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Wahlrechtsstreit

Christina Bergmann, Pennsylvania23. Oktober 2012

Schutz gegen Wahlbetrug oder Ausschluss von Millionen Wählern? In USA werfen sich Republikaner und Demokraten bei Wahlrechtsrechtsreformen gegenseitig parteipolitische Motive vor. Gerichte müssen entscheiden.

Das "Committee of Seventy" ist in die Philadelphia High School für Mädchen gekommen, um Wähler zu registrieren. Barbara Bloomfield (rechts am Tisch) und Andrea Moselle arbeiten bei der Organisation unentgeltlich mit, am Mikrofon erklärt Joe Grace, der Sprecher der Organisation, worum es geht. Im Hintergrund Schulleiterin Dr. Parthenia Moore Bild:Christina Bergmann, Philadelphia, Pennsylvania, 9.10.2012
Bild: DW

In der Cafeteria der Philadelphia High School für Mädchen herrscht das zur Mittagszeit übliche Stimmengewirr und Geschirrgeklapper - bis Rektorin Dr. Parthenia Moore die Mädchen zur Ordnung ruft. "Eure Stimme entscheidet" sagt sie mit nachdrucksvoller Stimme, "welcher Kandidat gewählt wird, wie die Zukunft unseres Landes aussieht." Und deswegen, erklärt sie, hätten alle 18-Jährigen, oder jene, die bis zum 6. November 18 werden, jetzt noch Gelegenheit, sich zur Wahl anzumelden. Die überparteiliche Organisation "Committee of Seventy" hat Freiwillige in die Schule geschickt, um dabei zu helfen.

Die 18-jährige Jasmine hat sich gerade registrieren lassen. Sie hat das Formular mit den 13 Feldern ausgefüllt. Das sei leichter gewesen, als sie gedacht hatte, sagt sie. Auch wenn sie kurz ihre Mutter anrufen musste, um ihre Sozialversicherungsnummer zu erfragen. Sie habe nicht gewusst, dass sie sich zum Wählen registrieren lassen müsse, erklärt sie: "Ich habe das heute erst erfahren, und da habe ich es gleich gemacht."

Streit um die Lichtbildausweispflicht in Pennsylvania

Einen Lichtbildausweis musste Jasmine bei der Anmeldung nicht zeigen, genauso wenig wie alle anderen Wähler in Pennsylvania, die am 6. November wählen gehen. Es reichen Bankauszüge oder Stromrechnungen - Hauptsache, der Name und die Adresse sind darauf. Wenn es nach der Landesregierung von Pennsylvania ginge, dann müsste Jasmine schon in diesem Jahr einen Ausweis mit Foto zeigen. Denn die Republikaner im Bundesstaat haben ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. So soll Betrug verhindert werden.

Doch es gibt Widerstand gegen das Gesetz. Das Problem: Vermutlich 200.000 Menschen in Philadelphia, 800.000 in ganz Pennsylvania besitzen keinerlei Lichtbildausweis, erklärt Zachary Stalberg, Präsident des "Committee of Seventy", einer überparteilichen Nichtregierungsorganisation, die sich seit über 100 Jahren für die Rechte von Wählern einsetzt.

Viele Amerikaner sind über die Bedingungen für die Wahlregistrierung schlecht oder garnicht informiert.Bild: DW

So ganz genau würde man das aber gar nicht wissen, fährt er fort, und diese Unwissenheit des Gesetzgebers sei auch eines der Probleme: "Der Staat hat das Gesetz viel zu schnell eingeführt, und dann wurden ständig die Regeln geändert, das hat die Leute verwirrt und je näher wir der Wahl kamen, desto mehr wurde klar: das ganze ist noch nicht einsatzbereit, es muss noch warten." Das sah ein Berufungsgericht in dem Bundesstaat genauso und entschied, dass das Gesetz für diese Wahl noch nicht vollzogen werden darf. Im Dezember soll es eine weitere Anhörung zu dem Thema geben.

Demokraten gegen Republikaner

Der Streit um die Anforderung, das Wählen mit dem Vorzeigen eines Lichtbildausweises zu verbinden, spaltet die Nation entlang der Parteigrenzen. Die Republikaner sind es, die in Pennsylvania und anderen Staaten in den letzten Jahren entsprechende Gesetzesinitiativen eingebracht haben. Die Demokraten stemmen sich mit aller Macht dagegen. Das Gesetz in Pennsylvania wurde ohne eine einzige Stimme eines Abgeordneten der demokratischen Partei verabschiedet. Nach Angaben des "Brennan Center for Justice" der New Yorker Universität für Rechtswissenschaften haben 15 Bundesstaaten Wahlrechtsänderungen durchgesetzt, die die Wahlen in diesem Jahr beeinflussen können.

