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US-Wahl: Warum war Abtreibung so ein großes Streitthema?

6. November 2024

Viel Gewicht bekam im US-Wahlkampf der Streit ums Abtreibungsrecht. An dem Thema scheiden sich in den Vereinigten Staaten die Geister.

Zwei Demonstranten mit großen Plakaten vor einer Abtreibungsklinik in Ohio
Vor vielen Abtreibungskliniken bauen sich immer wieder Demonstranten auf, die Schwangere von einer Abtreibung abhalten wollen - so wie hier in OhioBild: Henning Goll/DW

Ist es Mord, eine Schwangerschaft abzubrechen? Oder gehört der Zugang zu sicheren Abtreibungen zu den Grundrechten eines jeden Menschen?

Wenige Themen werden in den USA so emotional aufgeladen diskutiert wie dieses. Neben der Wirtschaft, den gestiegenen Lebenshaltungskosten, der Einwanderung und der Gesundheitsfürsorge gehört Abtreibung zu den Punkten, die die US-Wählerinnen und -Wähler am meisten beschäftigen. 

Die Wahl am 5. November ist die erste Präsidentschaftswahl, nachdem der Supreme Court, der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten, im Juni 2022 ein bestehendes Abtreibungsgesetz gekippt hat. Damals stimmte eine konservative Mehrheit des neunköpfigen Supreme Courts dafür, dieses Gesetz aufzuheben.

Zuvor hatte laut Grundsatzurteil im Fall Roe v. Wade von 1972 jede Frau in den USA das Recht, über Fortführung oder Abbruch ihrer Schwangerschaft selbst zu entscheiden. 

Seit der Entscheidung des Surpreme Courts legt jeder Bundesstaat eigene Abtreibungsregelungen fest - die teilweise sehr streng sind. In einigen republikanisch regierten Bundesstaaten wie Kentucky oder Louisiana sind Schwangerschaftsabbrüche komplett verboten, auch nach Vergewaltigungen.

In anderen Bundesstaaten sind Schwangerschaftsabbrüche nur ganz am Anfang einer Schwangerschaft erlaubt, also zu so frühen Zeitpunkten, bei denen viele Frauen noch gar nicht bemerken, dass sie überhaupt schwanger sind.

US-Wahl: Abtreibung als Schlüsselfrage?

04:35

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Donald Trump, der ehemalige Präsident und aktuelle Präsidentschaftskandidat der Republikaner, hat in seiner ersten Amtszeit von 2017 bis 2021 drei konservative Supreme Court-Richter ernannt, die alle dafür stimmten, das landesweite Recht auf Abtreibung zu kippen. Darauf ist Trump sehr stolz.

"Das war eine großartige Tat von mir", sagte Trump Anfang September beim TV-Duell gegen seine Konkurrentin Kamala Harris über das Ende des landesweiten Abtreibungsrechts. "Es erforderte Mut, und der Oberste Gerichtshof hat großen Mut gezeigt."

Harris, die aktuelle Vizepräsidentin und Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, will erreichen, dass alle Amerikanerinnen wieder freien Zugang zu Abtreibungen haben, egal in welchem Bundesstaat sie leben.

"Ich werde dafür kämpfen, das zurückzubringen, was Donald Trump und seine eigens ausgesuchten Surpreme Court Richter den Frauen in Amerika genommen haben", sagte Harris bei einer Wahlkampfrede in Washington am Dienstag.

"Harris ist ganz offensichtlich 'pro-choice' und präsentiert Abtreibungsrecht als eine Frage der Freiheit", stellt Laura Merrifield Wilson, Politologin an der University of Indianapolis, fest. Mit dem Begriff "pro-choice" (zu Deutsch: "für Wahlfreiheit") wird die Bewegung bezeichnet, die sich in den USA für ein Recht auf Abtreibung einsetzt. 

"Das Thema ist der demokratischen Wählergruppe wichtig, vor allem Frauen und jüngeren Menschen," so Wilson weiter.

"Abtreibung ist eine einsame Entscheidung"

Das bestätigt auch eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center, die zwischen Ende August und Anfang September dieses Jahres durchgeführt wurde. Dort gaben demokratische Wähler und Wählerinnen Abtreibung als das drittwichtigste Thema bei ihrer Wahlentscheidung an.

Die einzigen beiden Themen, die noch wichtiger waren: Gesundheitsfürsorge und die Besetzung des Supreme Courts - was letztlich auch mit Abtreibung zu tun hat.

