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Varoufakis: "Ich bin stolz auf Merkel"

Andreas Becker2. November 2015

Sein Amt als griechischer Finanzminister hat er aufgegeben, aber von der Politik will er nicht lassen. Yanis Varoufakis will die Debatte über die Zukunft Europas mitgestalten, sagt er im DW-Interview.

Yanis Varoufakis
Bild: Reuters/F. Lenoir

DW: Herr Varoufakis, warum haben Sie ein Buch geschrieben ("Time for Change"), in dem Sie Ihrer Tochter die Wirtschaft erklären?

Yanis Varoufakis: Ehrlich gesagt, war das der Vorschlag meines Verlegers, und ich fand ihn gut. Wenn man nicht in der Lage ist, einem Teenager komplizierte Ideen auf packende Weise zu vermitteln, dann hat man diese Ideen wahrscheinlich selbst nicht so ganz verstanden. Das Buch war für mich also ein Test, ob ich dazu in der Lage bin. Gleichzeitig bietet diese Erzählung für Kinder auch Erwachsenen eine Möglichkeit, sich über wichtige Themen zu informieren.

Die Länder der Eurozone sind wieder einmal unzufrieden mit dem Reformtempo in Griechenland, zuletzt drohten sie, Hilfskredite nicht auszuzahlen. Wie würden Sie Ihrer Tochter erklären, dass sich die Lage Griechenlands trotz der vielen Krisengipfel kaum verändert hat?

Das kann man einem Kind ganz leicht erklären. Da ist jemand bankrott, aber wir tun so, als sei dem nicht so. Also leihen wir ihm noch mehr Geld, damit er damit die alten Schulden zurückzahlen kann. Wenn wir ihm jetzt noch Bedingungen auferlegen, die sein Einkommen schrumpfen lassen, dann merkt selbst ein Achtjähriger, dass das nicht gut enden wird.

"Tsipras wird scheitern"

Der griechische Premierminister Alexis Tsipras hat versprochen, die im Hilfsprogramm vereinbarten Reformen umzusetzen. Was erwarten Sie in den kommenden Monaten und Jahren?

Tsipras wird scheitern, und das weiß er auch. Tsipras hat deutlich gesagt, dass er gezwungen wurde, das Programm zu akzeptieren, obwohl er nicht an dessen Umsetzbarkeit glaubt. Jetzt haben wir die aberwitzige Situation, dass die Mächtigen in Europa - auch der Internationale Währungsfonds, die Europäische Zentralbank, die deutsche und die griechische Regierung - allesamt vorgeben, ein Programm umzusetzen, von dem sie wissen, dass es nicht umgesetzt werden kann. Mit diesem Schwindel wollte ich nichts zu tun haben, deshalb bin ich zurückgetreten.

Sie und Tsipras haben früher die gleichen Ansichten vertreten. Doch nach griechischen Referendum im Juli machte Tsipras eine Kehrtwende und akzeptierte die Forderungen der Geldgeber, während Sie zurücktraten. Wir vermitteln Sie ihrer Tochter die Enttäuschung, die Sie dabei doch sicher gefühlt haben?

Die würde sie verstehen, denn mein Rücktritt hat ja zur Trennung guter Freunde und Kameraden geführt. Diese Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen, und sie ist auch Tsipras nicht leichtgefallen. Es ist nie leicht, sich eine Niederlage einzugestehen. Das war wirklich ein trauriger Moment. Aber ich bedauere meine Entscheidung nicht, denn ich bin nicht in die Politik gegangen, um professioneller Politiker zu werden, sondern um das zu tun, was ich für das Richtige halte. Als das unmöglich wurde, bin ich gegangen.

"Alles kameradschaftlich" - Varoufakis und Tsipras (r.) im Mai 2015, bevor sich ihre Wege trenntenBild: picture-alliance/dpa/O. Panagiotou

Wie ist Ihr Verhältnis zu Tsipras jetzt?

Zwischen Alexis und mir gab es nie ein böses Wort, wir haben uns nie gestritten. Selbst in der Nacht meines Rücktritts verlief alles kameradschaftlich. Wir waren eben unterschiedlicher Meinung. Wir haben uns seitdem ein paar Mal gesehen, aber nicht wirklich geredet. Und machen wir uns nichts vor - es gibt wenig zu besprechen, wenn er einem Programm verpflichtet ist, das ich für verhängnisvoll halte.

Können Sie seine Entscheidung verstehen?

Ich kann die Intensität des Moments verstehen, als er seine Entscheidung treffen musste. Ich kann verstehen, wie schwer es für den Premierminister ist, wenn das Bankensystem geschlossen wurde durch eine Zentralbank, die ihn in die Knie zwingen will. Ich kann die Qual einer solchen Entscheidung verstehen, während Rentner vor den Banken nicht an ihr Geld kommen. Ich verstehe also, dass das eine harte Entscheidung war. Aber ich bin nicht seiner Meinung.

Wie lange wird sich die Regierung Tsipras halten können?

