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Wie demokratisch sind die USA wirklich?

14. Oktober 2024

Wenn die Menschen in den USA im November ihren Präsidenten wählen, gewinnt nicht unbedingt der oder die mit den meisten Stimmen. Die US-Demokratie hat so ihre Tücken. Ein Einblick.

Das Kapitol in Washington angestrahlt bei Nacht
Das Kapitol in Washington ist der Sitz des US-Kongresses, und damit ein Herzstück der amerikanischen DemokratieBild: picture-alliance/dpa/Bildfunk/epa/J. L. Scalzo

Die USA sehen sich seit jeher als eine beispielhafte Demokratie: Ein Land, dass sich andere Nationen, die gerade erst ihre Unabhängigkeit erlangt haben, zum Vorbild für die eigene Demokratie nehmen können.

Dieser Gedanke spiegelt sich in der "City upon a hill"-Metapher, die von überall her sichtbare Stadt auf dem Hügel, die das erste Mal von den Pilgervätern im 17. Jahrhundert bemüht wurde.

Und seitdem immer wieder: Politiker von John F. Kennedy bis Barack Obama haben die USA als Leuchtfeuer bezeichnet, dass die Augen auf sich zieht und anderen den Weg weist. 1961 sagte Kennedy, die Welt blicke weiterhin auf die USA und ihre Demokratie, und dass die Regierung auf allen Ebenen, von landesweit bis kommunal, "eine Stadt auf einem Hügel sein muss."

Am 6. Januar 2021 waren die Augen der Welt definitiv auf die USA gerichtet. An diesem Tag stürmte ein rechtsextremer Mob, ermutigt vom damaligen Noch-Präsidenten Donald Trump, das Kapitol in Washington, um den demokratischen Machtwechsel zu verhindern.

Und in einer Umfrage der University of Chicago und der Nachrichtenagentur ap von 2023 sagten nur zehn Prozent der Beteiligten, die Demokratie in den USA funktioniere extrem oder sehr gut. 

Wie also ist es um die Demokratie in den USA bestellt, kurz vor den Präsidentschaftswahlen im November?

Am 5. November müssen sich die amerikanischen Wählerinnen und Wähler zwischen Donald Trump (l) und Kamala Harris (r), hier beim TV-Duell am 10.9.2024, entscheidenBild: Win McNamee/Getty Images

Grabenkämpfe im Kongress

"Ich glaube, man kann sagen, dass die Amerikaner gerade nicht viel Vertrauen in Regierungsinstitutionen haben", sagt Michael Berkman, Direktor des McCourtney Institute for Democracy und Professor für Politikwissenschaften an der Pennsylvania State University, im DW-Gespräch.

"Sie sehen einen Kongress, der nicht gut funktioniert, und außerdem eine Reihe an schwierigen Problemen wie Waffengewalt und Klimawandel, die die Regierung nicht so richtig in Angriff nimmt."

Im Oktober 2023 konnten sich die Republikaner wochenlang nicht einigen, wer ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus anführen sollte. Während dieser Zeit war der Kongress praktisch lahmgelegt.

Aber selbst ohne solche Unterbrechungen ist es ein langwieriges Unterfangen, politische Vorhaben durch beide Kammern des Kongresses - das Repräsentantenhaus und den Senat - zu bekommen, weil sich Republikaner und Demokraten immer wieder ideologische Grabenkämpfe liefern. 

"Es ist extrem schwierig, manchmal unmöglich, Gesetze zu verabschieden, selbst wenn ein Großteil der Bevölkerung eine Maßnahme unterstützt", erklärt Vanessa Williamson von der US-Denkfabrik Brookings Institution gegenüber der DW. "Das gesamte System in Washington hat ernsthafte Schwierigkeiten." 

Friedlicher Machtwechsel auf der Kippe

Die starke Polarisierung zwischen der Wählerschaft der Demokraten und der Republikaner bedeutet, dass mindestens die Hälfte des Landes mit vielen Entscheidungen der gewählten Regierung äußerst unzufrieden sein dürfte.

Nach den Wahlen 2020 waren viele Republikaner (allen voran Trump) so wütend über das Wahlergebnis, dass sie versuchten, es zu ignorieren, und fälschlicherweise behaupteten, die Wahl sei ihnen "gestohlen" worden. Eine Anhängerschaft, die das glaubte, stürmte das Kapitol, um die Bestätigung von Joe Bidens Wahlsieg zu verhindern.

