US-Vorwahlkampf: Vorteil bei der Jugend
6. Februar 2016Melissa Rubios Mutter starb an Krebs. Zwei Wochen später wurde ihr Vater entlassen. Er hatte als Bauarbeiter in den Vororten von Chicago gearbeitet. Kurz darauf verlor die Familie ihr Haus an die Bank.
Rubio war 15 Jahre, als das Schicksal so zuschlug. Sie war wütend aber noch zu jung, um das Geschehene einzuordnen und in einen größeren sozialen Kontext zu stellen.
Während ihrer Zeit an der Universität wurde Rubio dann politisch aktiv und engagierte sich in einer linken Studentenorganisationen. "Wir haben den großen Banken aus der Klemme geholfen, aber nicht den Menschen, die von diesen Banken ausgenutzt wurden", sagt sie.
Am Ende ihres Studiums hat Rubio selbst 60.000 Dollar Schulden aus Krediten, die sie aufgenommen hat, um ihre Studiengebühren zu finanzieren. Sie schließt sich dem Politiker Will Guzzardi aus Illinois an, dessen Hauptthema soziale Ungleichheiten sind.
Heute ist Rubio 25 und leitet Guzzardis politische Kampagnen. Von dessen Hauptquartier aus hilft sie, Unterstützer für Bernie Sanders zu finden. Für den Mann, der den linken Flügel der Demokratischen Partei repräsentiert und bei den Vorwahlen in Iowa beinahe Hillary Clinton geschlagen hätte.
Der 74-jährige Sanders ruft zu einer "politischen Revolution" gegen die "Milliardärsklasse" auf. "Es geht darum die Macht der Großunternehmen auszurotten, denn die hat viel mit dem zu tun, was heutzutage in unserer Gesellschaft passiert", sagt Rubio.
Spätzünder wider Willen
Für die Kampagne zu Sanders Unterstützung sind sechs neue Freiwillige gekommen. Sie arbeiten in einer Art Telefonzentrale im Chicagoer Stadtteil Logan Square. Rubio hat das organisiert. Sie helfen entweder bei der Datenerfassung oder sie versuchen per Telefon Menschen davon zu überzeugen, für Sanders statt für Clinton zu stimmen.
Sie alle sind junge Erwachsene unter 30. Fast alle von ihnen hatten nach ihrer Collegezeit wirtschaftliche Probleme. Jorie Moore ist 28 und Vorschullehrerin. Zwischen ihren Studienschulden und den Mietkosten bleibt nichts mehr übrig für die Krankenversicherungsprämie von 450 Dollar. "Mein Vater zahlt sie jetzt und ich hasse das", sagt Moore. "Es ist eine gute Krankenversicherung und doch deckt sie noch nicht einmal psychische Erkrankungen ab."
Jamie Corliss hat einen Abschluss in Kulturwissenschaften. Die 23-Jährige ist momentan arbeitslos und hat 22.000 Dollar Studienschulden. "Weil ich keinen Job habe, kann ich nichts zurückzahlen", sagt Corliss. "Jeden Tag sammelt sich mehr an." Ihre Geschichte ist nicht ungewöhnlich.
Die Arbeitslosenrate in den USA ist auf unter sechs Prozent gesunken, doch nach einer Untersuchung der Firma "MarketWatch" stammen 40 Prozent der Erwerbslosen aus der Generation Y, also aus den 80er- und 90er-Jahrgängen. Mehr als 40 Prozent der momentanen Collegeabsolventen sind unterbeschäftigt, arbeiten also in Jobs, für die sie ihre teuren Abschlüsse gar nicht bräuchten.
2014 hatten zwei Drittel der Universitätsabsolventen Schulden von durchschnittlich 30.000 Dollar, das hat das Institut "For College Access and Success" errechnet. Kristen DeRosier musste drei Jahre bei ihren Eltern leben, um ihre 40.000 Dollar Schulden abzuzahlen. Jetzt arbeitet sie im Exportgeschäft. "Der Nachwuchs von heute kann erst viel später durchstarten. Es ist schwer, auf eigenen Beinen zu stehen", sagt sie.
