Ruanda ermittelt zu Frankreichs Rolle im Völkermord
30. November 2016Mehr als 800.000 Menschen - überwiegend Tutsi - wurden im ruandischen Völkermord vor 22 Jahren von Hutu-Extremisten getötet. Die Regierung wirft Frankreich unter anderem vor, ruandische Armeeeinheiten ausgebildet zu haben, die sich später am Völkermord beteiligten. Jetzt gab der ruandische Generalstaatsanwalt Richard Muhumuza bekannt, er habe die zuständigen französischen Stellen über die Ermittlungen informiert und erwarte bei dieser Untersuchung eine gute Zusammenarbeit.
Eine optimistische Einschätzung, meint Gerd Hankel, Ruanda-Experte am Hamburger Institut für Sozialforschung: "Ich bin mir ganz sicher, dass es keine gute Zusammenarbeit geben wird." Die Untersuchung könne nur zu einem Erfolg führen, wenn Frankreich in die Ermittlungen einwillige. "Frankreich wird das auf internationalen Druck machen müssen, wenn die Beweise, die Ruanda vorlegt, auf den ersten Blick überzeugend sind", erklärt Hankel. Das sei in der Vergangenheit aber nicht der Fall gewesen.
Zweifel an französischer Beteiligung
Jetzt könnte das anders sein. Der Afrikanist Phil Clark von der SOAS University of London sagt, Ruanda habe sich jahrelang gut auf diesen Schritt gegen die Franzosen vorbereitet. "Erst seit Ruanda sicher ist, dass es die nötigen Beweise für Frankreichs Verstrickungen in den Genozid hat, ist das Land bereit, diese Ermittlungen zu beginnen."
Die Anschuldigungen gegen Frankreich sind nicht neu. Gerd Hankel war 2004 dabei, als die Vorwürfe bei einer Gedenkfeier im größten Stadion von Ruanda zum ersten Mal öffentlich erhoben wurden. Damals seien die Zweifel an der Beteiligung Frankreichs unter den Ruandern sehr groß gewesen, erinnert sich Hankel. "Ich vermute, dass heute die übergroße Mehrheit der Ruander das auch nicht glaubt."
"Ohne Frankreich wäre das so vielleicht nie passiert"
Clark sieht das anders: "Frankreich ist tief in den Genozid verstrickt", sagt er. Ruandas Ermittlungen seien jetzt ein wichtiger Schritt, um die Rolle der Franzosen im Völkermord international in den Fokus zu rücken. "Ohne Frankreich wäre der Genozid in Ruanda wahrscheinlich nicht in dieser Form passiert." Das Land habe Hutu-Milizen bewaffnet und ausgebildet. Es habe die Habyarimana-Regierung diplomatisch unterstützt und den Tätern, die aus Ruanda flohen, Schutz gewährt, sagt Clark im DW-Interview.
Mit dem Anschlag auf das Flugzeug des ruandischen Präsidenten Habyarimana begann 1994 der Genozid. Die französische Regierung hatte bis dahin enge Kontakte zu Ruanda gepflegt. Gegen Ende des Völkermords schickte Frankreich Truppen nach Ruanda, um die Zivilbevölkerung zu schützen. Hutu-Extremisten sollen dabei unter dem Schutz der französischen Soldaten in die benachbarte Demokratische Republik Kongo geflohen sein.
Gegenseitige Beschuldigungen
Erst vor einem Monat hatten französische Behörden die Untersuchungen um den Absturz der ruandischen Präsidentenmaschine wieder aufgenommen - unter den Besatzungsmitgliedern waren Franzosen. Ein wichtiger Zeuge behauptet, Ruandas heutiger Präsident Paul Kagame habe den Befehl zum Abschuss des Flugzeugs gegeben. Er hatte damals die Tutsi-Milizen angeführt. Kagame ist verärgert über die Ermittlungen und scheint sich zu rächen. "Das ist zwischen Frankreich und Ruanda immer so ein Wechselspiel - der eine macht einen Schritt vor, dann folgt der nächste nach und so überhäuft man sich mit Beschuldigungen", sagt Ruanda-Experte Hankel.
Immer wieder steht Ruandas Präsident Kagame, der seit dem Ende des Genozids an der Macht ist, wegen seiner harten Führung in der Kritik. Die Anschuldigen gegen die Franzosen könnten auch damit zu tun haben, glaubt Hankel: "Angriff ist die beste Verteidigung. Sicherlich versucht Ruanda jetzt auch vor dem Hintergrund der desolaten Menschen- und Freiheitsrechte einen anderen Kriegsschauplatz aufzumachen." Die Vorwürfe gegen Frankreich belasten die ohnehin angeschlagenen diplomatischen Beziehungen schwer. "Ich bin mir sicher, dass sich das Verhältnis noch weiter abkühlen wird", sagt Hankel. "Frankreich wird jetzt im Gegenzug alles unternehmen, um Ruanda auf dem diplomatischen Parkett Nachteile zuzufügen."
Mitarbeit: Eunice Wanjiru