Verurteilung in Serie: Weitere rechtsextreme "Proud Boys" müssen wegen des Sturms auf das US-Kapitol ins Gefängnis. Einer von ihnen spielte bei dem gewalttätigen Marsch eine zentrale Rolle.
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Es ist die bislang höchste Strafe für ein Mitglied der "Proud Boys" nach dem Sturm auf das Kapitol in Washington: Ein früherer Anführer der rechtsextremen "Stolzen Jungs" muss für seine Rolle beim gewaltsamen Eindringen in das Parlamentsgebäude der USA am 6. Januar 2021 für 18 Jahre in Haft.
Ethan Nordean war im Prozess von Ermittlern als Antreiber der Erstürmung bezeichnet worden. "Er ist der unbestrittene Anführer vor Ort am 6. Januar", sagte Staatsanwalt Jason McCullough. Richter Timothy Kelly vom Bundesbezirksgericht der US-Hauptstadt Washington verurteilte Nordean unter anderem wegen "aufrührerischer Verschwörung", einem seltenen Strafgrund, der aus der Zeit des Amerikanischen Bürgerkriegs vor 160 Jahren stammt.
Laut Staatsanwaltschaft wurden Nordeans Worte und Online-Postings im Vorfeld des 6. Januar immer aggressiver. An diesem Tag führte er mit einem Megafon in der Hand eine Gruppe von fast 200 Leuten in Richtung Kapitol, war dann an der Spitze des Mobs und half, einen Zaun niederzureißen, sodass die Randalierer auf das Parlamentsgelände drängen und die Polizei attackieren konnten, so Gerichtsdokumente.
Die Staatsanwaltschaft hatte eine Strafe von 27 Jahren gefordert. Die Verteidiger argumentierten, dass es an diesem Tag keinen Plan zur Erstürmung des Kapitols gegeben habe, und wehrten sich gegen die Behauptung, dass Nordean den Zaun niedergerissen habe oder dass sich seine Rhetorik speziell auf den 6. Januar bezogen habe. Sie beantragten weniger als zwei Jahre Gefängnis.
"Komplette und totale Tragödie"
Der 33-Jährige selbst sagte vor Gericht, er betrachte den 6. Januar heute als eine "komplette und totale Tragödie" und bedauere, dass er nicht versucht habe, seine führende Rolle zu nutzen, um die Ereignisse zu verhindern. "Es gibt keine Kundgebung oder politischen Protest, der mehr Wert haben sollte als ein Menschenleben", sagte Nordean. "Es tut mir leid für jeden, dem ich direkt oder auch nur indirekt Unrecht getan habe."
Gegen Dominic Pezzola, einen weiteren gewalttätigen "Proud Boy", wurden am Freitag zehn Jahre Haft verhängt. Der heute 46-Jährige hatte mit dem Schutzschild eines Polizisten ein Fenster des Kapitols zertrümmert. Außerdem filmte er, mit Zigarre im Mund, ein "Jubelvideo" im Inneren des Gebäudes.
Die Geschworenen sprachen ihn jedoch von dem Vorwurf der aufrührerischen Verschwörung frei, da er sich erst kurz vor der Erstürmung den "Proud Boys" angeschlossen hatte. Er wurde wegen anderer schwerer Vorwürfe verurteilt. "Er war ein begeisterter Fußsoldat", sagte Staatsanwalt Erik Kenerson, der in seinem Plädoyer 20 Jahre Gefängnis gefordert hatte. Pezzola zeigte sich nach dem Urteil nicht reumütig, sondern hob trotzig die Faust und skandierte beim Verlassen des Gerichts: "Trump hat gewonnen!".
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Weiteres Urteil am Dienstag erwartet
Bereits am Donnerstag waren zwei "Proud Boys" zu 17 Jahren und 15 Jahren Haft verurteilt worden. Für Dienstag ist zudem die Verkündung des Strafmaßes für den wichtigsten Anführer der rechten Gruppe, Enrique Tarrio, angesetzt. Er war bei dem Sturm auf das Kapitol vor zweieinhalb Jahren nicht persönlich dabei, weil ihm eine Reise nach Washington damals gerichtlich verboten worden war.
Anhänger des abgewählten Präsidenten Donald Trump hatten am 6. Januar 2021 den Sitz des US-Parlaments in Washington erstürmt. Dort war der Kongress, also die Mitglieder beider Parlamentskammern, zusammengekommen, um den Sieg des Demokraten Joe Biden bei der Präsidentschaftswahl formal zu bestätigen. Trump hatte seine Anhänger zuvor bei einer Rede mit der Lüge aufgewiegelt, er sei durch massiven Wahlbetrug um einen Sieg gebracht worden.
Bereits im Wahlkampf hatte Trump sich geweigert, die rechtsradikale Gruppe klar zu verurteilen. In einer Fernsehdebatte mit Biden sagte Trump: "Proud Boys - haltet euch zurück und haltet euch bereit."
Als Folge der Krawalle kamen fünf Menschen ums Leben. Die Attacke auf das Herz der US-Demokratie erschütterte das Land und machte weltweit Schlagzeilen. Insgesamt sind laut "New York Times" rund 1100 Verfahren gegen Teilnehmer des Protests eröffnet worden.
AR/se (dpa, rtr, ap)
Sturm auf das Kapitol - Das Trauma der USA
Tränengas, Schüsse und Tote: Vor einem Jahr stürmen Anhänger des bereits abgewählten Präsidenten Donald Trump den US-Kongress. Die Ereignisse waren beispiellos in der US-amerikanischen Geschichte. Ein Rückblick.
