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Venezuela: Wahlen im ölreichsten Land der Welt

Tobias Käufer
25. Juli 2024

Am Sonntag wird in Venezuela der Präsident neu gewählt. Kann das Land nach mehr als 20 Jahren Sozialismus die schwere Wirtschaftskrise überwinden?

Venezuela Kombo-Bild Edmundo González Urrutia und Nicolás Maduro
Herausforderer Edmundo Gonzalez und Amtsinhaber Nicolas Maduro (rechts)

Rund acht Millionen Menschen haben Venezuela in den letzten zehn Jahren verlassen. Das entspricht etwa einem Viertel der Bevölkerung des südamerikanischen Landes.

Venezuela leidet unter einer enormen Versorgungskrise, unter einer hohen Inflation und einem Verlust von Fachkräften. Gleichzeitig haben die USA und europäische Länder Venezuela wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen mit Sanktionen belegt.

Mit Ölreserven von rund 300 Milliarden Barrel (à 159 Liter) hat Venezuela weltweit die größten Ölreserven, noch vor Saudi-Arabien mit rund 260 Milliarden Barrel. Doch selbst die Ölindustrie des Landes verzeichnete in den letzten Jahren einen dramatischen Niedergang.

Am Sonntag stehen nun die Präsidentschaftswahlen an. Dabei geht es auch um die wirtschaftliche Zukunft des Landes.

Maduro verspricht Wachstum

Der sozialistische Amtsinhaber Nicolas Maduro verspricht "eine gesegnete, wunderbare Zeit des Wachstums und des Wohlstands". Möglichen machen soll das unter anderem eine finanzielle Unterstützung für Unternehmensgründer. Bis zu eine Million Unternehmen will Maduro so fördern.

Wie realistisch die Umsetzung dieses Versprechen ist, bleibt abzuwarten. In den Umfragen liegt jedenfalls der Oppositionskandidat Edmundo Gonzales deutlich vorn.

Katastrophale Bilanz

Bei Maduros Amtsantritt im Jahr 2013 lag das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf nach Zahlen des Internationalen Währungsfonds noch bei fast 9.000 US-Dollar. Bis 2020 stürzte es auf gut 1.500 Dollar ab. In den letzten Jahren konnte sich die Wirtschaftsleistung zwar leicht erholen, liegt aber noch immer deutlich unter dem Niveau von 2013.

Eine ähnliche Entwicklung nahm die Erdölproduktion: von rund 138 Millionen Tonnen (2013) auf 34,5 Millionen Tonnen (2021), ehe es in den letzten Jahren wieder leicht aufwärts ging.

Die Inflation liegt derzeit aufs Jahr gerechnet bei rund 100 Prozent - eine deutliche Verbesserung gegenüber der Hyperinflation von 2018, die laut IWF fast eine Million Prozent betrug.Bild: DW

"Die venezolanische Wirtschaft ist in den Maduro-Jahren um fast 80 Prozent geschrumpft", sagt Ronal Rodriguez, Politikwissenschaftler an der Universität Rosario in Bogota, im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Hinzu kommt, dass das Land ein Viertel seiner Bevölkerung verloren hat."

Um aus der aktuellen Krisensituation wieder herauszukommen, bräuchte es laut Rodriguez ein jährliches Wirtschaftswachstum von mehr als 15 Prozent über mehrere Jahre hinweg.

Fachkräftemangel

Eines der größten Hindernisse für eine Erholung sei der Fachkräftemangel, sagt Rodriguez. "Leider hat ein Großteil der ausgebildeten Arbeitskräfte aufgrund der Krise das Land verlassen."

Begonnen habe dieser Exodus bereits unter Maduro-Vorgänger Hugo Chavez. Der hatte die Öl-Einnahmen lange benutzt, um Sozialprogramme zu finanzieren, aber kaum in die Öl-Industrie selbst investiert. Auch entließ er Fachpersonal und ersetzte es durch linientreue Parteisoldaten, denen aber das Know-how fehlte. Im Jahr 2012 produzierte das Land weniger Öl als 1998, obwohl die staatliche Erdölgesellschaft die Zahl der Mitarbeiter verdreifacht hatte. Chavez starb 2013.

