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Politik

Kinderarbeit: Verbieten reicht nicht

Silja Fröhlich
12. Juni 2019

Haushaltshilfen, Plantagenarbeit, Prostitution: Viele Kinder in Afrika müssen arbeiten - und werden so um ihre Kindheit gebracht. Die meisten sind im Grundschulalter. Experten warnen: Verbote allein werden nicht helfen.

Afrika Menschenhandel Kinderarbeit Symbolbild Mädchen arbeitet in Abidjan
Bild: picture-alliance/AFP/J.-P. Ksiazek

Fatoumata war erst zwölf Jahre alt, als sie ihr Dorf in Mali verließ, um in der Stadt nach Arbeit zu suchen. Für ihre Eltern hatte Bildung keine Priorität, stattdessen hieß es nun: Frühmorgens aufstehen, um für eine fremde Familie zu spülen, das Frühstück zu machen und die Kinder zur Schule zu bringen. Die Arbeit einer Mutter oder eines Vaters, durchgeführt von einem Kind. "Seit vier Jahren mache ich diese Arbeit. In den verschiedenen Familien, in denen ich arbeitete, gab es oft nicht genug zu essen und keinen guten Schlafplatz für mich, ich wurde von meinen Arbeitgebern beleidigt", erzählt die heute 16-jährige Fatoumata. "Um mein Gehalt von bis zu 10.000 CFA-Francs (15,25€, Anm. d. Red.) zu erhalten, musste ich alle Schmerzen der Welt ertragen. Manchmal ging ich mit leeren Händen zu meinen Eltern ins Dorf zurück."

Fatoumata ist kein Einzelfall. Überall auf der Welt müssen Kinder unter Zwang teils lebensbedrohliche Arbeiten verrichten, die ihre Gesundheit, Sicherheit und moralische Entwicklung gefährden. In Subsahara-Afrika ist die Zahl der Kinder, die arbeiten müssen, so hoch wie sonst nirgendwo in der Welt. Ein Fünftel aller afrikanischer Kinder, ca. 72,1 Millionen, sind betroffen. (Zum Vergleich: In Europa leben insgesamt knapp 80 Millionen Kinder.) Über die Hälfte von ihnen sind noch unter elf Jahren, was Afrikas Kinder zu den durchschnittlich jüngsten Kinderarbeitern der Welt macht.

Zwangsarbeit, Prostitution, Goldminen

Kinderarbeit hat viele Gesichter. "Dazu gehören auch gefährliche, ausbeuterische oder körperlich zu anstrengende Arbeiten", erklärt Ninja Charbonneau vom Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, UNICEF. "Zwangsarbeit, Prostitution und die Arbeit in Goldminen sind nur einige Beispiele." Die meisten der Kinder in Afrika arbeiten in der Agrarwirtschaft und Viehhaltung, rund acht Millionen Kinder arbeiten wie Fatoumata im Dienstleistungssektor und knapp drei Millionen in der Industrie. Häufig ist Kinderarbeit unbezahlt, die meisten arbeiten in kleinen Familienbetrieben.

"Der Schaden, den die Kinder davontragen, ist gewaltig, es bedeutet ein Ende ihrer Kindheit", sagt Charbonneau. "Die Kinder können nicht normal und unbeschwert aufwachsen, so wie das eigentlich ihr Recht ist. Häufig führt das dazu, dass sie nicht zur Schule gehen. Und damit verfestigt sich dieser Teufelskreis." Denn ohne Bildung kämen die Kinder später schlechter an gut bezahlte Jobs. "Dadurch haben sie dann geringere Chancen, aus der Armut herauszukommen, und das setzt sich dann über Generationen so fort."

Mindestarbeitsalter von 15 Jahren

Wie Fatoumata verlassen Tausende von jungen Mädchen in Mali ihre Heimat, um in die großen Städte zu gehen. Das erklärt Diallo Assitan Fofana, Vorsitzender des Vereins zur Förderung und zum Schutz der Arbeitsrechte von Frauen und Kindern in Mali. "Es sind Arbeitsmigrantinnen, die in den Haushalten der Großstädte arbeiten, um ihren Eltern in den Dörfern zu helfen und sich selbst zu versorgen. Viele von ihnen sind minderjährig, waren nicht in der Schule oder haben sie abgebrochen."  Weltweit schreibt die Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) ein Mindestarbeitsalter von 15 Jahren vor. Doch die internationale Norm wird oft nur teilweise in nationales Recht umgesetzt. So gilt in Botswana, Eritrea, Kenia, Nigeria oder auch Uganda der Mindestaltersschutz nicht für Kinder außerhalb formaler Arbeitsbeziehungen.

