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PolitikVenezuela

Venezuela: Haftbefehl gegen Oppositionsführer

3. September 2024

Vor einem Monat wählte das Land einen neuen Präsidenten. Doch die Wahl war von schweren Betrugsvorwürfen überschattet, Oppositionschef González Urrutia reklamierte den Sieg für sich. Nun will die Justiz ihn verhaften.

Präsidentschaftskandidat Edmundo González Urrutia zwischen Journalisten
Er wähnte sich bereits als Präsident, nun wird er per Haftbefehl gesucht: Venezuelas Oppositionskandidat Edmundo González UrrutiaBild: Leonardo Fernandez Viloria/REUTERS

Wo die Nachricht über seinen Haftbefehl Edmundo Gonzàlez Urrutia erreichte, ist unbekannt: Der Oppositionsführer Venezuelas ist untergetaucht. Ein für Terrorverfahren zuständiges Gericht in Caracas hat am Montag dem Antrag der Staatsanwaltschaft stattgegeben. Die Justiz wirft dem Oppositionellen "ernsthafte Verbrechen" vor: Dazu gehören Amtsanmaßung, Urkundenfälschung und Verbindungen zu Geldgebern des "Terrorismus".

Rechtmäßiger Präsident - oder nicht?

Was war passiert? González ist der Spitzenkandidat der venezolanischen Opposition, und als solcher trat er bei den Präsidentschaftswahlen am 28. Juli gegen den langjährigen Machthaber Nicolás Maduro an. Seitdem streiten Regierungslager und Opposition erbittert über den Ausgang der Wahl. Denn die Nationale Wahlkommission erklärte in der Wahlnacht Maduro zum Sieger, mit angeblich 51 Prozent der Stimmen. Die Opposition lief dagegen Sturm, sprach von Manipulationen und Betrug. Tatsächlich konnte die Wahlkommission bis zum heutigen Tag keine nach Wahlkreisen aufgeschlüsselten Einzelergebnisse verkünden. Angeblich habe ein großflächiger Cyberangriff dies verhindert. Beweise dafür blieb die Wahlkommission bislang jedoch schuldig.

Reklamiert den Wahlsieg in Venezuela für sich: Nicolás MaduroBild: Fausto Torrealba/REUTERS

Stattdessen legte die Opposition selbst  der Wahlkommission diejenigen Wahlzettel vor, zu denen sie Zugriff hatte: Demnach hätte González mehr als 30 Prozentpunkte Vorsprung gehabt. Auch wenn diese Zahlen nicht unabhängig überprüfbar sind, rief Gonzàlez sich zum neuen Präsidenten aus. Mehrere Staaten erkannten ihn daraufhin an, darunter die USA und Argentinien.

Repressionen gegen Kritiker, keine unabhängige Justiz

Seitdem haben Einschüchterungen und Gewalt gegen oppositionelle Politiker und Demonstranten deutlich zugenommen. Mindestens 27 Menschen sollen seit der Wahl bei Protesten ums Leben gekommen sein - einige von ihnen sollen von sogenannten "Colectivos", bewaffneten regierungsnahen Motorradgangs erschossen worden sein. Weitere 200 wurden verletzt, rund 2400 Menschen festgenommen.

Gleichzeitig hat die Justiz mehrfach versucht, den Oppositionschef zu einem Gerichtstermin vorzuladen. Die Vorwürfe, die gegen ihn erhoben werden, stehen in direktem Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Wahlunterlagen durch die Opposition. Doch weil González dort mehrfach nicht erschien, sondern untertauchte, folgte nun der Haftbefehl. Der Oppositionschef hatte zuvor bezweifelt, dass es zu einem rechtmäßigen Verfahren gegen ihn kommen würde.

Zehntausende protestierten nach der Wahlnacht gegen Amtsinhaber MaduroBild: Gaby Oraa/REUTERS

Denn die Justiz in Venezuela ist nicht unabhängig - sie wird de facto von Maduros Regierungspartei kontrolliert. Bereits vor den Wahlen hatte sie der venezolanischen Opposition zahlreiche Steine in den Weg gelegt.

Strohmann der Opposition?

Denn der 75-Jährige González war eigentlich nur Präsidentschaftskandidat Nummer drei. Die Strippen in der venezolanischen Opposition zieht María Corina Machado. Die 56-jährige Politikerin ist eine langjährige Kritikerin von Maduro und dessen verstorbenem Vorgänger Hugo Chavez. Sie bezeichnet die Regierung als "mafiöse, grausame Militärdiktatur" und kämpft für deren Ablösung.

Doch sie und ihre Nachfolgekandidatin Corina Yoris wurden von der Teilnahme an den Präsidentschaftswahlen ausgeschlossen. Machado wurde 2023 sogar für 15 Jahre das Bekleiden jeglicher öffentlicher Ämter verwehrt. Zuvor hatte sie in Vorwahlumfragen überwältigende Zustimmungswerte von rund 90 Prozent der Stimmen erzielt. Und so wurde González zum Kompromisskandidat.

Unterschätzter Kompromisskandidat

Edmundo González Urrutia ist ein Mann der leisen Töne, wirkt oft eher zurückhaltend. Vor seiner Nominierung war er den meisten Venezolanern unbekannt. Womöglich erhielt er auch deshalb die Zulassung der venezolanischen Wahlkommission.

Mehrere Jahre war er venezolanischer Diplomat und Politiker gewesen, doch diese Zeit liegt schon lang zurück. Bis zum Jahr 2002 bekleidete er - noch unter dem damaligen Präsidenten Hugo Chávez - mehrere diplomatische Ämter. Doch eigentlich befand González sich bereits im Ruhestand, als ihn der Anruf der Opposition erreichte.

Gibt sich kämpferisch: Venezuelas eigentliche Oppositionsführerin Maria Corina MachadoBild: Leonardo Fernandez Viloria/REUTERS

Der 75-Jährige habe zunächst große Zweifel gehabt anzutreten. Man habe ihm gesagt, er sei nur ein "Platzhalter-Kandidat", bis jemand anderes gefunden werde, erklärte er einmal im Gespräch mit dem deutschen Nachrichtenmagazin Der Spiegel.

Doch González blieb. Auf Wahlkampfveranstaltungen trat er oft mit Maria Corina Machado auf, ihre Popularität verhalf auch ihm schnell zu steigenden Zustimmungswerten. Mehrere Umfragen, die nicht unabhängig überprüfbar sind, sahen ihn vor der Wahl deutlich vor Amtsinhaber Maduro. Nach Verhängung des Haftbefehls schäumte die eigentliche Oppositionsführerin Machado auf X: "Maduro hat jeglichen Bezug zur Realität verloren. Der Haftbefehl, den das Regime erlassen hat, um den gewählten Präsidenten Edmundo Gonzalez zu bedrohen, überschreitet eine neue Grenze und bestärkt die Entschlossenheit unserer Bewegung nur noch mehr. Die Venezolaner und die Demokratien auf der ganzen Welt sind in ihrem Streben nach Freiheit vereinter denn je."

Maduro selbst meldete sich in seiner montäglichen Fernsehshow zu Wort: "Niemand in diesem Land steht über dem Gesetz, über den Institutionen", so der seit elf Jahren regierende Staatschef. González Urrutia, der "Kandidat wider Willen", bleibt derweil untergetaucht.

Thomas Latschan Langjähriger Autor und Redakteur für Themen internationaler Politik
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