Venezuela: "Drogenboot"-Attacke vertieft Krise mit den USA
5. September 2025
Vieles an dem Angriff ist umstritten: In der Nacht auf Dienstag hatten US-Streitkräfte nach Angaben der Regierung ein Schnellboot in internationalen Gewässern vor der Küste Venezuelas beschossen und dabei alle elf Menschen an Bord getötet.
Aus Sicht des Weißen Hauses handelte es sich um "Narco-Terroristen" - angebliche Mitglieder der venezolanischen Gang "Tren de Aragua". Beweise für die Identität der Männer legten die USA jedoch nicht vor.
Hinzu kommt: Nach Recherchen der Investigativplattform Inside Crimehat sich "Tren de Aragua" zwar im Laufe der letzten zehn Jahre zu einer der mächtigsten kriminellen Organisationen Südamerikas entwickelt. Hinweise darauf, dass die Gang im internationalen Drogenhandel tätig ist, gebe es jedoch nicht. Zudem scheine die US-Regierung systematisch die Gefahr zu überschätzen, die von der Bande in den USA ausginge.
Zur Vorgeschichte: Gleich nach seiner Vereidigung am 20. Januar 2025 hatte Donald Trump "Tren de Aragua" zusammen mit mehreren lateinamerikanischen Drogenkartellen zur Terrororganisation erklärt - darunter auch das "Cartel de los Soles".
Ist Venezuela ein Narco-Staat?
Das "Sonnenkartell", benannt nach den Sonnen, die anstelle der sonst üblichen Sterne auf den Schulterabzeichen venezolanischer Generäle leuchten, bezeichnet nicht in erste Linie ein klassisches Kartell. Vielmehr weist der Begriff auf die Tatsache hin, dass ehemalige und aktive Mitglieder des venezolanischen Militärs in Drogengeschäfte verwickelt sind.
Wie viele und in welchem Maße ist strittig, auch weil die Strafverfolgung solcher Aktivitäten in Venezuela keine Priorität hat. Schon lange gilt der Vizepräsident der regierenden Kommunistischen Einheitspartei Venezuelas (PSUV), Innenminister Diosdado Cabello, als einer der Köpfe des Netzwerks.
Im Jahr 2020, während Trumps erster Amtszeit, erhob das US-Justizministerium Anklage gegen ihn, und gegen Präsident Maduro und mehrere andere venezolanische Amtsträger wegen "Narco-Terrorismus".
Wie tief der venezolanische Präsident Nicolas Maduro selbst in den Drogenhandel verstrickt ist, können auch Experten nur schwer einschätzen. Lateinamerikaexperte Günther Maihold, Honorarprofessor an der Freien Universität Berlin meint: "Es ist wohl eher so, dass die Politiker die kriminellen Banden gewähren lassen. Im Gegenzug beteiligen die Kartelle sie an den Erträgen des Drogenhandels und halten die Gewalt in einem Rahmen, der der Regierung nicht schadet."
Die Regierung in Washington mag dazu konkretere Informationen haben. Mittlerweile nennt sie das Regime in Caracas rundheraus einen Narco-Staat. Auf Maduro hat sie ein Rekord-Kopfgeld von 50 Millionen US-Dollar ausgesetzt.
Wie hat Venezuela reagiert?
Wenig überraschend nahm Präsident Maduro den Angriff am Dienstag zum Anlass, gegen die "imperialistische Politik" der USA zu wettern und schleuderte Warnungen Richtung Washington. Im venezolanischen TV-Sender Noticias Telemundo erklärte er: "In dieser Woche werde ich einen Sonderplan mit mehr als 4,5 Millionen Milizen im gesamten Staatsgebiet aktivieren: Milizen, die vorbereitet, aktiviert und bewaffnet sind."
Zuvor hatten Regierungsvertreter aus Caracas behauptet, das Video, das die US-Regierung zu dem Angriff verbreitete, sei ein KI-Fake. DW-Faktencheck konnte jedoch keine Hinweise darauf finden, dass der Clip mit Künstlicher Intelligenz erstellt wurde.
