchzusetzen? Oder zusammenzuhalten, um Donald Trump in die Schranken zu weisen? 

Glauben Sie, dass die Demokraten eine Chance haben, im Senat und im Repräsentantenhaus - oder zumindest in einer der beiden Kammern - im November die Mehrheit zu gewinnen?

Da bin ich sehr optimistisch. Es gibt ähnliche Signale wie bei unserem Sieg bei den Zwischenwahlen 2006 - zwei Jahre bevor Obama die Präsidentschaft gewann: Die demokratische Basis ist auch heute wieder hoch motiviert, weil sie mit dem Kurs der Regierung überhaupt nicht einverstanden ist. Dagegen ist die republikanische Basis recht zurückhaltend, wie im vergangenen Jahr in Alabama und Virginia zu beobachten war. Die unabhängigen Wähler sind auch nicht glücklich mit den Republikanern. Und während wir so viele Kandidaten aufbieten können wie nie zuvor, wollen viele republikanische Senatoren und Abgeordnete gar nicht mehr zur Wahl antreten. Das sagt mir, dass wir eine gute Chance haben, im November zumindest das Repräsentantenhaus zurückzuerobern.

Jaime Harrison aus South Carolina ist Vorstandsmitglied im Democratic National Committee (DNC), dem Führungsgremium der US-Demokraten. Er gilt als einer der jungen Hoffnungsträger der Partei von Barack Obama und Bill Clinton.

Das Gespräch führte Carsten von Nahmen.

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