Mehr als zwei Jahrzehnte lang haben vier Witwen dafür gekämpft, von einem Gericht angehört zu werden. In Den Haag berichteten die Frauen nun von den Hinrichtungen ihrer Männer - und was Shell damit zu tun haben soll.
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Der britisch-niederländische Ölmulti Shell muss sich in den Niederlanden wegen Menschenrechtsverbrechen in Nigeria verantworten. Vier Witwen des Volkes der Ogoni werfen dem Konzern vor, die nigerianische Militärregierung in den 90er Jahren bei der Verhaftung und Ermordung ihrer Männer unterstützt zu haben. "Über Jahre hat Shell dafür gekämpft, dass dieser Fall nicht vor Gericht verhandelt wird", sagte die Klägerin Esther Kiobel laut Amnesty International. Die Menschenrechtsorganisation unterstützt die Frauen.
Die Ogoni hatten im Niger-Delta gegen die Verschmutzung ihres Lebensraumes durch die Ölförderung gekämpft. Der Protest wurde von Diktator Sani Abacha 1995 blutig niedergeschlagen. Shell, das seinen Firmensitz in den Niederlanden hat, hatte enge Verbindungen zur Militärdiktatur. "Die Frauen sind davon überzeugt, dass ihre Männer noch lebten, hätte Shell nicht so schamlos seine eigenen Interessen vorangetrieben und damit die nigerianische Regierung zu der blutigen Niederschlagung der Proteste ermutigt", sagt Amnesty-Experte Mark Dummett.
Keine Visa für zwei Klägerinnen
Mehr als zwei Jahrzehnte dauere der Rechtsstreit inzwischen, doch erst jetzt könnten die Frauen vor einem Richter von ihren Erlebnissen berichten, betont Amnesty. Die Klägerinnen wollen die Komplizenschaft des Unternehmens an der Hinrichtung ihrer Ehemänner nachweisen und eine Entschuldigung sowie Entschädigungen erstreiten. In der Klageschrift wird Shell der Mittäterschaft an der ungesetzlichen Verhaftung und Hinrichtung von neun Männern bezichtigt. Die sogenannten Ogoni Nine, darunter Barinem Kiobel und der Autor Ken Saro-Wiwa, wurden wegen ihres Protests am 10. November 1995 gehängt.
Die Klage gegen Shell wurde im Juni 2017 von Esther Kiobel und drei weiteren Frauen bei einem Zivilgericht in Den Haag eingereicht. Das Unternehmen sorgte immer wieder für Verzögerungen und bemühte sich, einen Prozess abzuwenden: Shell habe "keine Rolle bei der Verhaftung, dem Prozess und der Hinrichtung dieser Männer gespielt". Esther Kiobel musste 1998 aus Nigeria fliehen und lebt heute in den USA. Zwei der Klägerinnen konnten nicht am Prozessauftakt in Den Haag teilnehmen, weil sie keine Visa erhielten.
Im Niger-Delta wird seit den 50er Jahren Öl gefördert. Sümpfe und Flussarme sind verseucht. Die Lebensbedingungen des dort ansässigen Ogoni-Volkes wurden nachhaltig beeinträchtigt. Bis heute ist das Trinkwasser mit Öl verschmutzt und Landwirtschaft durch Öllachen auf den Böden unmöglich. Der Ölkonzern Shell wehrt sich nach wie vor, dafür die Verantwortung zu übernehmen.
rb/qu (afp, ap, epd)
Ogoniland - Alltag mit der Ölpest
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Bild: Katrin Gänsler
Vergeblicher Fischfang
Einst hat das Dorf Bodo in Nigeria vom Fischfang gelebt. Seit 2008 und 2009 im Nigerdelta Öl aus Shell-Pipelines ausgetreten ist, bleiben die Netze der Fischer leer. Wer heute noch vom Fischen leben will, muss raus aufs Meer fahren. Das bedeutet: längere Arbeitszeiten und höhere Kosten.
Bild: Katrin Gänsler
Abhängig vom Wasser
Bodo liegt in der Region Ogoniland im Niger-Delta, im äußersten Südosten des Landes. Wie hier sind die meisten Flussarme des Nigers vom Öl verseucht. Und dabei haben die Menschen immer auf und mit dem Wasser gelebt. Auch heute noch sind viele Dörfer nur mit Booten erreichbar.
