US-Wahl: Immer weniger Menschen trauen den Ergebnissen
19. Oktober 2024Es ist ein neuer Rekord: Am Dienstag, 15. Oktober, dem ersten Tag des "early voting" im südlichen US-Bundesstaat Georgia, haben bereits mehr als 310.000 Wählerinnen und Wähler ihre Stimme abgegeben. In den USA ist der eigentliche Wahltag kein Sonntag oder Feiertag, sondern ein ganz gewöhnlicher Dienstag. Häufig bilden sich an diesem Tag lange Schlangen vor den Wahllokalen. Wer am Wahltag keine Zeit hat, stundenlang anzustehen, um sein Kreuz zu machen, kann das in den meisten Bundesstaaten schon einige Wochen vor der Präsidentschaftswahl am 5. November tun.
In Georgia haben sich am ersten Tag mehr als doppelt so viele Menschen dafür entschieden, wie am ersten Tag des "early voting" bei der letzten Präsidentschaftswahl. Wenn es nach Georgias Election Board – der Behörde, die für die Durchführung der Wahl zuständig ist – ginge, hätten Wahlhelfer nach dem 5. November also vermutlich gut zu tun mit der Auszählung. Die Behörde verabschiedete Ende September eine Regel, laut derer in ihrem Bundesstaat Stimmzettel nicht mehr maschinell, sondern mit der Hand gezählt werden sollen.
Das dauere zwar länger, sagte Janelle King, eines der fünf Mitglieder des Election Boards. Aber sie wolle nicht, dass die Behörde "Schnelligkeit wichtiger nehme als Genauigkeit."
Wer zählt besser – Mensch oder Maschine?
Die Idee, dass ein Mensch besser und genauer zählen kann als eine Maschine mag einigen einleuchten. Aber sie treffe aus einem einfachen Grund nicht zu, sagt Rachael Cobb, Professorin für Politikwissenschaften an der Suffolk University in Boston. "Menschen machen Fehler, das ist einfach menschlich. Maschinen machen zwar auch mal einen Fehler, aber die Geräte können wir testen, kontrollieren und das, was zum Fehler geführt hat, reparieren", sagt Cobb im DW-Interview. Sie forscht zur Durchführung von Wahlen und der dazugehörigen Verwaltung. Generell mache ein Mensch mehr Fehler, weil er im Gegensatz zur Maschine irgendwann müde werde, so Cobb.
So sah es wohl auch ein Richter, der der Hand-Zählung am Dienstag einen Riegel vorschob. Es sei keine Schulung für Wahlhelfer konzipiert worden, und eine Änderung im Prozedere so kurz vor der Wahl würde zu Chaos führen, begründete Richter Robert McBurney sein Urteil. In Georgia werden die Stimmen bei der kommenden Präsidentschaftswahl daher also wie gehabt maschinell gezählt.
USA: Das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Wahl sinkt
Das Hin und Her verdeutlicht ein Problem, dass die USA seit Jahren bewegt: Immer weniger Amerikanerinnen und Amerikaner glauben daran, dass bei den demokratischen Wahlen in ihrem Land alles mit rechten Dingen zugeht. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup von September 2024 fand, dass 19 Prozent aller Teilnehmenden keinerlei Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Wahl und in die Legitimität des Wahlergebnisses haben. 2004 lag diese Zahl noch bei sechs Prozent. Bei Republikanern ist das Misstrauen weiter verbreitet – nur 28 Prozent vertrauen darauf, dass bei der Wahl alles korrekt abläuft. 2020 lag diese Zahl bei 44 Prozent, vier Jahre zuvor, als Donald Trump die demokratische Kandidatin Hillary Clinton schlug, glaubte eine Mehrheit von 55 Prozent der Republikaner an eine gerechte und rechtmäßige Wahl.
"Wenn der eigene Kandidat gewinnt, geht man eher davon aus, dass bei der Wahl alles gut lief", sagt Cobb.
