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USA: "Wir müssen uns auf mehr Gewalt einstellen"

14. Juli 2024

Nach dem Attentat auf Trump grassiert in den USA die Angst vor einer Eskalation politischer Gewalt. Wissenschaftliche Studien warnen seit langem vor zunehmender Aggression. Kann die Polarisierung aufgehalten werden?

Trump-Anhänger stürmen Kapitol. Zu sehen sind vermummte Personen mit US-Flaggen, die gegen eine Absperrung der Polizei vorgehen
Politische Konfrontation: Am 6. Januar 2021 stürmten aufgebrachte Anhänger Trumps gewaltsam das US-KapitolBild: Julio Cortez/AP Photo/picture alliance

"Der Mordanschlag war das schlimmste Ereignis, was im polarisierten Amerika von heute passieren konnte. Wir müssen uns auf mehr Gewalt einstellen."

Der Kommentar des US-amerikanischen Politikanalysten Ian Bremmer, dem auf X knapp 800.000 Menschen folgen, deutet die dramatischen Auswirkungen der Attacke auf Ex-US-Präsident Donald Trump an.

Trump war während einer Wahlkampfveranstaltung am Samstag in Pennsylvania angeschossen worden. Die Kugel streifte sein Ohr, Sicherheitskräfte drückten ihn zu Boden, um ihn zu schützen. Trump wurde leicht verletzt.

Immer mehr Angriffe auf Personen

Bremmers Besorgnis nach dem Attentat auf Trump ist berechtigt. Nach einer im August 2023 veröffentlichten Reuters-Studieverzeichnen die USA zurzeit den größten anhaltenden Anstieg politischer Gewalt seit den 70er Jahren. Im Gegensatz zu damals richte sich ein Großteil der Angriffe jedoch nicht gegen Eigentum, sondern gegen Personen, so die Studie.

Seit dem Sturm auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021 durch Unterstützer Donald Trumps wurden laut Reuters 213 Fälle politischer Gewalt registriert. Zwei Drittel davon waren körperliche Gewalt und Konfrontationen, 18 davon endeten tödlich.

Das Attentat auf Trump ereignete sich zwei Tage vor dem Beginn des Parteitags der Republikaner, auf dem Trump offiziell zum Kandidaten der Partei gekürt werden soll. Die "Republican National Convention 2024" findet vom 15. bis 18. Juli in Milwaukee im US-Bundesstaat Wisconsin statt.

Bedrohte Präsidenten

"Der Schuss auf Trump ist eine Folge der signifikanten Unterstützung für politische Gewalt in unserem Land", erklärt der Politikwissenschaftler Robert Pape von der Chicago University in einem Interview mit der britischen Tageszeitung Guardian. "Wir müssen uns auch über [die] Bedrohung von Präsident Biden als Vergeltung Sorgen machen."

Protest von US-Veteranen vor dem Kapitol: Ein Galgen bringt ihre Verachtung der Demokratie zum AusdruckBild: Gebrüder Beetz

Laut einer von der Universität im Rahmen des Projektes "Security and Threats" (Sicherheit und Bedrohungen) herausgegebenen Studieliegen die Ursachen für den Anstieg der Gewalt im Misstrauen gegenüber politischen Verantwortungsträgern und dem Glauben an Verschwörungstheorien.

Die Umfrage ergab auch, dass es mittlerweile mehr Unterstützung für Gewalt gegen Trump gibt: Zehn Prozent der US-amerikanischen Erwachsenen, also rund 26 Millionen Menschen, gehören zu den Befürwortern. 6,9 Prozent, rund 18 Millionen Menschen, zeigten sich bereit, Gewalt zugunsten von Trump einzusetzen.

"Politische Gewalt ist unamerikanisch"

Doch während Politiker in den USA und weltweit den Anschlag auf Ex-Präsident Trump verurteilten, gehen die Schlammschlachten in den sozialen Medien weiter. Zudem werden immer wieder Vorwürfe und Anschuldigungen erhoben.

"Der Vorfall ist kein Einzelfall", postetder republikanische Senator aus Ohio J.D. Vance. "Die zentrale Prämisse der Biden-Kampagne besteht darin, dass Donald Trump ein autoritärer Faschist sei, der auf jeden Fall gestoppt werden muss, egal, was es kostet." 

US-Demokratin Gabrielle Dee Giffords versuchte mit einem persönlichen Post, die Welle der Gewalt zu durchbrechen. "Politische Gewalt ist unamerikanisch und darf niemals hingenommen werden, niemals", schreibt sie auf X.

"Ich halte Ex-Präsident Trump in meinem Herzen, sowie alle anderen, die von diesem Akt der politischen Gewalt betroffen sind und sich nicht wehren konnten."

Giffords ist selbst Opfer politischer Gewalt. Die konservative Demokratin und ehemalige Kongressabgeordnete wurde im Januar 2011 bei einem Attentat durch einen Kopfschuss lebensgefährlich verletzt und musste sich aus gesundheitlichen Gründen aus der Politik zurückziehen.

Mehr Gewalt seit 2016

Der Anschlag auf Gifford 2011 gilt als Vorbote für die zunehmende politische Gewalt in den USA. Seit 2016, etwa zu der Zeit, als Trump zum ersten Mal für die Präsidentschaft kandidierte, werden deutlich mehr Vorfälle registriert, sagt Gary LaFree, Kriminologe an der University of Maryland.

Der Kriminologe hat eine Terrorismusdatenbankaufgebaut, in der Fälle politischer Gewalt im Zeitraum von 1970 bis 2020 registriert sind.

Dazu gehört auch die geplante Entführung der demokratischen Gouverneurin Gretchen Whitmer aus Michigan, die im Oktober 2020 vom FBI vereitelte wurde. Und der Angriff auf den Ehemann von Nancy Pelosi nur wenige Tage vor den US-Wahlen im Oktober 2022.

Auch ein Opfer politischer Gewalt: Vor den Wahlen 2022 wurde Paul Pelosi, der Ehemann von Nancy Pelosi, angegriffen. Der Angriff galt der ehemaligen Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, die zum Zeitpunkt nicht zuhause warBild: Drew Angerer/Getty Images

Im Gegensatz zu den Untersuchungen der Chicago University weist Kriminologe LaFree in seinen Untersuchungennach, dass "rechte und islamistische Extremisten mehr dazu tendieren, politische Gewalt anzuwenden, als Linksextremisten – in den USA und weltweit." 

Erinnerungen an die Vergangenheit

Der versuchte Mordanschlag auf Trump ist laut Medienberichten "der dramatischste Gewaltakt" seit dem Anschlag auf US-Präsident Ronald Reagan 1981. Das Attentat weckt Erinnerungen an die Ermordung von US-Präsident John F. Kennedy 1963 sowie seinen Bruder Robert Kennedy, der während des Wahlkampfes 1968 erschossen wurde.

Politikanalyst Ian Bremmer ist "äußerst besorgt, dass der Angriff auf Trump der Auftakt zu einem Ausbruch politischer Gewalt und sozialer Unruhen ist."

Eigentlich bräuchte das Land jetzt eine eindeutige Verurteilung politischer Gewalt. Doch ich befürchte," so Bremmer auf X, "das wird nicht passieren".

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