Jacob McDermott kann das bestätigen. Als sich der heute 28-Jährige dazu entschied Bauingenieurswesen an der Universität von Wisconsin-Madison zu studieren, schien ein Job nach dem Abschluss praktisch sicher. Dann kam die Finanzkrise und der Arbeitsmarkt erreichte seine Talsohle. McDermott arbeitete in Restaurantküchen und als Shuttle-Busfahrer in einem Hotel. Drei Jahre dauerte es, bevor er eine Arbeit als Bauingenieur fand: "Ich hatte das Gefühl, dass meine Karriere auf Eis gelegt war - als direktes Resultat der Immobilienkrise." Überall wurden Leute entlassen, der Arbeitsmarkt war kompliziert.
Hauchdünn statt haushoch: Clintons Sieg in Iowa
Sanders' Botschaft hat bei McDermott, der ebenfalls Studienschulden hat, einen Nerv getroffen. Das Versprechen von gebührenfreien öffentlichen Universitäten und dem Austausch von privaten Krankenversicherungen gegen ein staatliches System findet seinen Nachhall bei vielen dieser jungen Menschen, die schon schwierige Zeiten durchgemacht haben.
McDermott ist für Sanders' Kampagne von Chicago bis nach Iowa gereist. Auch wenn Clinton hier bei der ersten Entscheidung der Vorwahlen den Sieg einfahren konnte - ihr Vorsprung auf Sanders war mit 49,8 Prozent zu 49,6 Prozent hauchdünn.
Mit seinen 74 Jahren wäre Sanders der älteste Präsident in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Trotzdem konnte der Senator aus Vermont bei der Wahl in Iowa 84 Prozent der demokratischen Wähler unter 30 Jahren für sich einnehmen. "Es gibt gar keinen Zweifel. Wenn Sanders nicht so viele Unterstützer unter 30 in Iowa gehabt hätte, wäre dieses Rennen für ihn vorbei", sagt Zachary Cook, der an der Chicagoer DePaul Universität das Verhalten der "Milleniums-Wähler" untersucht.
Jung versus alt = Sanders versus Clinton
Unter den älteren Wählern in Iowa war Clinton beliebter, wenn auch mit kleineren Abständen. 69 Prozent der Über-65-Jährigen unterstützten hier die ehemalige US-Außenministerin. Bei den Wählern zwischen 45 und 64 Jahren sind es immerhin 58 Prozent. "Sanders muss bei den kommenden Abstimmungen in anderen Staaten auch die Wähler über 30 Jahren für sich gewinnen", sagt Cook. "Zumindest wenn er Hillary schlagen will."
Laut einer Studie der Universität New Hampshire, wo die nächsten Vorwahlen stattfinden, gibt es in dem Bundesstaat 129.000 Wahlberechtigte, die bei den Vorwahlen 2008 noch zu jung für eine Stimmabgabe waren. "Die Alters-Spaltung innerhalb der Demokraten findet statt", sagt Cook. "Die Frage ist, ob sie nach den Vorwahlen - wer auch immer sie gewinnt - wieder alle zusammenfinden."
Melissa Rubio wäre dazu bereit. Aber für sie ist Clinton ein Teil des Establishments, des Systems der Großunternehmer. Laut "Washington Post" hat die Finanzbranche 21,4 Millionen Dollar für Clintons Kampagne gespendet. Sanders hat gerade mal 75.000 Dollar von ihr erhalten. Rubio sagt, sie würde Clinton jedem Republikaner vorziehen, doch sie wäre nicht begeistert, wenn sie Präsidentschafts-Kandidatin der Demokraten würde. "Ich würde mich für sie nicht genau so reinhängen wie für Sanders", sagt sie.