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Politik

Wahlkampf mit Kalaschnikow

13. September 2020

Sie zeigen sich mit Sturmgewehr in Amerikas Städten und schießen scharf oder mit Farbpatronen auf "Black Lives Matter"-Demonstranten. Rechte Bürgerwehren in den USA haben großen Zulauf. Was treibt ihre Mitglieder an?

USA Washington | US-Bürgerwehr "American Wolf" | Peter Díaz
Bild: DW/O. Sallet

Peter Diaz steht auf einem geheimen Schießplatz, in einem Wald im US-Bundesstaat Washington. Um ihn herum hat sich eine kleine Menschentraube gebildet. Es ist ein heißer Sonntag im August, das Knallen der automatischen Sturmgewehre dröhnt in den Ohren, die Luft riecht nach Staub, nach Testosteron.

Díaz, durchtrainiert, kurzrasierte Schläfen und verspiegelte Sonnenbrille, ist der Anführer der Bürgerwehr "American Wolf". Er lacht, wenn er spricht, schäkert, verteilt Visitenkarten, immer mit den Worten "for the good guys", für die Guten.

Peter Díaz - der Unternehmer steckte sein Privatvermögen in den Aufbau einer BürgerwehrBild: DW/O. Sallet

"Die Guten", das sind für Diaz amerikanische Patrioten, die US-Präsident Donald Trump bewundern, seine Politik, seine Entschlossenheit und natürlich das im Grundgesetz verankerte Recht auf Waffenbesitz. "Breaking News, I don't care", hat einer auf seinem übergroßen T-Shirt stehen, einige tragen Pistolen am Gürtel oder ein Sturmgewehr um den Hals.

Angst vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen

Diese "Guten" will Diaz für seine Sache gewinnen, für seine kleine Armee aus Zivilisten. 181 solcher Milizen gab es 2019 laut einer Studie des Southern Poverty Law Centers in den USA - und es werden mehr. Gemein haben sie die Nähe zu Trump, die Ablehnung traditioneller Medien und den Hang zur Waffe. Genau darin liegt ihre größte Gefahr, warnen Soziologen und Historiker schon seit einiger Zeit. Denn wenige Wochen vor der Wahl und inmitten von Unruhen und Protesten heizen sie die Stimmung im Land weiter an, marschieren bei "Black Lives Matter"-Protesten auf, schießen auf Demonstranten.

Über 180 Milizen gibt es in den USA - etwa die "Guardian Patriots", die an der Grenze zu Mexiko Migranten jagenBild: DW/O. Sallet/M. Förg

Vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen warnen einige sogar, wenn sich die Situation noch weiter zuspitzen sollte. Die nahende Wahl und die Ankündigung Trumps, eine Niederlage nicht unbedingt anzuerkennen, befeuern die Stimmung zusätzlich.

An Krieg dachte der 38-jährige Unternehmer Díaz nicht, als er vor drei Monaten seine Miliz gründete, mit 180.000 Dollar aus seinem Privatvermögen. Und auch Miliz oder Bürgerwehr möchte er nicht genannt werden, das wirke abschreckend, sagt er. Stattdessen spricht er von einer "politischen Bewegung", direkt aus der "Mitte der Gesellschaft".

Mit der Kalaschnikow für amerikanische Werte kämpfen

Wenn Diaz von seinen Zielen spricht, wird er allerdings wenig konkret. Er wolle "Amerika retten", denn dunkle Mächte würden die Regierung stürzen und den Sozialismus in Amerika installieren wollen, sagt er und bedient dabei ein Repertoire aus gängigen Verschwörungstheorien.

Dann greift er zur AK-47, der berühmt-berüchtigten Kalaschnikow aus sowjetischer Herstellung und feuert einige der 30 Schüsse aus dem Magazin ab. Diaz hat ein Faible für die "gute alte Zeit" - dass ausgerechnet die Kalaschnikow das Sturmgewehr des ehemaligen Klassenfeinds ist, dessen sozialistische Politik er als größte Bedrohung für Amerika ausgemacht hat: Nebensache. "So gute Waffen werden heute nicht mehr gebaut", sagt Diaz, denn die könne man in den Matsch werfen und sie funktionierten immer noch.

Schießtraining im Einheitslook - wie groß die Bürgerwehr "American Wolf" tatsächlich ist, ist nicht bekanntBild: DW/O. Sallet

Etwa zehn weitere Mitglieder der Bürgerwehr sind zum Schießtraining gekommen, aber wie viele feste Mitglieder seine Truppe hat, bleibt geheim. Jeder, sagt Diaz, könne ein "American Wolf" sein, wenn er seine konservativen Werte und den Glauben an ein "freies Amerika" teile, in dem jeder seines eigenen Glückes Schmied sei und der Staat sich möglichst aus privaten Belangen heraushalte.

Tote in Kenosha

Unter den Anwesenden sind ehemalige Soldaten, ein Student und auch ein Afroamerikaner. In die Schublade weißer Rassisten will sich Diaz, selbst Sohn eines illegalen Einwanderers aus Mexiko, nicht stecken lassen.