Bild: Allison Bailey/NurPhoto/picture alliance
Hell erleuchtet - ein schwarzer Tag
Tausende Anhänger von Donald Trump drängen sich rund um das Kapitol in Washington. Sie schwenken Fahnen und fordern, dass ihnen eine vermeintlich gestohlene Wahl zurückgegeben wird. 800 von ihnen gelingt es, mit Gewalt ins Kapitol einzudringen. Sie machen Jagd auf Politiker, verprügeln Polizisten und hinterlassen eine Schneise der Verwüstung. Fünf Menschen sterben, Dutzende werden verletzt.
Bild: Leah Millis/REUTERS
Donald Trump: "Protest gegen manipulierte Wahlen"
Für viele war es ein Aufstand oder gar Putschversuch, der von Donald Trump angeheizt oder sogar orchestriert worden war. Derzeit ermittelt ein Sonderausschuss im US-Kongress zur Rolle des Ex-Präsidenten beim Sturm. Trump selbst pflegt weiterhin seine Interpretation der Geschichte: "Am 6. Januar fand ein vollkommen unbewaffneter Protest gegen die manipulierten Wahlen statt", erklärte er kürzlich.
Bild: Jacquelyn Martin/AP Photo/picture alliance
Alles nur ein legitimer Protest?
Der Sturm auf das Kapitol sorgte weltweit für Entsetzen. Für viele Republikaner dagegen ist er bis heute ein legitimer Protest gegen angeblich manipulierte Wahlen. Sie organisieren sogar Veranstaltungen vor Gefängnissen, in denen Verdächtige festsitzen. Aufklärung oder Verklärung - wer die Deutungshoheit über den Sturm gewinnt, hat beste Chancen für die Zwischenwahlen am 8. November.
Bild: Brent Stirton/Getty Images
Mehr als 720 Angeklagte
Die Erstürmung des Kapitols hat für die Angreifer juristische Konsequenzen. Mehr als 50 von ihnen wurden bislang verurteilt. Die stärksten Beweise kommen oftmals von den Beschuldigten selbst, die sich in den sozialen Medien mit ihren Taten brüsten. Diejenigen, die einem "Plea Deal" zustimmen, können auf Bewährung hoffen: indem sich die Angeklagten für schuldig erklären, winkt eine milde Strafe.
Bild: Brent Stirton/Getty Images
"Proud Boys" im Fadenkreuz der Ermittler
Die US-Hauptstadt Washington hat die rechtsradikale Gruppierung auf Schadensersatz verklagt. Sie gilt als eine der loyalsten Unterstützer von Donald Trump. Ihre Anführer sollen sich laut der Zivilklage verschworen haben, Washington zu "terrorisieren", in einer "koordinierten Aktion von inländischem Terrorismus". Gegen einige Mitglieder der "Proud Boys" wird bereits strafrechtlich ermittelt.
Bild: Alex Edelman/AFP/Getty Images
Der Einpeitscher Alex Jones
Der Radiomoderator und Verschwörungstheoretiker Alex Jones zählt zu den Strippenziehern der Unruhen. Er rührte die Werbetrommel für den Pro-Trump-Protestmarsch in Washington und rief energisch dazu auf, dass eine Million Menschen für Donald Trump und gegen korrupte Demokraten demonstrieren sollten. Laut Untersuchungsausschuss soll Jones auch bei der Finanzierung der Veranstaltung geholfen haben.
Bild: Jon Cherry/Getty Images
Gefängnis für den "QAnon-Schamanen"
Sein Gesicht, der tätowierte Oberkörper und die Fellmütze mit Büffelhörnern gingen um die Welt und machten ihn zur Symbolfigur für den Sturm auf das Kapitol: Jacob Chansley. Der selbst ernannte Schamane und Anhänger der QAnon-Verschwörungstheorie aus Phoenix im Bundesstaat Arizona bekannte sich schuldig. Das Urteil wegen Behinderung eines offiziellen Vorgangs: knapp dreieinhalb Jahre Gefängnis.
Bild: Win McNamee/Getty Images
Das Trauma der Polizisten
Beim Anblick eines Videos über die Ereignisse vom 6. Januar 2021 kann Aquilino Gonell von der Kapitol-Polizei seine Tränen nicht mehr zurückhalten. "Ich hätte
sterben können an jenem Tag. Nicht ein Mal, sondern viele Male", gibt der Polizist bei der Anhörung vor dem Kongress zu Protokoll. Ein Polizist starb bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen, vier weitere nahmen sich später das Leben.
Bild: Chip Somodevilla/Getty Images
Jetzt mehr Sicherheit am Kapitol
Dass die Trump-Anhänger ins Kapitol vordringen konnten, lag auch am Versagen der Sicherheitsbehörden. Untersuchungsergebnis des US-Senats: Trotz der Hinweise auf einen möglicherweise bevorstehenden Angriff erteilte die Polizeiführung keine Anweisungen. Das Eingreifen der Nationalgarde wurde lange verzögert, die Bundespolizei FBI und das Heimatschutzministerium spielten Onlinedrohungen herunter.
Bild: Al Drago/Getty Images
Kehrt Trump nach Washington zurück?
Für die Gegner von Donald Trump wäre es der absolute Albtraum, für seine Anhänger indes eine triumphale Rückkehr. Viele Politikexperten rechnen fest damit, dass der Ex-Präsident 2024 ins Rennen um das Weiße Haus einsteigen wird. Bisher konnte Trump noch kein Skandal wirklich etwas anhaben. Und auch sein Beitrag zu den Geschehnissen vom 6. Januar scheinen einem Comeback nicht im Wege zu stehen.