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US-Geheimpapiere im Netz - was bisher bekannt ist

11. April 2023

Mehr als 50 teils als geheim klassifizierte Dokumente des Pentagons sind jüngst im Internet aufgetaucht. Sie behandeln verschiedene geopolitisch bedeutsame Entwicklungen - und bringen die US-Regierung in Erklärungsnot.

USA I Pentagon in Washington
Datenleck im Pentagon: Wie konnten die jüngst geleakten Dokumente an die Öffentlichkeit gelangen?Bild: Liu Jie/Xinhua/picture alliance

Wie kamen die Dokumente ins Netz?

Anfang März wurden einige der Papiere zunächst auf Discord verbreitet, einem sozialen Netzwerk, das vor allem unter Gamern beliebt ist. Der mittlerweile abgeschaltete Server, auf dem die Daten erstmals auftauchten, war eigentlich dem beliebten Computerspiel "Minecraft" sowie einem philippinischen Youtube-Star gewidmet. Das Recherchenetzwerk Bellingcat hat einige der Teilnehmenden der dortigen Discord-Community kontaktiert. Ihnen zufolge sind in den vergangenen Monaten zahlreiche weitere Dokumente auf anderen Discord-Servern veröffentlicht worden. Da auch diese Server mittlerweile stillgelegt wurden, konnten diese Behauptungen jedoch nicht verifiziert werden.

Öffentlich bekannt sind bislang mehrere Dutzend Dokumente, die von Discord aus ihren Weg auf 4Chan fanden, eine Plattform, auf der anonym und ohne vorherige Anmeldung Fotos geteilt werden können. Von dort aus wurden sie auf Twitter und auf - insbesondere prorussischen - Telegram-Kanälen geteilt. Erst rund einen Monat nach der ursprünglichen Veröffentlichung auf Discord wurden Medien in aller Welt auf die geleakten Dokumente aufmerksam.

Bild: DW

Was steht in den Dokumenten?

Die Papiere stammen aus dem US-Verteidigungsministerium und beinhalten zusätzlich Berichte verschiedener Geheimdienste, etwa der CIA oder der National Geospatial-Intelligence Agency, also der zentralen Behörde für kartographische Auswertung und Aufklärung. Sie ermöglichen einen Blick darauf, wie die USA ihre geheimdienstlichen Erkenntnisse sammeln, aber auch darauf, was sie über verschiedene geostrategische Entwicklungen in der Welt denken.

Russland/Ukraine: Besonders brisant sind detaillierte Informationen über den Kriegsverlauf in der Ostukraine. Es gibt Karten zu den Regionen Bachmut und Charkiw sowie eine Art detaillierten Kalender für westliche Munitionslieferungen. Den Dokumenten zufolge sollen die ukrainischen Streitkräfte deutlich schwächer sein als bislang behauptet. Washington sei besorgt, dass die Ukraine eine erneute russische Offensive nicht abwehren könne. Es gebe Lücken in der ukrainischen Luftabwehr und Munitionsengpässe seien bereits im Mai zu erwarten. Gleichzeitig aber hätten die USA das russische Militär und die paramilitärische Wagner-Gruppe bis in höchste Kreise infiltriert, um Kiew frühestmöglich über mögliche russische Angriffspläne zu informieren. 

Die geleakten Papiere skizzieren auch, ab welcher Eskalationsstufe des Krieges in der Ukraine  China bereit wäre, Moskau mit Waffen zu versorgen - angeblich, sobald die Ukraine einen Angriff auf russischem Boden durchführe. Einem anderen Dokument zufolge soll Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi im Februar mit seinen obersten Militärs erwogen haben, Russland mit Artilleriegeschossen und Munition zu versorgen - unter strikter Geheimhaltung, um "Probleme mit dem Westen zu vermeiden". Auch in der Türkei soll die Wagner-Gruppe um Waffen und Ausrüstung für ihre Aktivitäten in der Ukraine und in Mali gebeten haben - wobei unklar bleibt, inwieweit die Regierung in Ankara darüber Bescheid wusste. In Südkorea wiederum sei nach einer Anfrage der USA ein großer Streit um die Lieferung von Artilleriemunition an die Ukraine entbrannt. Bislang hat Seoul Kiew keinerlei militärische Unterstützung zukommen lassen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj - hier während des Besuchs von US-Präsident Joe Biden in Kiew Mitte Februar - dürfte nicht sonderlich erfreut auf die Datenpanne seines wichtigsten Verbündeten in Washington reagiert habenBild: EVAN VUCCI/AFP

Iran: Den geleakten Informationen zufolge überwachen US-Geheimdienste sowohl das iranische Atomprogramm als auch den iranischen Sicherheitsapparat mithilfe von Informationen aus höchsten Kreisen. So beschreibt ein Dokument etwa detailliert die Vorbereitungen des Teheraner Machtapparates auf einen Besuch des obersten IAEA-Atominspekteurs Rafael Grossi.

