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Politik

Ein Anschlag und seine Motive

4. Januar 2020

Der Angriff der USA auf Irans General Soleimani verschärft die Konfrontation am Golf. US-Präsident Donald Trump könnte damit aber auch innenpolitische Ziele verfolgen - oder zu wenig darüber nachgedacht haben.

Irak Bagdad Trauermarsch für Kassem Soleimani und Abu Mahdi al-Muhandis
Bild: Reuters/T. al-Sudani

"Wir haben in der vergangenen Nacht gehandelt, um einen Krieg zu stoppen. Wir haben nicht gehandelt, um einen Krieg zu beginnen." Ein Hauch von Beschwichtigung mag sich aus dem Tweet von US-Präsident Donald Trump vom frühen Samstagmorgen herauslesen. Damit bezog er sich auf die Tötung eines der mächtigsten Männer im Iran, des Generals Ghassem Soleimani, Kommandant der Al-Quds-Brigaden, einer Einheit für Spezialeinsätze der Revolutionsgarden. Die USA stufen sie als Terrororganisation ein und machen Soleimani für den Tod hunderter Amerikaner im Nahen Osten verantwortlich.

Ob sich ein Krieg auf diese Weise tatsächlich vermeiden lässt? Die Folgen der Tötung Soleimanis seien schwer absehbar, sagt Sascha Lohmann, Politikwissenschaftler der Forschungsgruppe Amerika der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Die derzeitige Situation sei grundsätzlich offen und könne sich in vielerlei Richtungen bewegen. "Aber es liegt natürlich auf der Hand, dass angesichts der staatlich verordneten Tötung eines prominenten Mitglieds der iranischen Führung eine sehr starke Reaktion zu erwarten ist."

In den zurückliegenden Monaten hätte sich der Iran relativ zurückhaltend gezeigt. Die USA machen ihrerseits die Regierung in Teheran für mehrere Zwischenfälle verantwortlich: für den Abschuss einer US-amerikanischen Drohne im Persischen Golf im Juni, für den Beschuss von Anlagen des saudischen Energieunternehmens Saud Aramco im September sowie dafür, dass am vergangenen Wochenende pro-iranische Demonstranten einen Teil der US-Botschaft in Bagdad gestürmt haben. Zwar sei die Urheberschaft des Iran in diesen Fällen nicht zweifelsfrei erwiesen, so Lohmann im Gespräch mit der DW. Eines aber sei gewiss: "Es waren sehr dosierte Aktionen, die keine Menschenleben forderten." Das könne sich nach der Tötung Soleimanis ändern: "Im Vergleich dazu wird man in der Dosierung weit nach oben gehen. Dadurch wird die Situation höchst labil."

Abschied: Ajatollah Ali Chamenei mit einer Verwandten Soleimanis Bild: picture-alliance/dpa/Office of the Iranian Supreme Leader

Internationale Einsatzregeln missachtet

Mit dem Anschlag auf den General, sagt der Politologe Max Abrahms von der Northeastern University in Boston, hat sich das Weiße Haus grundlegend von international geltenden Verhaltensweisen entfernt. "Die Einsatzregeln für Streitkräfte (Rules of Engagement) sind missachtet worden. Das heißt, dass präventive Angriffe mehr und mehr die bisherige Logik der Abschreckung ersetzen werden, die ein gewisses Maß an Stabilität gewährte." Damit sei das schwierige Verhältnis zwischen Washington und Teheran noch unberechenbarer geworden. "Die Tötung Soleimanis wird die Revolutionsgarden gewiss nicht abschrecken", so Abrahams im Gespräch mit der DW. "Wir sollten uns auf eine ganze Reihe asymmetrischer Aktionen seitens des Iran einstellen."

Zudem hat der Iran erklärt, die USA juristisch für die Tötung von Soleimani zur Verantwortung ziehen. Es seien verschiedene rechtliche Schritte auf internationaler Ebene geplant, sagte Außenminister Mohammad Dschawad Sarif dem staatlichen Fernsehen. "Es handelte sich eindeutig um einen terroristische Handlung", so Sarif.

Zuvor hatte die UN-Menschenrechtsexpertin Agnes Callamard auf Twitter erklärt, die gezielte Tötung Soleimanis stelle wahrscheinlich ein Verstoß gegen internationales Recht dar.

Militärische Zurückhaltung schützt Leben

Auch in den USA gilt den Anschlag als überaus riskantes Manöver. "Ein Grund, warum wir ausländische politische Offizielle nicht töten, liegt in unserer Annahme, dass durch derartige Aktionen nicht weniger, sondern mehr Amerikaner getötet werden", zitiert die "New York Times" den demokratischen Senator Christopher Murphy. Durch die Tötung Soleimanis könnte die Trump-Regierung einen "massiven regionalen Krieg" in Gang gesetzt haben.

Aufruhr nicht nur in Teheran: Demonstrationszug in Islamabad Bild: picture-alliance/dpa/AP/B. K. Bangash

Die Aktion hat auch zu einer  Solidarisierung weiter Teile der arabischen Welt mit dem Iran geführt, wie die Trauerfeierlichkeiten für Soleimani zeigen. So stellt sich die Frage, was den US-Präsidenten zu der Tötung Solimeimanis motiviert hat. "Trump könnte sie aus der Sorge angeordnet haben, als Akteur in der Region nicht mehr ernst genommen zu werden", vermutet Sascha Lohmann. Nach den zurückhaltenden US-Reaktionen gegenüber dem Iran in den vergangenen Monaten musste Präsident Trump fürchten, "als Papiertiger wahrgenommen zu werden".

Natürlich habe er auch vor dem Hintergrund innenpolitischer Zwänge gehandelt - etwa des Amtsenthebungsverfahrens oder auch der im Herbst anstehenden Präsidentschaftswahlen. "Außenpolitisch aber hat er den Eindruck eines unentschiedenen Präsidenten erweckt, der sich aus der Region zurückzieht und die Dominanz an die Iraner abgegeben hat. Jetzt hat sich die Möglichkeit gegeben, dieses Bild zu korrigieren, und die hat er genutzt."

Konsequenzen nicht durchdacht

Dass er sich der Risiken des Anschlags bewusst war, sei zweifelhaft, vermutet Lohmann. "Ich nehme nicht an, dass er die Konsequenzen dieser Aktion in jeder Hinsicht durchdacht hat. Ihm ging es um etwas anderes: das Image eines dem Iran gegenüber unentschiedenen Präsidenten zu korrigieren."

Welchen Krieg Donald Trump durch die Aktion habe verhindern wollen, müsse er noch erklären, kommentiert die "New York Times" den Tweet des Präsidenten. Auch müsse er der Bevölkerung darlegen, warum er bereit sei, die mit der Tötung Soleimanis verbundenen Risiken einzugehen. Ein Gegenschlag der Iraner würde wiederum einen Gegenschlag der Amerikaner nach sich ziehen.

Im Oktober vergangenen Jahres hatte Trump den geplanten Rückzug der US-Truppen damit begründet, es sei an der Zeit für die USA, sich aus den "lächerlichen, endlosen Kriegen" zurückzuziehen. Dieser Anspruch ist durch die Tötung Soleimanis nun erheblich schwieriger geworden.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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