Bild: Katrin Gänsler
Ölschlieren überall
Mit dem ausgetretenen Öl in Bodo und anderen Teilen von Ogoniland hat sich auch das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) befasst. In einem 2011 veröffentlichten Bericht hat es empfohlen: Regierung und Ölfirmen sollen eine Milliarde US-Dollar für Säuberungsarbeiten zur Verfügung stellen. Bisher sind die Ölschlieren, die auf dem Wasser glänzen, jedoch geblieben.
Bild: Katrin Gänsler
Die Umwelt interessiert in Nigeria nicht
Saint Emmah Pii, Chef von Bodo, ist sauer. "Wir verrecken hier noch alle. Wir trinken verschmutztes Wasser. Wir atmen giftige Dämpfe ein. Das Öl ist schuld". Doch außerhalb von Bodo scheint das niemanden zu kümmern. "Bisher haben sich weder die Regierung in Abuja, noch die multinationalen Konzerne für unsere Probleme interessiert", klagt der Dorfchef.
Bild: Katrin Gänsler
Nichts geht ohne das schwarze Gold
Nigeria ist seit Beginn der Ölförderung im Jahr 1958 zum achtgrößten Ölexporteur der Welt aufgestiegen. Damit ist der Staat massiv abhängig vom schwarzen Gold, aus dem 90 Prozent der Exporterlöse stammen. Pipelines wie diese im Bundesstaat Rivers müssen deshalb geduldet werden.
Bild: Katrin Gänsler
Im Schatten der Gasflamme
Überall im Niger-Delta tauchen plötzlich lodernde Flammen wie diese auf – ganz egal, ob das nächste Dorf nur ein paar hundert Meter entfernt ist. Dabei ist das Abfackeln von Gas bereits seit 1984 offiziell verboten. Doch auch 28 Jahre später kümmert sich niemand um die Einhaltung des Gesetzes.
Bild: Katrin Gänsler
Reich und trotzdem arm
Chukwuma Samuel zeigt wütend auf die meterhohe Flamme, mit der er und das ganze Dorf in der Nähe der Kleinstadt Egbema leben müssen. "Schaut euch die Menschen hier an. Sie sind verärgert", sagt er und deutet auf den kleinen Markt, vor dem er steht. "Wir leiden hier. Wir müssen uns durchschlagen. Vom Ölreichtum bleibt für uns nichts übrig".
Bild: Katrin Gänsler
Die Menschen sollen entscheiden
Dass sie sich nicht um die Menschen kümmern, hören die Ölfirmen nicht gerne. Der Shell-Konzern wirbt deshalb mit seinem Programm GMoU, dem "Global Memorandum of Understanding": Kommunen erhalten Geld und sollen selbst entscheiden, was sie damit machen. In Port Harcourt ist so die Obio Cottage Frauenklinik erneuert worden. Auf Nachfrage lobt jede einzelne Patientin das Engagement von Shell.
Bild: Katrin Gänsler
Keine Unterstützung in Bodo
Doch ausgerechnet in Bodo gibt es keinerlei Unterstützung, kritisiert Kentebe Ebiaridor von der Umweltschutzorganisation Environmental Rights Action (ERA). Das durch und durch mit Öl verdreckte Ufer sei der beste Beweis dafür. "Die Menschen fühlen sich im Stich gelassen", sagt er.
Bild: Katrin Gänsler
Billiges Benzin der Regierung
Dass Nigeria ein Ölland ist, merken Nigerianer nur an den staatlich subventionierten Benzinpreisen. Bis Ende 2011 kostete der Liter 65 Naira (32 Euro-Cent). Anfang 2012 stoppte die Regierung jedoch einen Teil der Subventionen. Nach wochenlangen Protesten liegt der Liter heute bei 97 Naira (50 Euro-Cent).
Bild: Katrin Gänsler
Traum von einem kleinen Laden
Franziska Zabbey hat nichts vom günstigen Benzinpreis. Sie lebt von der Landwirtschaft und verlässt Bodo nur selten. Die Arbeit wirft kaum genügend Geld zum Überleben ab. "Wenn Shell uns nach der Ölhavarie eine Kompensation zahlen würde, könnte ich einen kleinen Laden aufmachen", hofft sie. Alles andere hätte in Bodo kaum eine Zukunft.
Bild: Katrin Gänsler
Einmal Fischer - immer Fischer
Obwohl ein Leben vom Fischfang kaum noch möglich ist, werden in Bodo die Fischerboote in Schuss gehalten. Wann sie wieder richtig zum Einsatz kommen, ist allerdings ungewiss. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass es 25 bis 30 Jahre dauern wird, bis das Ogoniland vom Öl gesäubert worden ist.