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V. S. Naipaul erhält Literatur-Nobelpreis

11. Oktober 2001

Der auf Trinidad geborene Schriftsteller V. S. Naipaul ist der diesjährigen Literatur-Nobelpreisträger. Die Entscheidung wurde in Deutschland kontrovers aufgenommen.

Bild: AP

Für jemanden, der seit Jahrzehnten für den Nobelpreis gehandelt wurde, hat V. S. Naipaul viel Ablehnung erfahren. Als Zyniker, Nestbeschmutzer und arroganter Imperialist wurde er beschimpft, weil er mit kühler Distanz über die Dritte Welt schreibt. Dennoch gilt der 69-jährige Autor von über 20 Werken heute als bedeutendster englischsprachiger Reiseschriftsteller.

Am Donnerstag erkannte die Schwedische Akademie ihm den Literatur-Nobelpreis zu "für seine Werke, die hellhöriges Erzählen und unbestechliches Beobachten vereinen und uns zwingen, die Gegenwart verdrängter Geschichte zu sehen". Weiter hieß es, Naipaul sei ein "literarischer Weltenumsegler" und "eigentlich nur bei sich selbst zu Hause, in seinem unnachahmlichen Ton".

Der Schriftsteller hat sich von der Zuerkennung völlig überwältigt gezeigt. In einer von seinem Agenten Colman Getty veröffentlichten Erklärung hieß es: "Ich bin höchst erfreut. Dies ist eine unerwartete Anerkennung. Dies ist ein großartiger Tribut für England, meine Heimat, und für Indien, die Heimat meiner Vorfahren."

Biografie

Vidiadhar Surajprasad Naipaul, der seine Vornamen stets abkürzt, kam 1932 auf Trinidad in der Karibik zur Welt. Sein Großvater war als Vertragsarbeiter aus dem indischen Uttar Pradesh auf die Insel gekommen. Mit 18 Jahren ging Naipaul nach England. Er studierte in Oxford, wurde Literaturrezensent und BBC-Mitarbeiter - und dann, mit 23 Jahren, Schriftsteller, wie er es seinem Vater einmal versprochen hatte.

In den ersten drei Werken beschäftigte sich Naipaul mit seiner Jugendzeit. Der Durchbruch kam 1961 mit dem Roman "Ein Haus für Mr. Biswas" über das Leben seines Vaters, eines Druckers und Provinzjournalisten.

Danach folgten Reiseberichte aus Indien, Afrika und den islamischen Ländern. Sie zeichnen sich vor allem durch feine Ironie und Naipauls brillante Beobachtungsgabe aus.

In Deutschland fanden neben "Ein Haus für Mr. Biswas" vor allem der Roman "An der Biegung des großen Flusses" und die Reiseberichte "Indien, ein Land des Aufruhrs" und "Eine islamische Reise" Beachtung.

Manche Rezensenten lobten sowohl Naipauls lakonische Sprache als auch die stilistische Mischung aus Reportage, Essay, Anekdotensammlung und Erzählung. Andere bezeichneten den Autor als konservativ und zynisch, da er mit Verachtung über Verlierer in früheren Kolonialländern schreibe.


Reaktionen

Die Zuerkennung des Literatur-Nobelpreises an V. S. Naipaul wurde kontrovers aufgenommen.

Horace Engdahl von der Schwedischen Akademie: "Naipaul war sehr überrascht, und ich glaube nicht, dass er das nur gespielt hat. Er war überrascht, weil er glaubt, dass er als Schriftsteller nur sich selbst repräsentiert."

Czeslaw Milosz, polnischer Literatur-Nobelpreisträger von 1980: "Naipaul ist keine Überraschung, weil er schon lange ein Kandidat war, aber im 100. Jahr des Preises hätte ich erwartet, dass der Preis an einen Skandinavier fällt, nämlich an Tomas Transtrom." Über das Werk Naipauls äußerte sich Milosz nicht allzu schmeichelhaft: "Im Grunde ist er ein Reporter, der seine Herkunft von den ziemlich exotischen Inseln und gleichzeitig seine indischen Wurzeln nutzt."

Literatur-Kritiker Marcel Reich-Ranicki: "Keine Überraschung, aber eine Enttäuschung. Ein Reiseschriftsteller - mich interessiert das nicht, das ist nicht mein Fach." Eigentlich wäre ein großer amerikanischer Autor fällig gewesen, etwa John Updike oder Philip Roth. "Die Schwedische Akademie hat eine Chance vertan."

Michael Naumann, ehemaliger Kulturstaatsminister und derzeitiger "Zeit"-Chefredakteur, nannte Naipaul einen der "bekanntesten Schriftsteller der Welt", er persönlich hätte aber einen US-Autor wie Thomas Pynchon, Philip Roth oder John Updike für die bessere Wahl gehalten.

Dario Fo, italienischer Theaterautor und Literatur- Nobelpreisträger von 1997, betrachtet die Auszeichnung als eine "im weiteren Sinne politische Wahl". Naipaul habe in seinem jüngsten Buch über die muslimische Welt genaue Kenntnis davon bewiesen, "was wirklich den Wahnsinn und Fanatismus des Fundamentalismus ausmacht". Der Autor sei kein "vager und abgehobener Schriftsteller, sondern ein Mann, der auf dem Boden steht".

Börsenvereins-Vorsteher Roland Ulmer: "Ich habe selten ein schöneres Buch gelesen als den Roman 'Ein Haus für Mr. Biswas'." Naipaul vermittele auf Grund seiner Herkunft zwischen der amerikanischen und der indischen Welt. Zudem habe er den Islam sehr genau studiert und schlage insofern mit seinen Büchern eine Brücke zwischen der westlichen und der islamischen Welt. Damit sei er in der jetzigen Situation ein "idealer" Preisträger.

Die Nobelpreise sind 100 Jahre nach der ersten Vergabe im Jahr 1901 diesmal mit jeweils 10 Millionen Kronen - umgerechnet 2 Millionen Mark bzw. 1 Million Euro - dotiert. Sie werden traditionsgemäß am 10. Dezember, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel (1833-1896) überreicht.

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