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Politik

Gekommen, um zu bleiben

Gerhard Gnauck
13. Januar 2017

Fast 20 Jahre wurde darüber nur diskutiert, jetzt geschieht es: US-Soldaten kommen auf Dauer nach Polen, Deutsche und Briten gehen ins Baltikum. Polen begrüßt die Amerikaner feierlich am Samstag.

Verlegung US-Panzerbrigade nach Polen
Bild: picture-alliance/dpa/M. Bielecki/PAP

Auf dieses Wochenende fällt in Polen außerplanmäßig ein Festtag: Auf dem Piłsudski-Platz in Warschau, auf dem Marktplatz in Krakau und in vielen anderen Städten wird die Ankunft der amerikanischen Truppen gefeiert. Militärorchester spielen, Panzer und anderes Gerät steht zur Besichtigung bereit, und für den Magen gibt es die Gulaschkanone. Ein historischer Tag: Dass Polens Bevölkerung mit großer Mehrheit den Einzug fremder Truppen begrüßte, hat sich zuletzt vor mehr als 200 Jahren ereignet - als die  Soldaten Napoleons kamen.

Diesmal sind es die Amerikaner, die nach Polen kommen. Die Idee, anstelle der US-Stützpunkte in Deutschland (mit heute noch 36.000 Soldaten) solche im Osten Europas aufzubauen, wurde zwar immer wieder diskutiert. Deutschland brauchte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs keinen Schutz mehr, und die Stationierung war teuer. Doch es geschah nichts - bis zur Annexion der Krim durch Russland im Frühling 2014. Damals forderte der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski "zwei Brigaden" zum besseren Schutz Polens.

Proteste aus Moskau

Was jetzt kommt, ist eine Brigade: Etwa 3500 Soldaten aus Colorado, dazu 87 Panzer und 400 "Humvee"-Jeeps. Die Aktion trägt den Namen "Atlantische Entschlossenheit" (Atlantic Resolve). Die Soldaten werden am Wochenende auch im schlesischen Żagan, rund 100 km von der deutschen Grenze entfernt, feierlich begrüßt. Dort wird der größte Teil der Truppen zunächst stationiert. Nach neun Monaten werden sie im Rotationsverfahren durch neue Kräfte ersetzt. Jede "Schicht" soll in dieser Zeit auch in anderen Ländern der Region üben - bis nach Rumänien.

US-Panzer in Polen

01:51

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Nach dem Zerfall der Sowjetunion hatte die NATO Moskau zugesagt, keine großen Kampfeinheiten dauerhaft östlich von Deutschland zu stationieren, sofern sich die Sicherheitslage nicht ändere. Die Rotation mit ständigen Übungen ist ein Trick: Er erlaubt es, Soldaten und Gerät vor Ort zu haben, aber nicht "dauerhaft". Dennoch protestiert Moskau gegen diese Übungen. Allerdings hatte Russland seit 2007 immer wieder Übungen mit Zehntausenden Soldaten an seiner Westgrenze oder im benachbarten Weißrussland veranstaltet: Dabei wurden auch Angriffe auf Warschau und die Republik Estland geübt.

Gefährdung der baltischen Staaten

Die US-Einheit ist eine amerikanische Sonderleistung zugunsten der Verbündeten. Bald wird jedoch eine gemeinsame NATO-Unternehmung hinzukommen: "Verstärkte Vorwärtspräsenz" (Enhanced Forward Presence, EFP). In diesem Rahmen wird in den NATO-Mitgliedsländern Polen, Litauen, Lettland und Estland je ein multinationales Bataillon platziert. Schon am 19. Januar sollen die 500 deutschen Soldaten, die nach Litauen gehen, im bayerischen Oberviechtach feierlich verabschiedet werden.

In Litauen wird Deutschland die Führungsnation sein, zu der noch weitere 500 Soldaten aus anderen Ländern hinzukommen. In Estland führen die Briten, in Lettland die Kanadier, in Polen werden zusätzliche US-Truppen, die im April eintreffen sollen, die Führung übernehmen. Dieses (natürlich ebenfalls rotierende) Bataillon wird im Nordosten Polens untergebracht. Dort befindet sich die besonders verwundbare "Lücke von Suwałki": Das russische Gebiet Kaliningrad und das mit Russland verbündete Weißrussland trennen nur 60 Kilometer. Militärexperten schlagen seit langem Alarm: Sollte Russland eine konventionelle oder "hybride" Aktion gegen einen baltischen Staat beginnen, könnte es den anderen NATO-Partnern leicht den Nachschubweg über die Stadt Suwałki abschneiden. Die Balten gelten von allen NATO-Mitgliedern als am stärksten gefährdet, auch wenn sie ihre schwachen Armeen seit 2014 stark aufgerüstet haben.

"Opa hat geweint"

Die gemeinsame NATO-Unternehmung EFP war die wichtigste Entscheidung des Warschauer NATO-Gipfels im Juli 2016. Nach dem Wahlsieg Donald Trumps gibt es allerdings in der Region die Sorge, ob der neue US-Präsident zu den Entscheidungen seines Vorgängers Barack Obama stehen werde. Oder ob er sich nicht im Rahmen eines "neuen Jalta" wie 1945 darauf einlassen werde, die Welt mit Moskau in klar abgegrenzte Machtsphären aufzuteilen. Dann könnte er zum Beispiel die Rotation der Truppen eines Tages auslaufen lassen. Trump hatte früher unter anderem gesagt, die USA solle nicht Länder verteidigen, die selbst ihre (finanziellen) Pflichten in der NATO nicht erfüllten. Allerdings stehen gerade die Polen und die Balten mit ihren Verteidigungsausgaben im Bündnis relativ gut da.

Permanente Rotation als TrickBild: picture-alliance/dpa/M. Bielecki/PAP

Die staatlichen russischen Medien kritisieren die Verlegung der Truppen aus anderen NATO-Ländern als "aggressiven Aufmarsch". Dabei sind die Einheiten, die jetzt von Estland bis Rumänien für mehr Sicherheit sorgen sollen, insgesamt kleiner als die alliierten Truppen, die bis 1989 West-Berlin schützten. Wer heute junge Polen fragt, was das wichtigste Ereignis dieser Tage sei, hört als Antwort zunächst ein langes, nachdenkliches Schweigen. Historisches Ereignis? Fehlanzeige. Nur ein junger Mann erinnert sich, was Amerika für seinen Großvater bedeutete: "Als Präsident Clinton zum ersten Mal nach Polen kam, hat Opa geweint."

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