Dass das Vertrauen der Republikaner seit 2020 nochmal erheblich gefallen ist, liegt daran, dass Trump und seine Unterstützer unerbittlich daran festhalten, dass ihm die Wahl 2020 "gestohlen" wurde. Sie behaupten, dass Trump durch Manipulation der Ergebnisse um seinen rechtmäßigen Sieg gebracht wurde. Diese Verschwörungsmythen wurden durch akribisches Nachzählen und viele Gerichtsurteile widerlegt, aber Trump weigert sich weiterhin anzuerkennen, dass er damals verloren hat.
Trump-Unterstützer haben die Mehrheit in Georgias Wahlbehörde
Zu den Trump-Getreuen, die diese Wahllüge ebenfalls weiterhin unterstützen, gehören auch drei Mitglieder der fünfköpfigen Wahlbehörde in Georgia. Diese Mehrheit in dem hart umkämpften Bundesstaat, wo sich Trump und seine demokratische Konkurrentin Kamala Harris ein Kopf-an-Kopf Rennen liefern, könnte im November von entscheidender Bedeutung sein. Vor vier Jahren war Georgia einer der Staaten, wo Ergebnisse so knapp waren, dass es mehrere Streitfälle gab und Republikaner auf eine Nachzählungen bestanden, bevor die Ergebnisse zertifiziert werden konnten. Das Election Board ist an diesen Prozessen maßgeblich beteiligt – und seit Mai dieses Jahres eben mehrheitlich mit Trump-Unterstützern besetzt.
Belegen lässt es sich nicht, aber Cobb vermutet, dass der Versuch der drei Mitglieder, eine Auszählung von Hand einzuführen, eine politische Strategie gewesen sein könnte. "Zu sagen, dass die Methode, die bisher verwendet wurde, schlecht war und dringend geändert werden muss, sät Misstrauen, auch wenn die neue Methode gar nicht besser wäre", sagt die Politologin.
Nach dem Gerichtsurteil wird jetzt zwar, wie zuvor auch, maschinell gezählt. Aber die Aussagen des Election Boards dürften zu Zweifeln an den Ergebnissen in Georgia führen – besonders dann, wenn die Zahlen zu Ungunsten von Donald Trump wären.
Georgias Wahlbehörde und der Einfluss auf den Wahlausgang
Könnte eine für Trump eingenommene Behörde, die für das Auszählen und Zertifizieren der Wahlergebnisse eines einzelnen Bundesstaats zuständig ist, den Ausgang der gesamten Präsidentschaftswahl beeinflussen? "Wenn der Vorsprung groß ist und es für den Verlierer unmöglich wäre, die notwendige Anzahl an Stimmen zu erreichen, auch bei einer Nachzählung, dann ist [eine mehrheitlich Trump-freundliche Behörde] egal", sagt Cobb.
Aber Georgia ist ein Swingstate, also ein Bundesstaat, bei dem sich Demokraten und Republikaner abwechselnd den Sieg abringen, den die Demokraten unter Joe Biden 2020 mit nur 0,2 Prozentpunkten Vorsprung gewannen. Wenn das Wahlergebnis in Georgia letztlich darüber entscheidet, ob Harris oder Trump ins Weiße Haus einzieht – was nicht ausgeschlossen ist - könnte es spannend werden.
Die vergangenen Wahlen haben gezeigt, dass es in jedem Fall Menschen in der Bevölkerung geben wird, die dem amtlichen Endergebnis nicht trauen werden. Dabei seien die Wahlen in den USA grundsätzlich gut organisiert, sagt Cobb. "Wahlhelfer arbeiten hart, damit am Wahltag alles richtig läuft", betont sie. "Wir haben viele Gesetze in diesem Land, die dafür sorgen, dass die Identität aller Wähler überprüft wird, dass ihre Stimmen gezählt werden, und dass sich die Absicht der Wählerschaft in den Ergebnissen widerspiegelt."