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Politik

Kolumbiens Flüchtlingskrise

26. Mai 2018

Friedensprozess oder Flüchtlinge? Am Sonntag wählt Kolumbien einen neuen Präsidenten. Doch im Wahlkampf geht es mehr um den Exodus aus Venezuela, Sicherheit und Sozialpolitik und weniger um die Ex-Kämpfer der FARC.

Venezuela Kolumbien Migration
Bild: Getty Images/AFP/L. Acosta

"Ich bin davon überzeugt, dass die Flüchtlinge aus Venezuela nach den Wahlen das wichtigste innenpolitische Thema werden", sagt Hubert Gehring, Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Bogotá, im DW-Gespräch. Der vor eineinhalb Jahren geschlossene Friedensvertrag sei im aktuellen Wahlkampf nicht das wichtigste Thema.

Beim Rennen zwischen den Präsidentschaftskandidaten geht es um Themen wie Sicherheit, Bildung, Gesundheitsversorgung, Wirtschaft - und um die Flüchtlinge aus dem Nachbarland Venezuela. Mehr als 800.000 Venezolaner halten sich nach Angaben der kolumbianischen Einwanderungsbehörde "Migración Colombia" zurzeit in Kolumbien auf. Insbesondere kurz vor den Wahlen in Venezuela am 20. Mai habe die Zahl der Grenzübertritte noch einmal um 40 Prozent zugenommen.

Willkommen, und was dann?

Kolumbienexperte Gehring zieht eine Parallele zur Entwicklung der Flüchtlingspolitik in Deutschland. "2017 war es in Kolumbien so ähnlich wie 2015 in Deutschland. Es fing mit einer Willkommenskultur an", sagt er. Aber mittlerweile sei eine gewisse Schwelle überschritten.

Für den Experten hängt alles von einer erfolgreichen Integrationspolitik ab. "Ich glaube, es wird eine der ersten Aufgaben des neuen kolumbianischen Präsidenten sein, konkrete praktische Lösungen vor Ort umzusetzen", sagt Gehring. Denn Venezuelas Ober- und Mittelschicht habe das Land schon in den vergangenen Jahren verlassen. "Jetzt kommen die Armen." 

Bohnen, Reis und Maniok - Freiwillige verteile warme Mahlzeiten in einer Unterkunft in der Grenzstadt CucutaBild: picture-alliance/AP Photo/F. Vergara

Bis vor kurzem ging die Migration zwischen den beiden Nachbarländern noch in die entgegengesetzte Richtung. Während des kolumbianischen Bürgerkrieges verließen hunderttausende Kolumbianer ihre Heimat, um im ölreichen Nachbarland gutes Geld zu verdienen. 

Türkei als Vorbild?

Beim Thema Migration könnten die Standpunkte zwischen den beiden aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten kaum unterschiedlicher sein. Der konservative Kandidat Iván Duque, politischer Wegbegleiter von Ex-Präsident Álvaro Uribe und Kandidat von "Centro Democrático", will Kolumbiens mehr als 2000 Kilometer lange grüne Grenze zu Venezuela besser sichern.

Will das Friedensabkommen ändern: Präsidentschaftskandidat Iván Duque vom "Centro Democrático"Bild: Getty Images/R. Arboleda

Der linksliberale Gustavo Petro, ehemaliger Bürgermeister von Bogotá und Kandidat der "Progressiven Bewegung",  plädiert für eine unbürokratische Aufnahme. "In Venezuela herrscht eine Diktatur mit verheerenden Auswirkungen auf die Bevölkerung. Die erste Pflicht der kolumbianischen Regierung besteht darin, den Venezolanern zu helfen", erklärte er gegenüber der Tageszeitung "El País".

Die aktuelle Regierung von Präsident Juan Manuel Santos versucht bereits seit einem Jahr, die Migration aus dem Nachbarland Venezuela zu kontrollieren. Im Mai 2017 schickte Santos seinen Sicherheitsberater Juan Carlos Restrepo in die Türkei, der dort Flüchtlingslager besuchte und sich über das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei informierte.

Von Bogotá nach Quito

Schon jetzt ist klar, dass die Auswirkungen der Krise in Venezuela zu einem Problem der ganzen Region geworden sind. Denn viele Flüchtlinge aus Venezuela reisen von Kolumbien weiter nach Ecuador, Panama, Chile, Peru und Brasilien. Nach offiziellen Angaben sind allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres mehr als 286.000 Venezolaner über die Internationale Brücke von Rumichaca nach Ecuador weitergereist.

Auch für den SPD-Politiker Kurt Beck ist das Thema Flüchtlinge "mit den Händen zu greifen". Der Vorsitzende der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), die in Kolumbien ebenfalls vertreten ist, reiste kürzlich ins Land und informierte sich dort über den Friedensprozess. "Die Flüchtlingskrise ist ein Teil der unendlichen Zerrissenheit  der kolumbianischen Gesellschaft", sagt er im Gespräch mit der DW. "Die Flüchtlinge verschärfen die Probleme von den verarmten Kolumbianern."

Slum in Bogotá: Bisher zeigte sich gerade die arme Bevölkerung hilfsbereit gegenüber den Flüchtlingen aus VenezuelaBild: Getty Images/AFP/R. Arboleda

Trotz der lateinamerikanischen Flüchtlingskrise gehört auch die Zukunft des historischen Friedensabkommens weiter zu den wichtigen Themen des Wahlkampfes. Kritik kommt sowohl von Iván Duque, der mit 37 Prozent die Umfragen anführt, als auch von Gustavo Petro, der zehn Prozentpunkte hinter ihm an zweiter Stelle liegt. 

"Jetzt sind wir dran"

"Ich bin immer wieder gefragt worden, wie Deutschland nach 1945 und nach der Wiedervereinigung der Wiederaufbau gelungen ist", sagt Beck. Es sei deshalb wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen, dass man auch aus einer ganz schwierigen Situation einen Versöhnungsprozess erfolgreich zuendeführen kann", meint er.  

Kandidat der Linken: der ehemalige Untergrundkämpfer und Bürgermeister von Bogotá, Gustavo PetroBild: Getty Images/G. Legaria

Für Herausforderer Petro bedeutet das Ende des Bürgerkrieges noch lange keinen Frieden. "Für einen wirklichen Frieden müssen wir nicht nur mit der Guerilla, sondern mit der ganzen Gesellschaft über Landverteilung, Gesundheitsversorgung, Bildung und Justiz verhandeln", sagte er der kolumbianischen Presse.

Er scheint damit den Nerv der Bevölkerung getroffen zu haben. Viele Kolumbianer wünschten sich mehr Investitionen in soziale Programme, Bildung und Gesundheit, so Hubert Gehring. "Die Kolumbianer sagen, jetzt sind wir dran, und nicht die 8000 Ex-Guerillakämpfer."

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