Die venezolanische Oppositionsführerin Corina Machado begrüßte die US-Aktion. Sie bezeichnete den Angriff als legitimen Druck und deutete ihn als direkten Angriff auf die venezolanische Regierung: Es fehle nicht mehr viel bis zum Sturz des Regimes, so Machado.
Für Lateinamerikaexperte Maihold sind jedoch weder Trumps Drohgebärden noch Machados Reaktion besonders geeignet, die venezolanische Regierung ins Wanken zu bringen: "Die Venezolaner stehen zwar mehrheitlich nicht mehr hinter Maduro, aber eine Bedrohung ihrer Souveränität würde vermutlich viele von ihnen eher an die Seite der Regierung treiben."
Will Trump das Regime in Venezuela stürzen?
Unterdessen wächst die Drohkulisse in der südlichen Karibik: Seit kurzem befinden sich in den Gewässern mindestens acht US-Kriegsschiffe , darunter ein Kreuzer, zwei Zerstörer, ein atomgetriebenes U-Boot und mehrere Schiffe für amphibische Landungsoperationen. Und tatsächlich hat die US-Regierung auf unterschiedliche Weise deutlich gemacht, dass dies nur der Anfang sein könnte.
Allerdings geht es dabei nach Trumps Worten nicht nur um Venezuela: "Bitte lassen Sie dies jedem als Hinweis dienen, der auch nur daran denkt, Drogen in die Vereinigten Staaten von Amerika zu bringen."
Der US-Demokrat Juan Gonzalez, unter Joe Biden Sicherheitsberater für die westliche Hemisphäre, unkte dennoch: "Ich befürchte zunehmend, dass die Trump-Regierung in ein Interventionsszenario in Venezuela stolpern könnte, was offen gesagt katastrophal wäre."
Kommt es zum Showdown zwischen Maduro und Trump?
Dass eine US-Intervention in Venezuela katastrophal wäre, meint auch Günther Maihold. Genau deshalb glaubt er auch nicht, dass es dazu kommt: "Trump wird sich vor solch einem Abenteuer hüten."
Bei näherer Betrachtung spricht vieles gegen einen solchen Plan. Eines von Donald Trumps wichtigsten Versprechen an seine Wähler war es, sich aus inneren Angelegenheiten anderer Staaten herauszuhalten. Ein Machtvakuum ähnlich wie im Irak oder in Libyen könnte auf dem eigenen Kontinent zudem eine weitere Migrationswelle Richtung Norden auslösen, so Maihold. Auch das würde Trumps Interessen massiv zuwiderlaufen.
Und dann ist da noch der praktische Aspekt: "Was sollen denn acht Boote in einem hochmilitarisierten Land dieser Größe ausrichten?", fragt Maihold. Für den Politologen ist klar: "Was wir hier sehen, ist eine neue Phase der Militarisierung des War on Drugs, des Kriegs der US-Regierung gegen die Drogen."
Wird Trump den Drogenhandel in die USA stoppen?
Seit den 1970er Jahren haben die USA auf verschiedenste Weise versucht, den Drogenzustrom von Süden nach Norden zu unterbinden. Mal brannten sie Felder der Kokabauern in den Anden nieder, dann unterstützten sie rechte Milizen im Kampf gegen linke Guerillas, die sich in erheblichem Maße aus dem Drogenhandel finanzierten. Und immer wieder haben die USA versucht die Drogenrouten zu kappen.
"Aber Kartelle sind sehr erfinderisch, um alternative Transportwege und -mittel zu suchen, die weniger verwundbar durch militärisches Handeln sind", erinnert Experte Maihold. Beispiele gibt es genug: In den 1970er Jahren flogen die kolumbianischen Drogenbarone das Kokain teilweise mit kleinen Flugzeugen direkt nach Florida ein.
Später kooperierten sie mit mexikanischen Kartellen, die den Stoff durch Tunnel in die USA brachten. Ab den 1990er Jahren lieferten die Gangster die Drogen mit U-Booten nach Kalifornien. Zurzeit gelten venezolanische Häfen und Flughäfen als sichere Umschlagplätze. Und auch wenn die Routen durch die Karibik zu gefährlich werden wollten, werden die Drogen wohl irgendeinen Weg in die USA finden.