Israel: Angeblich sollen sich im Februar führende Vertreter des Mossad dafür ausgesprochen haben, gegen die anstehende Justizreform zu protestieren und aktiv dazu aufzurufen, die neue rechtsextreme Regierung in Jerusalem zu verurteilen. Die israelische Regierung dementierte dies umgehend mit Verweis auf die traditionelle politische Neutralität ihres Geheimdienstes.

Haiti: Auch kleinere, weltpolitisch nicht ganz so bedeutende Staaten liegen im Fokus der nun veröffentlichten Dokumente. So steht etwa in einem Bericht, dass die russische Wagner-Gruppe im Februar geheim nach Haiti gereist sei, um mit der dortigen Regierung über eine mögliche Unterstützung im Kampf gegen die grassierende Bandenkriminalität zu verhandeln.

Zudem gibt es Berichte über die politische Situation etwa in Kanada, Großbritannien oder Ungarn.

Aufruhr im Mossad gegen seine Justizreform? Israels Premier Benjamin Netanjahu nennt die Behauptung "verlogen"Bild: GPO

Sind die Informationen echt?

Die geleakten Papiere enthalten also brisante Informationen bis Ende Februar 2023. Selbst das Pentagon geht grundsätzlich von einer Echtheit der Dokumente aus. Allerdings ist es dem Recherchenetzwerk Bellingcat gelungen, nachzuweisen, dass zumindest ein Teil der Informationen im Nachhinein verändert worden ist - vor allem nach dem Auftauchen auf prorussischen Telegram-Kanälen. Ziel der Fälschungen war es offenbar, die militärische Stärke Russlands zu überhöhen, die der Ukraine dagegen kleiner darzustellen als in den Originaldokumenten. Diese Fälschungen scheinen von russischen Telegram-Usern durchgeführt worden zu sein, dass ein russischer Geheimdienst dahinterstecke, sei eher unwahrscheinlich.

Wer steckt hinter dem Datenleak?

Mittlerweile verdichten sich die Hinweise auf den Verantwortlichen. Der Urheber der jüngst an die Öffentlichkeit gelangten Unterlagen soll demnach ein 21-jähriger Mann sein, der auf einer Militärbasis der Nationalgarde im US-Bundesstaat Massachusetts gearbeitet hat. Er wurde von der US-Bundespolizei FBI als dringend tatverdächtig festgenommen. Der Mann soll die Chat-Gruppe auf Discord, auf der angeblich die ersten Fotos der Geheimdokumente auftauchten, geleitet haben. Er habe die brisanten Dokumente zunächst als Abschriften und später dann als Fotos dort geteilt, zitiert die "Washington Post" Bekannte des angeblichen Urhebers. Der Mann habe zudem erzählt, dass er auf dem Militärstützpunkt an die Dokumente gelangt sei.

Der in den USA forschende deutsche Cybersicherheitsexperte Thomas Rid hat einen Großteil dieser Bilder selbst sichten können. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sprach er von Fotos ausgedruckter Dokumente, die fast alle "im Kreuz gefaltet" gewesen seien. Um die fotografierten Dokumente herum seien andere Gegenstände wie ein Messer, ein kaputtes iPhone oder ein Handbuch für ein Fernrohr zu erkennen gewesen. Rid unterstellte dem Urheber der Fotografien "eine gewisse Schlampigkeit", dieser habe die Dokumente wohl ins Netz gestellt, ohne sich vorher Gedanken über die Auswirkungen zu machen. Womöglich haben auch diese Hinweise dazu geführt, dass der Tatverdächtige so schnell ermittelt werden konnte. Unklar bleibt jedoch weiterhin, wie er in den Besitz so vieler als geheim klassifizierter Dokumente kommen konnte. Aufzuklären bleibt auch, warum die Veröffentlichung der Unterlagen wochenlang unbemerkt geblieben sei. 

Welche Auswirkungen haben die Veröffentlichungen?

Der Schaden ist schon jetzt beträchtlich: US-Regierungskreise sprechen vom schwerwiegendsten Geheimnisverrat seit der Wikileaks-Affäre 2013. Auch mehrere befreundete Regierungen reagierten verärgert. Der US-amerikanische Sender CNN berichtete, die Ukraine habe bereits einige militärische Pläne ändern müssen. Gleichzeitig versuchen offizielle Stellen in Kiew, die Bedeutung der Datenpanne herunterzuspielen.

Ukrainsiche Soldaten in der Nähe von Donezk - Wie sehr muss Kiew seine Pläne nun ändern?Bild: Genya Savilov/AFP

Südkoreas Regierung nannte einen Großteil der sie betreffenden Dokumente als "gefälscht". Auch Israels Premier bezeichnete die auf sein Land bezogenen Informationen als "grundlos" und "verlogen". Die russische Regierung wiederum bestritt jede Verwicklung in die Veröffentlichung der Dokumente. Diese seien jedoch "ziemlich interessant", bemerkte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow, sie würden jetzt erst einmal "gewissenhaft analysiert und diskutiert".

Der Artikel erschien zunächst am 12.4.2023 und wurde in der Folge mit neuen Informationen aktualisiert.

Wie stehen die USA wirklich zu Putins Krieg?

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Thomas Latschan Langjähriger Autor und Redakteur für Themen internationaler Politik
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