Die Demokraten argumentieren: Das Gesetz richtet sich gegen jene, die es schwerer haben, einen solchen Lichtbildausweis zu bekommen: Arme, Alte, weniger Gebildete, Afro-Amerikaner und andere Minderheiten. Also jene, die tendenziell eher die Demokraten wählen. Bis zu 20 Millionen Menschen landesweit, argumentiert Scott Keyes von dem liberalen "Center for American Progress" in Washington, DC, würden so ihrer Stimme beraubt werden, weil sie keinen Lichtbildausweis besitzen. Besonders in den umkämpften Bundesstaaten wie Pennsylvania, sagt Zack Stalberg, könnte eine strengere Wahlausweispflicht einen Unterschied machen - und die Präsidentschaftswahl entscheiden. "Dass sie die Gesetze kurz vor einer knappen Präsidentschaftswahl eingeführt haben, deutet auf parteipolitische Gründe hin, um Mitt Romney zum Sieg zu verhelfen, genauso, wie einiges, was im Zusammenhang mit dem Gesetz gesagt wurde."

Stalberg spielt auf eine Äußerung des republikanischen Mehrheitsführers im Repräsentantenhaus von Pennsylvania, Mike Turzai, an. Der hatte bei einem Treffen mit Parteigenossen, als es noch so aussah, als würde das Gesetz umgehend in Kraft treten, gesagt: "Wählerausweis - der es Gouverneur Romney erlaubt, den Bundesstaat Pennsylvania zu gewinnen - erledigt". So habe Turzai das nicht gemeint, erklärt sein Sprecher Steve Miskin. "Rückblickend hätte er ergänzen sollen, was jeder in dem Raum wusste: Zum ersten Mal haben wir gleiche Bedingungen dank der Wählerausweispflicht." Dadurch sei es Gouverneur Romney überhaupt erst möglich, in Pennsylvania zu gewinnen, garantiert sei es deswegen nicht, und dies sei auch nicht die Motivation für das Gesetz. Momentan führt Präsident Obama in Pennsylvania in den Umfragen.

Zachery Stalberg kämpft seit Jahren mit seiner Nichtregierungsorganisation für die Rechte von Wählern.Bild: DW

Hürde für die Wähler zu groß?

Zentrale Frage ist, wie schwierig es für die Wähler ist, die nötigen Unterlagen zu besorgen. Man könne Wählern sehr wohl abverlangen, sich um einen Wahlausweis zu bemühen, sagen Republikaner wie Sprecher Steve Miskin: "Das Wahlrecht bedeutet nicht, dass der Wähler keine Verantwortung hat oder nicht eine gewisse Unbequemlichkeit hinnehmen muss."

Die Demokraten und auch Zack Stalberg sehen das anders. In Pennsylvania müssen sich Bürger, die keinen Führerschein oder Pass haben, den Wahlausweis auf einem Amt mit dem Namen PennDOT besorgen. "Sie gehen lieber in die Hölle, anstatt zu PennDOT zu gehen", erzählt Stalberg in seinem Büro in Philadelphia, "das ist eine lange, unerfreuliche Erfahrung, die drei bis vier Stunden dauern kann." In vielen Bezirken des Bundesstaates habe es überhaupt keine Büros gegeben. "Da hätten Sie sich einen Tag freinehmen und weite Wege fahren müssen, um die Karte zubekommen."

Es geht aber nicht nur um die Ausweispflicht. In Ohio hatte man sich gestritten, ob alle am Wochenende vor dem Wahltag ihre Stimme abgeben dürfen, oder ob diese Möglichkeit nur für Soldaten bestehen darf. Das Oberste Gerichtshof hat jetzt entschieden, dass es keine Einschränkungen für vorzeitige Stimmabgaben geben darf. In Florida geht es um die Frage, ob Wählerlisten auf Nicht-Bürger durchgekämmt werden dürfen.

Seit ungefähr zehn Jahren gibt es den Trend, die Wahlregeln zu verändern. Seit der Hängepartie in der Präsidentschaftswahl 2000, in der letztlich der Oberste Gerichtshof der USA entschied, in Florida die umstrittenen Stimmen nicht noch einmal weiter zu zählen - und George W. Bush deswegen die Wahl gewann. "Seitdem denken beide Seiten darüber nach, wie sie helfen können, das Spiel zu ihrem Vorteil zu manipulieren", erklärt Zack Stalberg. "Wahlen sind schlampig", gibt er zu, aber meistens handele es sich seiner Ansicht nach um menschliches Versagen oder Inkompetenz, nicht um bewusste Fälschungen. Außerdem würden die Wahlhelfer für ihren langen Einsatz verhältnismäßig schlecht bezahlt. "Wir haben aber nur selten Wahlfälschungen gesehen, obwohl die Leute glauben, dass es sie hier in den Städten gibt."

Eins steht aber fest: die Kontroverse um die Wahlgesetzes hat die Menschen mobilisiert. In vielen Bundesstaaten finden Aktionen statt wie die des "Committee of Seventy" in der Mädchenschule, um die Wählerinnen und Wähler über ihre Rechte und Pflichten aufzuklären, sie zu registrieren und zum Wählen zu animieren. Die 18-jährige Schülerin Jasmine jedenfalls weiß schon, wo sie hin muss am Dienstag dem 6. November: "Direkt um die Ecke von meinem Haus ist eine Schule, da muss ich zum Wählen hingehen", sagt sie stolz. Und sie weiß auch schon, wen sie wählt: Barack Obama.

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