Es dürfte eine Mammutaufgabe für die US-Armee werden: Mehrere zehntausend zivile Helfer in Afghanistan sollen mit einer Luftbrücke in Sicherheit gebracht werden.
Anzeige
Welches Schicksal erwartet nach dem NATO-Abzug aus Afghanistan eigentlich die vielen Dolmetscher und Helfer, die das Militär vor Ort unterstützt haben? George W. Bush äußerte sich jedenfalls in größter Sorge: "Es scheint, als würden sie jetzt einfach zurückgelassen, um von diesen sehr brutalen Leuten abgeschlachtet zu werden. Das bricht mir das Herz!", sagte der ehemalige US-Präsident im DW-Interview. Doch auch Amtsinhaber Joe Biden hat sich offenkundig Gedanken gemacht.
Vor dem Ende des US-Truppenabzugs aus Afghanistan will Washington tausende Helfer aus dem Land am Hindukusch bringen. Auf Anweisung von Präsident Biden würden die USA ab Ende Juli mit der Operation "Allies Refuge" (Zuflucht der Verbündeten) beginnen, sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki: "Dies sind mutige Personen. Wir möchten sicherstellen, dass wir die Rolle, die sie in den vergangenen Jahren gespielt haben, anerkennen und wertschätzen." Das Programm unterstützt demnach berechtigte afghanische Staatsangehörige und ihre Familien bei den Umsiedlungsflügen.
Bis zu 100.000 Evakuierte?
Schätzungen zufolge kommen etwa 18.000 Menschen in Frage. Zusammen mit ihren Familien könnte die Gesamtzahl der Evakuierten auf bis zu 100.000 Menschen steigen. Die Operation liege in der Hand der US-Armee, die die Menschen offenbar zuerst zu US-Stützpunkten in Übersee bringen könnte, sagte Pentagon-Sprecher John Kirby.
NATO-Truppenabzug aus Afghanistan - Ortskräfte in Sorge
Zehntausende Afghanen, die für die NATO-Streitkräfte arbeiten, wollen nach dem Truppenabzug auswandern. Sie haben Sorge vor der Rache der Taliban. Die hat jetzt versprochen, sie nicht zu verfolgen. Kann man ihr trauen?
Nach fast 20 Jahren endet der Einsatz der internationalen Truppen in Afghanistan. Seit der Ankündigung im April 2021, dass sich sowohl die USA als auch die NATO militärisch zurückziehen wollen, sind die Vorbereitungen dafür bereits in vollem Gange. Zuletzt waren über 43.000 Soldaten und Soldatinnen aus 40 Ländern als Teil der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan (ISAF) dort stationiert.
Bild: Matthias Rietschel/REUTERS
Zivile Ortskräfte in Sorge
Die Truppen hinterlassen besorgte Ortskräfte, die oft viele Jahre auch für die Bundeswehr als Dolmetscherinnen und Dolmetscher, qualifiziertes Fachpersonal, Wachleute oder Hilfskräfte tätig waren. Sie fürchten um ihre Sicherheit und ihr Leben, nicht nur für sich selbst, sondern auch um das ihrer Angehörigen.
Bild: Massoud Hossaini/AFP/Getty Images
Sorge vor Rache der Taliban
Die Sorge ist nicht unbegründet, die Taliban sind in vielen Gebieten Afghanistans stark. Die Ortskräfte befürchten Racheaktionen sobald die internationalen Militärs endgültig abgerückt sind. Die Ortskräfte mögen Reue zeigen, forderten die Taliban unlängst in einer Erklärung, sollten aber im Land bleiben. Sie hätten nichts zu befürchten. Doch fraglich ist, ob die Ortskräfte den Taliban trauen.
Bild: NOORULLAH SHIRZADA/AFP/Getty Images
Zurückgelassen in Afghanistan
Zehntausende Afghanen waren für die Streitkräfte der NATO-Länder tätig. Zu ihnen gehört auch Dolmetscher Ayazudin Hilal, der für seine Verdienste von den USA mit einer Medaille ausgezeichnet wurde. Auch er macht sich Sorgen um sein Wohl und das seiner Familie. Allein die US-Botschaft bearbeitet nach eigenen Angaben aktuell mehr al 18.000 Anträge auf spezielle Ausreisevisa.
Bild: Mariam Zuhaib/AP Photo/picture alliance
Angespannte Sicherheitslage
Immer wieder kommt es zu Anschlägen in Afghanistan. Als gefährdet eingestufte zivile Helfer können für sich und ihre engsten Familienangehörigen die Ausreise und Aufnahme in Deutschland beantragen. Die Mehrheit der Ortskräfte der Bundeswehr will über das sogenannten Ortskräfteverfahren Schutz in Deutschland suchen. Mitte Mai waren das rund 450 Personen.
Bild: REUTERS
Eingefangen und weggesperrt
Von den Taliban als "Sklaven der Invasoren" bezeichnet, wurden in den letzten Jahren Dutzende Helfer gefoltert oder ermordet. Spezialkräfte der afghanischen Armee mussten immer wieder Menschen, die von den Taliban in Lagern gefangen gehalten werden, befreien.
Schon bald soll der Truppenabzug abgeschlossen sein, bis dahin nutzen die Ortskräfte noch jede Möglichkeit, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, wie hier bei einer Demonstration in Kabul. Bildauswahl: Ulrike Schulze und Florian Görner
Bild: Wakil Kohsar/AFP/Getty Images
7 Bilder1 | 7
Trotz des alarmierenden Vormarschs der Taliban hatte Biden vergangene Woche angekündigt, dass der Afghanistan-Einsatz am 31. August enden werde - nach knapp 20 Jahren. Dann sollen nur noch US-Soldaten zum Schutz der Botschaft in Afghanistan verbleiben. Zahlreiche Afghanen, die während des Einsatzes für die USA gearbeitet haben, etwa Dolmetscher, können spezielle Einwanderungsvisa für die USA beantragen. Nach Einschätzung von Fachleuten droht den afghanischen Helfern nach dem Abzug der Truppen die Rache der radikalislamischen Taliban.
In Deutschland ist das Thema noch nicht durch
Auch in Deutschland ist der Umgang mit den Ortskräften, die während des Einsatzes die Bundeswehr unterstützt haben, ein drückendes Problem. Die Bundesregierung hat ihnen grundsätzlich Hilfe zugesagt. Kritiker monieren aber, dass die Einheimischen weitgehend im Stich gelassen würden.