Katia und Thomas Mann als Eltern
7. Juni 2010
Kind hätte man nicht sein wollen in dieser Familie. Erschreckend lieblos ging es dort zu. Es sei denn, man war witzig und hatte das Zeug zur Selbstdarstellung, so wie die beiden Ältesten Erika und Klaus. Gegen sie hatten die mittleren Kinder, Golo und Monika, keine Chance. Vorbehaltlos willkommen war nur Elisabeth, die Zweitjüngste. Für den Kleinsten, Michael, war danach kein Platz mehr.
Jungen zählten mehr
Die Literaturwissenschaftlerin Andrea Wüstner hat vor allem Selbstzeugnisse der Betroffenen, Briefe und Tagebücher, ausgewertet und sie mit psychoanalytisch geschultem Blick durchforstet. Der Titel ihres Buchs Ich war immer verärgert, wenn ich ein Mädchen bekam beruht auf einer Äußerung Katia Manns. Auch Thomas Mann hatte sich als erstes einen Sohn gewünscht - das war nichts Besonderes in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Er sei enttäuscht, schrieb er seinem Bruder Heinrich nach der Geburt von Erika im November 1905. Katia hingegen war verärgert, wie sie Jahrzehnte später bemerkte. Mit dem Zusatz, sie wisse auch nicht, warum sie über ein Mädchen immer so verärgert gewesen sei.
Andrea Wüstner zeigt, wie ambivalent ihr Verhältnis zu Frauen und zur eigenen Weiblichkeit war. Die aus reichem jüdischen Haus stammende Katia hätte am liebsten mit ihrem Zwillingsbruder Klaus getauscht und wäre selbst gern der Junge gewesen. Die hatten mehr Freiheiten. Heiraten jedenfalls wollte sie nicht. Sie hatte erlebt, wie die Mutter unter ihrem notorisch untreuen Ehemann litt. Warum sie ihre Meinung änderte und dem Werben Thomas Manns nachgab, weiß man nicht. Nur weil sie Kinder haben wollte, wie sie später einmal behauptete?
Zu ihren Töchtern hatte sie ein gebrochenes bis schlechtes Verhältnis. Ihr Liebling war und blieb Klaus. Erika akzeptierte sie, aber weniger als Tochter, sondern vielmehr als Freundin und Vertraute und Brücke zum geliebten Sohn. Monika lehnte sie ab, sie war ihr zu weich und weiblich, und Elisabeth überließ sie Thomas.
Macht und Intrigen
Künstlerisch begabt waren alle Sechs, sie schrieben, malten und musizierten und hatten das Glück, dass die Eltern sie förderten. Allerdings mussten sie sich auch harsche Kritik anhören, wenn sie die hohen Erwartungen nicht erfüllten. Dabei hatten es die Kleineren besonders schwer, weil sie sich auch gegen die Großen, Erika und Klaus, behaupten mussten. Erika legte ihnen noch zusätzlich Steine in den Weg, indem sie die jüngeren Geschwister bei den Eltern anschwärzte und gegen sie intrigierte. Sie kommt bei Andrea Wüstner nicht gut weg. Das gilt auch für Elisabeth Mann-Borgese, Lieblingskind Thomas Manns und beeindruckende Kronzeugin in dem Fernsehvierteiler Die Manns von Heinrich Breloer. Die mit dem 36 Jahre älteren Schriftsteller und Historiker Giuseppe Borgese verheiratete Elisabeth habe nie Partei für die schwächeren Geschwister Monika, Michael und Golo ergriffen, sondern Erika nach dem Mund geredet.
Drogen und Alkohol
Wie viele Kinder berühmter Eltern hatten es auch die künstlerisch begabten Mann-Sprösslinge einerseits leicht, andererseits extrem schwer. Der Name war eine Bürde und schürte überall hohe Erwartungen. Darunter haben alle mehr oder minder gelitten. Schaut man sich die Lebensläufe der Mann-Kinder an, so erschreckt der selbstzerstörerische Konsum von Alkohol, Tabletten und harten Drogen, und das über Jahre. Bis auf Elisabeth waren alle suizidgefährdet, nicht nur Klaus, der sich 1949 das Leben nahm. Katia und Thomas Mann nahmen das hin, aber sie scheinen sich nie die Frage gestellt zu haben, warum ihre Kinder so labil sind. Und warum sie Zeit ihres Lebens so abhängig vom Elternhaus blieben. Selbst als Erwachsene lwohnten sie teilweise noch bei den Eltern, Erika zog später sogar ganz zu ihnen.
Andrea Wüstner führt manches zu einseitig auf die innerpsychischen Konflikte zwischen den Eltern und ihren Kindern zurück. Die Manns waren von der Machtübernahme Hitlers 1933 auf vielfältige Weise betroffen: als Juden, sogenannte Halbjuden, Künstler, Homosexuelle und kritische Intellektuelle. Verfolgung, Flucht und Exil überschatteten die Familienbeziehungen, prägten und vergifteten sie. Die Manns waren zwar privilegiert und litten materiell keine Not, künstlerisch aber durch die Nationalsozialisten gefesselt. Unter anderen Umständen hätten sich diese begabten Kinder anders entwickeln können.
Autorin: Heide Soltau
Redaktion: Gabriela Schaaf
Andrea Wüstner: Ich war immer verärgert, wenn ich ein Mädchen bekam. Die Eltern Katia und Thomas Mann. Piper Verlag. 378 Seiten. 19,95 Euro.