Afrikas Kampf gegen Kinderarbeit scheint zu stagnieren: Laut UNICEF-Erhebungen hat die Zahl der Fälle von 2012 bis 2016 zugenommen - trotz gezielter Maßnahmen afrikanischer Regierungen. "Viele Faktoren spielen hier eine Rolle", sagt Charbonneau, "doch es ist vor allem die wirtschaftlich schleppende Entwicklung von vielen Ländern in Subsahara-Afrika. Ein anderer Faktor sind Konflikte. In Konfliktländern beobachten wir, dass der Anteil der Kinder, die arbeiten müssen, meist zunimmt." Ob in Mali, Somalia oder im Sudan: Die wachsende Armut zwinge Kinder dazu, zu helfen, den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. "Familien werden vertrieben und haben nicht mehr ihr normales Einkommen, oder der Hauptverdiener wurde getötet oder vom Rest der Familie getrennt."

Konflikte und eine schlechte Wirtschaftslage begünstigen Kinderarbeit: Coltanmine im OstkongoBild: DW

Bildung und faire Arbeitsbedingungen

Bis 2025 haben sich die Vereinten Nationen verpflichtet, Kinderarbeit zu beenden. "Doch es ist klar, dass wir da im Moment noch nicht schnell genug sind", so Charbonneau. Und mit Gesetzesänderungen alleine sei es nicht getan: "Kinderarbeit generell zu verbieten, reicht nicht. Wenn die Familie auf das Einkommen angewiesen ist und sonst vor dem Nichts steht, dann hat man ihr vielleicht erst einmal keinen Gefallen damit getan." Stattdessen müssten das ganze Umfeld und die generellen Arbeitsbedingungen verändert werden.

Charbonneau nennt dafür vier Ansätze: "Das Erste ist, eine wirksame Gesetzgebung zu schaffen, um Kinderarbeit in der schwersten Form zu verbieten, und dieses Verbot auch durchzusetzen." Zweitens müssten sich die Umstände für die Familien als Ganze verbessern: "Beispielsweise muss es eine soziale Absicherung geben für den Fall, dass beide Elternteile arbeitslos sind. Eltern brauchen faire Job-Möglichkeiten und faire Bezahlung, damit die Kinder gar nicht erst arbeiten müssen." Für die Kinder müsse es zudem kostenfreie und qualitative Bildungsangebote geben, damit sie in der Schule blieben.

Drittens gehe es um ein gesellschaftliches Umdenken, so Charbonneau: "Man muss darauf aufmerksam machen, dass Kinderarbeit weiterhin ein Problem ist und dass sie für die Entwicklung der Kinder schädlich ist. Und das Vierte ist, dass auch Unternehmen einen großen und wichtigen Beitrag leisten müssen, und das stärker als bisher." 

Schwere körperliche Arbeit müsse als Erstes wirkungsvoll abgeschafft werden, heißt es bei UNICEFBild: HRW/Justin Purefoy

Kleine Fortschritte auf nationaler Ebene

Doch es gebe auch Fortschritte, sagt Ariane Genthon. Sie arbeitet bei der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) als Programmbeauftragte für Kinderarbeit in der Landwirtschaft. "Immer mehr Regierungen und Branchen in der Landwirtschaft ergreifen Maßnahmen, um das Problem der Kinderarbeit in der Landwirtschaft anzugehen", sagt Genthon. "Aber das ist ein komplexes Problem. Und deshalb kann es nicht mit Einzelmaßnahmen gelöst werden, oder nur von einem Staat. Es bedarf koordinierter Anstrengungen, um Kinderarbeit zu bekämpfen."

Immerhin: Länder wie die Elfenbeinküste, Mali und Ruanda haben bereits gesetzlich den Arbeitsschutz für Kinder verstärkt, andere Regierungen haben neue Ausschüsse oder Arbeitsgruppen berufen. So rief im Jahr 2017 das gambische Sozialministerium einen Nationalen Koordinierungsausschuss für Kinderarbeit ins Leben. In Benin organisierte eine neue Arbeitsgruppe der Regierung zur Bekämpfung des Menschenhandels einen Workshop, um eine nationale Politik zur Bekämpfung des Menschenhandels, einen Aktionsplan und Leitlinien für die Datenerhebung zu erarbeiten. Und Mali erhöhte das Mindestalter für die Arbeit auf 15 Jahre und erweiterte die Liste der für Kinder verbotenen gefährlichen Berufe oder Tätigkeiten.

Mitarbeit: Mahamadou Kane

Silja Fröhlich Redakteurin, Reporterin und Moderatorin
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