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Rechtsstreit nach Wahl?

Michael Knigge31. Oktober 2012

Das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Barack Obama und Mitt Romney weckt Erinnerungen an die Präsidentschaftswahl 2000. Aber im Gegensatz zu damals sind heute alle Beteiligten auf einen Rechtsstreit vorbereitet.

Romney und Obama beim Rede-Duell
Bild: Reuters

Nimmt man die Geschichte der Präsidentschaftswahl vor zwölf Jahren als Maßstab, dann könnte uns am 6. November ein Wahl-Krimi bevorstehen. Denn derzeit - weniger als eine Woche vor der Abstimmung - ist das Duell zwischen Obama und Romney noch enger als zur gleichen Zeit 2000 das Rennen zwischen George W. Bush und Al Gore. Laut dem Real Clear Politics National Average, einem Umfrage-Aggregator der wichtigsten landesweiten Umfragen, führt Romney momentan mit weniger als einem Prozentpunkt vor Obama. Das heißt: das Rennen steht praktisch unentschieden. Im Gegensatz dazu führte Bush vor zwölf Jahren in den meisten Umfragen mit einem Abstand von mehreren Punkten.

Natürlich ist die anstehende Wahl aus vielerlei Gründen nicht ohne weiteres mit der Wahl 2000 zu vergleichen: Denn schließlich tritt mit Obama ein Amtsinhaber zur Wiederwahl an. Zudem ist die Wirtschaftslage deutlich schlechter und natürlich gibt es bei dieser Wahl neben Romney und Obama keinen dritten Kandidaten, der auch nur annähernd auf knapp drei Prozent der Stimmen kommen kann, wie vor zwölf Jahren Ralph Nader.

Seltenes Ereignis

Zudem ist zu beachten, dass letztendlich nicht die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, sondern die Mehrheit im sogenannten Wahlmännerkollegium, dem Electoral College, die Wahl entscheidet. Da sich klassische Meinungsumfragen jedoch besser eignen als Wahlmännerprognosen, um Stimmungstrends zu verfolgen, werden sie normalerweise für Wahlprognosen verwandt. Und laut diesen Meinungsumfragen steht das Duell zwischen Obama und Romney tatsächlich auf Messers Schneide. Doch selbst wenn die Wahl am 6. November so knapp ausgehen sollte, wie derzeit wahrscheinlich, würde das alleine noch keine Wiederholung der Wahlschlacht des Jahres 2000 bedeuten.

"Damit das passiert, muss die Wahl nicht nur ziemlich eng, sondern extrem eng sein. Das bedeutet: Es geht um ein paar Tausend Stimmen", betont Rick Hasen, Rechtsprofessor an der Universität von California in Irvine und Autor des kürzlich erschienen Buchs "The Voting Wars." Er ergänzt: "Und es müsste in einem Staat sein, dessen Stimmen für das Wahlmännerkollegium wichtig sind."

Vor zwölf Jahren konnte George W. Bush letztendlich nach mehr als einem Monat Rechtsstreit Florida mit einem Vorsprung von 537 Stimmen für sich behaupten und gewann damit die Präsidentschaftswahl. Damals waren Demokraten und Republikaner relativ unvorbereitet auf das einsetzende Wahlchaos. Heute dagegen sind beide Seiten gut gerüstet für eine mögliche juristische Wahlschlacht.

Lehren aus Florida

"Wir haben ganz sicher unsere Lektion aus Florida gelernt", sagt John Hardin Young, vor zwölf Jahren Berater im Anwaltsteam des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Al Gore. "Beide Parteien haben heute Anwälte in allen Staaten, die den Ablauf der Wahl verfolgen."

2000 gewann George W. Bush, obwohl er die Wahl nach direkten Stimmen verloren hatteBild: AP

Young, heute ein renommierter Wahlrechtsexperte in Washington, wird am 6. November als Koordinator der Demokraten in Virginia, einem der hart umkämpften sogenannten Battleground States, die Wahl beaufsichtigen. Weil beide Parteien viel besser vorbereitet seien und ein Heer von Anwälten in Washington und im ganzen Land zur Verfügung stehe, könnten mögliche Probleme bei der Stimmabgabe sofort und schnell vor Ort gelöst werden, gibt sich Young zuversichtlich.

Streitlustige Parteien

Zudem werden die aus Florida berüchtigten Stimmzettel, die sogenannten Butterfly Ballots, sowie die umstrittenen Stanzkarten-Wahlmaschinen bei Wahlen inzwischen nicht mehr verwendet. Doch trotz der verbesserten Infrastruktur hat sich die Zahl der juristischen Auseinandersetzungen rund um die Wahlen in den vergangenen zwölf Jahren nicht etwa verringert, sondern mehr als verdoppelt, betont Hasen. Diese größere Erfahrung mit Rechtstreitigkeiten bei Lokal-, Kongress und Gouverneurswahlen hat auch die Einstellung der Parteien verändert.

"Die Parteien sind eindeutig aggressiver geworden und viel weniger bereit, eine knappe Wahlniederlage zu akzeptieren", konstatiert Hasen. Schon jetzt, im Vorfeld der Wahl, laufen zahlreiche Verfahren in verschiedenen Staaten. Sie drehen sich meist um den Versuch der Republikaner, strengere Ausweispflichten für Wähler einzuführen. Die Demokraten wehren sich erbittert gegen diese Verschärfung: Sie befürchten, dass man dadurch ihrer traditionellen Wählerklientel - darunter vielen Afro-Amerikanern und Latinos - den Zugang zur Wahl erschweren würde.

Im Hinblick auf die Wahl am 6. November prognostizieren Hasen und Young bereits jetzt Nachzählungen bei den gleichzeitig stattfindenden Kongresswahlen. Eine Nachzählung bei der Präsidentschaftswahl halten sie für unwahrscheinlich, denn dies komme in der US-Geschichte nur sehr selten vor. Die letzte umstrittene Präsidentschaftswahl vor dem Wahlchaos im Jahr 2000 gab es 1876.

Alptraumszenario

In einem zentralen Punkt jedoch sind die Experten geteilter Meinung. Für Young sind die zunehmenden juristischen Auseinandersetzungen kein Problem, sondern im Gegenteil Ausdruck eines starken Rechtssystems und somit gut für die Demokratie.

Im Jahr 2000 entschied das Oberste Gerichtshof über den Wahlausgang.Bild: dapd

"Ich mache mir Sorgen um unsere Demokratie", sagt dagegen Hasen, und verweist darauf, wie viel sich seit dem Jahr 2000 geändert habe. Vor zwölf Jahren habe es Twitter, Facebook und andere Social Media-Plattformen noch nicht gegeben. "Ich mache mir Sorgen, dass sich bei einer knappen Wahl die politischen Kommentare in den sozialen Netzwerken in Straßenproteste verwandeln könnten", sagt Hasen. "Deshalb befürchte ich, dass es böse enden wird, sollte dieses Alptraumszenario eintreten."

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