Das ist wirklich egal. In Griechenland gab es in den vergangenen fünf Jahren drei Regierungen, die alle versucht haben, ein Programm umzusetzen, das nicht umsetzbar ist. Jetzt verfolgen auch meine ehemaligen Kollegen und Kameraden die unvernünftige Logik der vergangenen fünf Jahre, und das Ergebnis wird dasselbe sein.

Würden Sie aus heutiger Sicht etwas anders machen, wenn Sie auf Ihre Zeit als Minister zurückblicken?

Wenn ich auf diese Frage mit "Nein" antworten würde, wäre ich ein fanatischer und gefährlicher Narr. Natürlich würde ich aus heutiger Sicht vieles anders machen. Aber meine grundsätzliche Haltung war richtig - nämlich kein Kreditprogramm zu unterschreiben, bei dem das griechische Volk von den europäischen Steuerzahlern eine weitere große Geldsumme akzeptiert, bevor die Schulden und die Wirtschaft des Landes so umstrukturiert sind, dass wir wieder solvent sind.

"Europa muss sich ändern"

Ihr Buch heißt "Time for Change", also Zeit für einen Wandel. Veranstaltungen, auf denen Sie in letzter Zeit als Redner aufgetreten sind, hatten Slogans wie "Ein anderes Europa ist möglich". Als Minister ist es Ihnen nicht gelungen, diesen Wandel herbeizuführen, und auch Ihr früherer Weggefährte Tsipras musste sich von diesem Ziel verabschieden. Was lässt Sie glauben, dass der Wandel dennoch möglich ist?

Wir hatten eine Chance und daraus nicht das Beste gemacht. Aber Europa ist größer als wir - Tsipras, ich, die Griechen. Und Europa muss sich ändern. Die derzeitigen Institutionen in Europa und besonders in der Eurozone sind unhaltbar. Wir haben eine Währungsunion ohne gemeinsame Regierung, mit einer Zentralbank, der die Unterstützung einer föderalen Regierung fehlt. Und wir haben nationale Regierungen, die nicht auf die Hilfe ihrer Notenbanken zählen können. Das ist eine furchtbare Konstruktion.

Entscheidungen auf europäischer Ebene werden nur in der Eurogruppe getroffen - und das ist eine, wie mir sehr deutlich gemacht wurde, informelle Gruppe, die nicht einmal in den europäischen Verträgen erwähnt wird. Ein grundsätzlicher Wandel ist also dringend erforderlich. Wenn es uns nicht gelingt, diesen Wandel demokratisch und im Dialog zu steuern, wird er dennoch eintreten. Aber dann wird es ein Wandel zum Schlechteren.

Ein vernünftiger Austausch über diese Dinge findet derzeit nicht statt. Deshalb haben wir eine autoritäre Politik, die längst von der Realität überholte Regeln umsetzen will. Das Ergebnis ist ein deflationäres Europa als kranker Mann der Weltwirtschaft, und das schlecht für die Europa und die Welt.

Die deutsche Regierung hat in den Verhandlungen mit Griechenland eine harte Position vertreten. In der aktuellen Flüchtlingskrise zeigt sie sich großzügiger und wird deswegen wohl ihr Ziel eines ausgeglichenen Haushalts verfehlen. Was halten sie von der derzeitigen deutschen Flüchtlingspolitik?

"Moralische Verpflichtung" - Flüchtlinge auf eine Boot vor der griechischen Insel LesbosBild: Getty Images/AFP/A. Messinis

Als Europäer bin ich äußerst stolz auf Kanzlerin Merkel, weil sie in der Flüchtlingsfrage eine charakterfeste Haltung hat. Das zeigt auch, wie ungerechtfertigt die Kritik ist, Deutschland verursache in Europa viele Probleme - diese Meinung ist ja nicht nur in Griechenland, sondern auch in Frankreich, Italien und Spanien verbreitet. Die Haltung von Kanzlerin Merkel ist ein gutes Zeichen für die Zukunft Europas. Wenn Menschen an unsere Tür klopfen, die Hunger haben, die beschossen wurden und verletzt sind, dann haben wir die moralische Verpflichtung - und ich glaube, Kanzlerin Merkel versteht das - ihnen die Tür zu öffnen und sie einzulassen, unabhängig von den Kosten. So bekräftigen wir unseren Humanismus als Europäer.

Zurzeit reisen Sie viel und halten in ganz Europa Vorträge und Reden. Werden Sie eines Tages wieder für ein politisches Amt kandidieren?

Erst dann, wenn es auch die Möglichkeit gibt, mit einem politischen Amt etwas zu verändern. Europa ist derzeit so konstruiert, dass selbst die Regierungen keine Macht haben. Wir brauchen daher eine Debatte darüber, was wir als Europäer wollen. Ich möchte diese Debatte beleben und mich daran beteiligen.


Der Ökonom Yanis Varoufakis war vom 25. Januar bis zum 6. Juli 2015 griechischer Finanzminister und bis zum 20. September 2015 auch für das Linksbündnis Syriza Abgeordneter im griechischen Parlament. Sein Buch "Time for Change. Wie ich meiner Tochter die Wirtschaft erkläre" ist im Hanser Verlag erschienen. Das Interview führte Andreas Becker.

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