Das verloren gegangene Fachwissen wieder herzustellen, sei äußert kompliziert. "Im Moment haben die Fakultäten, die sich dem Erdöl widmen, in Venezuela nicht mehr den Glanz, den sie früher hatten", so Rodriguez.

Unabhängig vom Ergebnis der Wahlen werde es für Venezuela ziemlich schwierig, die wirtschaftliche Dynamik wiederzuerlangen, glaubt der Politikwissenschaftler. Neben den demographischen Problemen leide der wichtigste Wirtschaftszweig auch unter der dort herrschenden politischen Kultur. Die Erdölindustrie werde von Vertretern des Chavismus kontrolliert, die auch nach einem möglichen Regierungswechsel auf ihren Positionen bleiben.

Chavismus ist eine links-populistische Ideologie, die auf den Ideen des früheren Präsidenten Hugo Chavez basiert und auch von dessen Nachfolger Maduro gepflegt wird.

Oppositionsführerin Maria Corinia Machado (Mitte links) und Präsidentschaftskandidat Edmundo Gonzalez halten am 21.7.2024 bei einer Wahlkampfveranstaltung in der Hauptstadt Caracas gemeinsam eine KerzeBild: Matias Delacroix/AP Photo/picture alliance

Der frühere Diplomat Edmundo Gonzales gilt als politisch gemäßigt. Zum Kandidaten des Oppositionsbündnisses Plataforma Unitaria Democrática wurde er, nachdem einer anderen Kandidatin das passive Wahlrecht entzogen wurde. Maria Corina Machado hatte sich dafür eingesetzt, im Falle eines Wahlsiegs die Menschenrechtsverletzungen der Maduro-Regierung gerichtlich aufarbeiten zu lassen.

Erholung nur bei Machtwechsel denkbar

"Eine Erholung der venezolanischen Wirtschaft ist nur möglich, wenn Maduro die Macht abgibt und eine neue Regierung die Arbeit aufnimmt, die das Privateigentum und die Rechtsstaatlichkeit respektiert", sagt Enderson Sequera vom venezolanischen Institut Politiks, das Beratung und Analysen für Führungskräfte anbietet.

"Ein Sieg Maduros wäre ein unüberwindbares Hindernis für die wirtschaftliche Erholung Venezuelas. Sechs weitere Jahre Maduro bedeuten mehr Armut, eine Verschärfung der komplexen humanitären Notlage und mehr Venezolaner, die das Land verlassen", so Sequera zur DW.

Venezuelas amtierender Präsident Nicolas Maduro bei einer Rede im Parlament am 3.4.2024Bild: Zurimar Campos/AFP

Ein Sieg des Oppositionskandidaten Edmundo Gonzalez würde dagegen die Chance bieten, eine Erholung einzuleiten, internationale Investitionen insbesondere im Bereich Energie und Öl anzuziehen, Hilfsprogramme mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und anderen Organisationen zu verhandeln und eine Stabilisierung der Währung zu erreichen, ist Sequera überzeugt.

Chavismus will Macht nicht aufgeben

Sollte dagegen Maduro die Wahl gewinnen, bestehe zumindest die Möglichkeit, dass er eine größere Legitimation erlange als zuvor, sagt Vladimir Rouvinski von der Universität Icesi in Cali im DW-Gespräch. Das wiederum könnte dazu führen, dass die aktuellen Sanktionen gegen Venezuela gelockert würden.

Zuletzt hatte die US-Regierung Teile der Sanktionen gegen Venezuelas Ölindustrie aufgehoben. Der im Land aktive US-Konzern Chevron hat seine Produktion Ende 2023 um 70 Prozent gesteigert. Im Falle eines Wahlsieges von Maduro könne es sein, dass auch andere Länder beginnen, in Venezuela "eine größere wirtschaftliche Aktivität zu entfalten".

Einen Machtwechsel hält Rouvinski jedenfalls für unwahrscheinlich: "Der Chavismus will die Macht auf keinen Fall aufgeben."

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