Warum verkünden die Medien in den USA das Wahlergebnis?
4. November 2024Die Vereinigten Staaten werden oft als älteste Demokratie der Welt bezeichnet, es überrascht also kaum, dass dieses auf Traditionen und Konventionen aufbauende System einige Besonderheiten aufweist.
Dazu zählt, dass es seit dem Jahr 1848 die Presse ist, die bei Tausenden von Wahlen im ganzen Land den Gewinner verkündet. Anders ausgedrückt: Die Medien berichten, wer später offiziell zum Gewinner erklärt wird.
Die Tradition nahm ihren Anfang, als es weder Internet noch Fernsehen oder Radio gab, auch die Telegrafie steckte noch in den Kinderschuhen. Da es keine Bundesbehörde gab, die die Durchführung der Wahlen koordinierte, beschlossen die Nachrichtenanbieter, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) begann, die Ergebnisse landesweit zu übermitteln.
Die Zahl der Medienunternehmen ist seit dem 19. Jahrhundert gestiegen und auch die Technik hat sich enorm weiter entwickelt, doch in ihrer Rolle als inoffizielle Wahlbeobachter versorgen die Medien noch immer die Öffentlichkeit am schnellsten mit Informationen darüber, wer voraussichtlich nächster Präsident oder nächste Präsidentin wird.
Das System bringt jedoch auch einige Probleme mit sich: Wähler und Wählerinnen, die sich im 21. Jahrhundert in den westlichsten Bundestaaten auf den Weg an die Wahlurnen machen, wissen möglicherweise schon, wie in einigen Bezirken an der Ostküste des Landes gewählt wurde. Denn teilweise können die Medien schon verlässliche Aussagen darüber treffen, ob bestimmte Hochburgen der Demokraten oder Republikaner dort an Harris bzw. Trump gegangen sind.
In anderen Staaten wiederum, insbesondere denen, in denen ein knapper Wahlausgang vorausgesagt wird, könnte es Tage oder Wochen dauern, bis die Wahlscheine sorgfältig ausgezählt sind und ein Gewinner erklärt werden kann.
Wie kommen die Medien zu ihren Prognosen?
Die 50 Bundesstaaten und der District of Columbia der Hauptstadt Washington sind innerhalb ihres Gebiets zuständig für die Durchführung der Wahl nicht nur des US-Präsidenten, sondern auch des Senats und des Repräsentantenhauses.
Die Ergebnisse dieser Wahlen werden offiziell von den einzelnen Staaten bekannt gegeben, doch die Medien bieten ihren Zuschauern eine Mischung aus live übertragenen offiziellen Wahlergebnissen, Hochrechnungen, Wählerumfragen und Hintergründen über die unterschiedlichen Wahlregeln in den verschiedenen Bundesstaaten sowie historische Trends.
1990 schlossen sich die meisten führenden Medienunternehmen der USA zum National Election Pool (NEP) zusammen. Dieser nutzt Daten aus Nachwahlbefragungen, um seine Medienpartner live mit Updates zu allen in der Wahlnacht stattfindenden Rennen zu versorgen.
Den NEP gibt es noch immer, er verfügt über eine langjährige Vereinbarung mit dem Marktforschungsunternehmen Edison Research über die Lieferung von Daten an die Nachrichtensender ABC, CBS, CNN, NBC und Reuters.
2016 löste sich Associated Press aus dieser Gruppe und entwickelte ein eigenes Produkt namens AP VoteCast. Verschiedene andere Nachrichtensender wie z. B. Fox News, NPR, PBS, Univision, USA Today und das Wall Street Journal nutzen dessen Dienste. Die Deutsche Welle folgt bei ihrer Veröffentlichung der Wahlergebnisse ebenfalls der AP.
Zwar nutzen die beiden Pools unterschiedliche Verfahren für die Ermittlung von Ergebnissen, das Prinzip ist jedoch das gleiche: Ein Ergebnis wird dann erklärt, wenn feststeht, dass der führende Kandidat in einem bestimmten Rennen nicht mehr geschlagen werden kann.