"Ich denke, der 6. Januar und die Weigerung von einer Seite, das Wahlergebnis zu akzeptieren, ist sehr schädlich für eine Demokratie, da die Akzeptanz eines Wahlergebnisses so ziemlich das Herzstück demokratischer Politik ist", sagt Berkman.

Weitere historische Anklage gegen Trump

02:25

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Wahlmännerkollegium: Wenn die Person mit weniger Stimmen Präsident wird

Kein Wunder also, dass das Vertrauen in die demokratischen Institutionen in den vergangenen Jahren gelitten hat. Aber es gibt noch mehr, was man von einem Land wie den USA vielleicht nicht erwarten würde.

"Zusätzlich zu den jüngsten Vorkommnissen gibt es in den Vereinigten Staaten viele nicht gerade demokratische Vorgänge, die schon sehr lange bestehen", so Williamson.

Der wichtigste davon: Der Gewinner der Präsidentschaftswahlen ist nicht unbedingt derjenige mit den meisten Stimmen.

So gewann Donald Trump die Präsidentschaftswahlen 2016 , obwohl seine Gegnerin Hillary Clinton rund 2,9 Millionen Stimmen mehr erhalten hatte als er. Der Grund für so einen solchen ungewöhnlichen Vorgang ist das sogenannte Wahlmännerkollegium.

In den USA hat jeder der 50 Bundesstaaten je nach Bevölkerungszahl eine bestimmte Anzahl von Wahlmännern. Der Kandidat, der die Mehrheit der Stimmen in einem Staat erhält, bekommt alle Wahlmännerstimmen des Staates. Klingt kompliziert? Hier ist ein Beispiel.

Kalifornien hat als bevölkerungsreichster Staat die meisten Wahlmänner im Wahlmännerkollegium: 54. Der Kandidat oder die Kandidatin, die die meisten Kalifornier dazu bringen kann, für sie zu stimmen, erhält alle 54 Wählerstimmen, auch wenn er oder sie die Abstimmung in Kalifornien nur knapp gewonnen hat. Kleinere Staaten wie Vermont oder South Dakota haben nur drei Wahlmännerstimmen, aber das System ist das gleiche.

Um die Präsidentschaft zu gewinnen, muss ein Kandidat in so vielen Staaten gewinnen, dass er mindestens 270 Wahlmännerstimmen zusammenbekommt. Jemand, der einzelne Bundesstaaten nur mit knappem Vorsprung gewinnt, kann also Präsident werden, auch wenn insgesamt mehr Menschen für den anderen Kandidaten oder die andere Kandidatin gestimmt haben.

Mächtig, aber nicht immer repräsentativ: Der US-Senat. Im Bild Meta-Chef Mark Zuckerberg bei einer Anhörung im Justizausschuss des Senats Bild: Susan Walsh/AP/picture alliance

Der US-Senat - "zutiefst undemokratisch"

Ein weiterer Teil des politischen Systems in den USA mit demokratischen Verzerrungen ist die obere Kammer des Kongresses: der Senat. Jeder US-Bundesstaat hat zwei Senatoren in der Kammer - unabhängig von der Bevölkerungszahl des Staates.

Das bedeutet, dass in einigen Staaten ein Senator ein paar hunderttausend Menschen vertritt, während sich in anderen Staaten ein paar Millionen Menschen eine Senatorin "teilen". Wenn im Senat abgestimmt wird, hat die Stimme jedes Senators und jeder Senatorin genau das gleiche Gewicht, auch wenn sie eine sehr unterschiedliche Anzahl von Menschen vertreten.

Berkman nennt den Senat "eine zutiefst undemokratische Institution". Und Williamson sagt, dass aufgrund der Art und Weise, wie der Senat aufgebaut ist, "unsere bevölkerungsreichsten Regionen im Gesetzgebungsprozess zutiefst unterrepräsentiert sind".

Ein Silberstreif am Horizont: Mehr Bürgerbeteiligung

Die USA sind zwar keine Musterdemokratie, aber die Amerikaner haben ihr Land deswegen noch lange nicht aufgegeben. Im Gegenteil: Immer mehr Menschen engagieren sich. Die Wahlbeteiligung bei den Präsidentschaftswahlen 2020 lag bei über 65 Prozent und damit so hoch wie seit mehr als 100 Jahren nicht mehr.

"Die politische Beteiligung ist in den vergangenen acht, zehn Jahren gestiegen", so Berkman. "Und ich denke, das ist wichtig."

Carla Bleiker Redakteurin, Channel Managerin und Reporterin mit Blick auf Wissenschaft und US-Politik.@cbleiker