Auch Catherine Romanos liegt das Thema Abtreibung sehr am Herzen. Romanos ist Gynäkologin in einer Abtreibungsklinik im Bundesstaat Ohio, wo Abtreibungen bis zu dem Zeitpunkt legal sind, an dem ein Fötus außerhalb des Mutterleibs lebensfähig wäre, also bis etwa zur 23. oder 24. Schwangerschaftswoche.

Catherine Romanos fürchtet, dass die Republikaner Abtreibungen insgesamt verbieten wollenBild: Henning Goll/DW

In der Klinik in Dayton behandelt Romanos auch Frauen, die in ihrem eigenen Bundesstaat keinen Zugang zu Abtreibungen haben. "Die Patientinnen hier kommen aus Georgia, Alabama, Arkansas, Texas," erzählt Romanos der DW.

"Abtreibung ist eine einsame Entscheidung. Und dann kommen einige Frauen auch noch allein, weil sie das Gefühl haben, etwas Falsches zu tun, wenn sie in einen anderen Bundesstaat fahren [um eine Abtreibung vornehmen zu lassen]."

Sie macht sich Sorgen darüber, dass die Republikaner bei einem Wahlsieg Trumps weitere Restriktionen einführen könnten, die den Zugang zu Abtreibung für noch mehr Frauen erschweren.

"Ich denke, es wäre eine schlechte Nachricht für alle mit einem Uterus und für alle, die über ihren eigenen Körper entscheiden möchten, wenn Donald Trump gewinnt", sagt Romanos.

Wichtig für republikanische Wähler: Wirtschaft und Einwanderung

Für republikanische Wähler sind laut der Pew-Umfrage die Wirtschaft, Einwanderung und der Kampf gegen Gewaltverbrechen die drei wichtigsten Themen bei ihrer Wahlentscheidung. Abtreibung landete auf dem drittletzten Platz.

"Abtreibung ist ein einflussreicher Faktor, wenn es darum geht, Menschen an die Wahlurne zu bringen, aber vor allem für die Demokraten", sagt Kelly Dittmar, Forschungsdirektorin am Center for American Women and Politics der Rutgers University in New Jersey. "Bei der Wahl 2016 war es noch ein großer Mobilisierungsfaktor für die Republikaner. Da hieß es 'Ignoriert alles andere, Donald Trump wird konservative Richter am Supreme Court platzieren!' Und genau das hat er dann ja auch getan."

Aktuell seien republikanische Wähler damit zufrieden, dass die Bundesstaaten über Abtreibung entscheiden, deswegen stünde für viele von ihnen das Thema nicht ganz oben auf der Liste, sagt Dittmar der DW.

Demokraten hoffen auf Wahlerfolg wie bei den letzten Midterms

Dass es vor allem Kamala Harris und die Demokraten sind, die bei Wahlkampfveranstaltungen immer wieder über Abtreibung sprechen, sei nicht überraschend, findet Brandon Conradis, Politikredakteur der Nachrichtenseite "The Hill" in Washington und ehemaliger DW-Mitarbeiter. "Die Demokraten denken, dass sei für sie ein Thema, mit dem sie punkten können", so Conradis. "Viele der Wählergruppen, die zur Kernklientel der Demokraten gehören - wie junge oder schwarze Wähler, Frauen oder Wähler in den Vororten - sind dafür, dass der Zugang zu Abtreibungen wieder erleichtert wird, landesweit."

Treue Trump-Unterstützer

02:40

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Außerdem haben die Demokraten mit diesem Thema schon einmal Erfolg gehabt. Die letzten Zwischenwahlen, bei denen das Volk über einen Teil der Senatoren und alle Abgeordneten im US-Kongress abstimmte, fanden im November 2022 statt, wenige Monate, nachdem der Oberste Gerichtshof Roe v. Wade gekippt hatte. Normalerweise gilt, dass die Partei, die zum Zeitpunkt der Zwischenwahlen den Präsidenten stellt, schlechter abschneidet.

Aber das Ende des landesweiten Rechts auf Abtreibung war eine Art Weckruf für progressive Wählerinnen und Wähler. Die Republikaner eroberten zwar das Repräsentantenhaus, aber die erwartete "rote Welle", also ein überwältigender Sieg der Republikaner, blieb aus. Entgegen des historischen Trends konnten die Demokraten ihre Mehrheit im Senat halten und sogar um einen Sitz ausbauen. Ob sich das Eintreten fürs Abtreibungsrecht auch bei den Präsidentschaftswahlen für die Demokraten gelohnt hat, wird sich nach dem 5. November zeigen.

Carla Bleiker Redakteurin, Channel Managerin und Reporterin mit Blick auf Wissenschaft und US-Politik.@cbleiker