Wie konkret die Gefahr ist, wurde Ende August in Kenosha, im US-Bundesstaat Wisconsin deutlich. Nachdem ein Polizist sieben Mal auf den Afroamerikaner Jacob Blake schoss, wurde auch Kenosha zum Brennpunkt von "Black Lives Matter"-Protesten; einige Demonstranten steckten Gebäude in Brand.

US-Milizen: Friedenswächter oder Provokateure?

03:05

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Bürgerwehren wie die "Kenosha Guard" patrouillierten daraufhin auf eigene Faust mit kugelsicheren Westen, Camouflage-Hosen und Sturmgewehren. Auf Handyvideos ist zu sehen, wie Polizisten sich bei ihnen bedanken oder sie mit Wasser versorgen. Hinter vorgehaltener Hand wird in amerikanischen Polizeikreisen die Hilfe bewaffneter Zivilisten durchaus geschätzt.

Unter sie hatte sich auch der 17-jährige Schüler und Trump-Fan Kyle Rittenhouse gemischt, der eigens aus dem benachbarten Illinois angereist war, um mit seinem Sturmgewehr Geschäfte vor Plünderern zu beschützen. Am Ende erschoss er zwei Demonstranten, die Bilder lösten weltweit Entsetzen aus.

Für die einen "Held", für die anderen "Terrorist"

Seitdem polarisiert der Fall Rittenhouse, inzwischen verhaftet und des Doppelmordes beschuldigt, die Nation. Auf der einen Seite wird er als "Held" oder "amerikanischer Patriot" gefeiert, getreu dem Motto: Wenn der Staat nicht für Ordnung sorge, müsse dies  eben ein 17-Jähriger tun. Die Bürgerwehr "American Wolf" sammelte in den Tagen danach zehntausende Dollar an Spenden ein, angeblich für die Verteidigung von Rittenhouse. Und auf einer Pressekonferenz im Weißen Haus verteidigte Präsident Trump den des Mordes Beschuldigten mit den Worten, die Demonstranten hätten wohl ihn umgebracht, wenn er sich nicht gewehrt hätte.

"Black Lives Matter"-Protest in KenoshaBild: Getty Images/AFP/S. Olson

Auf Seiten der "Black Lives Matter"-Demonstranten gilt Rittenhouse hingegen als Prototyp eines inländischen Terroristen, der mittels Gewalt die Spaltung und Verrohung der amerikanischen Gesellschaft immer weiter vorantreibe und durch den bewaffnete Kampfszenen auf Amerikas Straßen schleichend immer mehr zur "Normalität" würden.

Diaz hingegen meint, als Patriot sei es seine Pflicht, da einzugreifen, wo die Polizei von der Politik zum Nichtstun gezwungen werde. Darin sehe er eine seiner Kernaufgaben und das Grundgesetz erlaube es ihm, seine Waffe offen zu tragen.

Mit der Limousine durch Amerika

Mit einer schwarzen Mercedes Stretch-Limousine mit großer "American Wolf"-Aufschrift fährt die Gruppe quer durch die Vereinigten Staaten, um auf selbsternannten "Peacekeeping"-Missionen für Recht und Ordnung zu sorgen. Als "Black Lives Matter"-Demonstranten in Diaz' Heimatstadt Olympia durch die Straßen zogen, schossen er und seine Männer mit Paintball-Gewehren in die Menge.

Ende August wollte sich Diaz bei den Protesten in Portland, die er ebenfalls für "gewalttätig" hält, Eindrücke aus erster Hand verschaffen. Seit mehr als drei Monaten dauern die Proteste in der Stadt im Nordwesten des Landes bereits an. Meist sind sie friedlich, aber es kam auch schon zu Toten bei Ausschreitungen zwischen rechten und linken Demonstranten.

Die "American Wolf"-Gruppe, im Partnerlook mit schwarzen "Freedom Fighter"-T-Shirts und stets ohne Gesichtsmaske unterwegs, wurde bereits beim Aussteigen aus der Limousine angefeindet. Viele Demonstranten sahen ihren Auftritt in einer Menschenmenge ohne Maske als Provokation, einige beschimpfen sie als "Nazis".

Mit dem privaten Wasserwerfer gegen Demonstranten

Unter Flaschenwürfen und lautem Gegröle musste die Bürgerwehr am Ende den Rückzug antreten, die Limousine erlitt einen Glas- und Blechschaden. Für Diaz der Beweis, dass "Black Lives Matter"-Demonstranten "Kriminelle" seien, die versuchten, "unsere Regierung zu destabilisieren und unseren Lebensstil zu zerstören".

Experten warnen vor einer weiteren Eskalation der Straßengewalt im Umfeld der US-Wahlen im NovemberBild: Reuters/C. Ochs

Demonstrationen wie in Portland, sagt Diaz, würde er gewaltsam auflösen, wenn er "genug Personal und Material" hätte. Für seinen nächsten Besuch in der Stadt hat er nun offenbar vorgesorgt: Auf Twitter präsentierte er jüngst stolz seine neueste Anschaffung: einen gebrauchten Lkw mit eingebautem Wasserwerfer. Amerikas Straßenkampf, so seine Botschaft, kann in die nächste Runde gehen.

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