Da sämtliche Daten herangezogen werden, um den Gewinner oder die Gewinnerin eindeutig zu ermitteln, bietet diese Vorgehensweise auch einen gewissen Schutz dagegen, dass Kandidaten vorzeitig ihren Sieg erklären. Dies trägt dazu bei, das Vertrauen in ein Wahlsystem zu stärken, das Untersuchungen zufolge viel Vertrauen verloren hat.
Nachwahlbefragungen und die Bekanntgabe des Gewinners
Wie können die Medien behaupten, dass ein Kandidat oder eine Kandidatin in einem Bundesstaat gewonnen hat, wenn es gar keine offizielle Bekanntgabe des Wahlergebnisses gibt?
"Alles, was wir berichten, ist inoffiziell, aber es kommt von einer offiziellen Quelle", erläutert Joe Lenski, Mitbegründer und geschäftsführender Vorsitzender von Edison Research.
Ob von den Wahllokalen kleiner Städte oder den großen Zentren der Bundesstaaten, die Ergebnisdaten werden von über 3000 Mitarbeitern von Edison Research an das zentrale Team des Unternehmens übermittelt.
Die Mitarbeiter führen auch Nachwahlbefragungen durch, in denen die Wähler beim Verlassen der Wahllokale gefragt werden, wie sie abgestimmt haben. Befragt werden auch Wähler an Lokalen, an denen eine frühzeitige Stimmabgabe möglich ist sowie Briefwähler.
Mit diesen Daten wird dann ein Modell gefüttert, das dabei hilft, festzustellen, ob bereits ein Gewinner erklärt werden kann, wenn die ersten echten Ergebnisse vorliegen.
Für Erläuterungen, wie Associated Press Gewinner ausruft, verweist die Nachrichtenagentur auf ihren Unternehmensblog. Laut David Scott, dem Vizepräsidenten von AP, berücksichtigt AP VoteCast Live-Stimmauszählungen, Einträge im Wählerregister, frühzeitige Stimmabgaben, frühere Wahlergebnisse und die Regelungen zur Freigabe von Wahlergebnissen, um den voraussichtlichen Gewinner zu ermitteln.
AP VoteCast zufolge werden für die Erhebungen bis zur Schließung der Wahllokale auch standardisierte demografische Daten und Wahlentscheidungen genutzt.
Wird schon in der Wahlnacht ein Gewinner feststehen?
Den letzten Umfragen zufolge wird es in manchen Staaten nicht möglich sein, bereits in der Wahlnacht – oder auch Tage später – einen Gewinner zu bestimmen. Könnte sich bei so vielen knappen Rennen eines der Medienunternehmen von seinem Pool absetzen und vor den anderen einen Gewinner verkünden?
Das wäre ausgesprochen ungewöhnlich, doch die Unternehmen haben die redaktionelle Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen. 2020 hatte Fox News, Kunde von AP VoteCast, Joe Biden zum Gewinner im Bundesstaat Arizona erklärt, sehr zum Ärger von Donald Trump. Kurz darauf folgte AP mit der gleichen Erklärung. Das Rennen war jedoch sehr knapp und die Kunden von NEP erklärten erst am 12. November einen Gewinner – ganze zwölf Tage nach Schließung der Wahllokale.
"Unsere Computermodelle sind so programmiert, dass ein Rennen erst dann als entschieden gilt, wenn wir zu 99,5 Prozent sicher sind, das wir einen Gewinner ermittelt haben", erklärt Lenski. Aufgrund des gegenwärtigen politischen Klimas seien die Computermodelle nochmals auf den Prüfstand gestellt worden, fügt er hinzu. Die Entscheidung werde einem Team menschlicher Analysten überlassen, die versuchen, diese weiteren 0,5 Prozent Sicherheit herzustellen, bevor sie ihre Prognose veröffentlichen, also bevor sie einen Gewinner verkünden.
Sollten die Wahlumfragen zutreffen, können die Wähler und Wählerinnen also davon ausgehen, das in einigen der hart umkämpften Swing States auch lange nach dem 5. November noch nicht feststehen wird, wer die Wahl gewonnen hat.
Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.