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PolitikEuropa

"Rachepornografie" in Serbien: Ein Verbrechen ohne Strafe

Iva Manojlovic (Belgrad)
29. Oktober 2024

Private Sex-Fotos und Filme werden ohne Zustimmung der Abgebildeten per Messenger und Social Media geteilt. Der serbische Staat schaut weg, weite Teile der Gesellschaft halten die Opfer zumindest für mitschuldig.

Eine männliche Hand hält ein Smartphone, auf dem das verpixelte Bild einer Frau in Reizwäsche zu sehen ist, die andere Hand berührt die Touchscreen des Geräts
Ein explizit sexuelles Foto wird per Smartphone-Messenger verschickt (Symbolbild)Bild: Jean François Ottonello/picture alliance/dpa/MAXPPP

Sogenannte Rachepornografie wird in Serbien immer häufiger. Es geht um das Teilen eigentlich privater explizit sexueller Fotos und Filme per Messenger oder auf Social Media-Plattformen - ohne Zustimmung der abgebildeten Person. Hinzu kommen mit Deepfake-Künstlicher Intelligenz generierte Inhalte, die etwa real existierende Menschen bei sexuellen Handlungen zeigen, die nie stattgefunden haben.

Eine dreimonatige Untersuchungvon Telegram-Gruppen in Serbien zeigt, dass dort täglich zehntausende User Inzest-, Kinder- und Rachepornografie-Inhalte untereinander austauschen. Die Recherche wurde vom Verein "OsnaŽena"- der Name vermischt die serbischen Begriffe "Frau" und "stärken" - im Sommer 2024 veröffentlicht.

Die Täter sind oft Ex-Partner, die Bilder und Filme aus vergangenen Beziehungen verbreiten. Die pornographischen Inhalte können aber auch durch das Hacken von Computern, Telefonen oder Social-Media-Konten erlangt worden sein. Ziel ist es, den Opfern im wirklichen Leben Schaden zuzufügen. Betroffen sind laut Europäischem Institut für Gleichstellungsfragen zu 90 Prozent Mädchen und Frauen.

Die illegale Verbreitung und der Verkauf von Rachepornografie verletzen nicht nur die Intimität der Opfer. Diese Form des Cybermobbing beschmutzt zudem ihr öffentliches Ansehen und ihre Würde und kann weitreichende Folgen für ihre psychische und physische Gesundheit haben. "Trotzdem gibt die Mehrheit der serbischen Gesellschaft den Opfern die Schuld daran, dass sie auf pornografischen Fotos und Videos erscheinen", sagt Nikolina Tomasevic von OsnaŽena der DW.

Nikolina Tomasevic ist Mitarbeiterin der NGO "OsnaŽena"Bild: OsnaŽena

"Für viele Leute verdienen nur Mädchen Mitgefühl, die von Kopf bis Fuß bekleidet in die Kirche gehen", so Tomasevic. "Wenn sie hingegen kurze Röcke tragen, provozieren sie in den Augen Vieler die Täter erst zu ihren Untaten. Sie haben es also verdient, Opfer zu werden."

"Schon der Begriff Rachepornografie impliziert, dass die betroffene Frau etwas getan haben muss, für das sich der Täter nun an ihr rächt", erklärt Sanja Pavlovic vom Autonomen Frauenzentrum (AZC) in der serbischen Hauptstadt Belgrad. "Das bedeutet, dass zumindest ein Teil der Verantwortung bei ihr liegt."

Sanja Pavlovic arbeitet für das Autonome Frauenzentrum (AZC) BelgradBild: Autonomni zenski centar

Anfang 2024 forderten Mitglieder des Autonomen Frauenzentrums mit der Petition "Schwör auf das Gesetz" die Institutionen auf, Rachepornografie als Straftatbestand in das serbische Strafgesetzbuch aufzunehmen - wie das in den Nachbarländern Kroatien und Montenegro bereits der Fall ist. In weniger als einem Monat sammelten sie mehr als 20.000 Unterschriften - was zeigt, dass zumindest ein Teil der serbischen Gesellschaft das Problem sieht und politische Maßnahmen fordert.

"Unterschrieben haben vor allem junge Mädchen, Gymnasiastinnen, Studentinnen - Angehörige einer neuen Generation, die nicht einfach still leiden will", so Pavlovic. "Unterstützung kam aber auch von Frauen, die diese Art von Gewalt selbst erlebt haben, sowie von jungen Eltern vor allem von Töchtern, die erkennen, wie die Welt ist, in der ihre Kinder aufwachsen, und sich Veränderung wünschen."

Frauen als Wesen ohne eigene Sexualität

Viele andere Serbinnen und Serben aber wältzen die Verantwortung weiter auf die Mädchen und Frauen ab, die Opfer von Rachepornografie und anderen Formen des Cybermobbings geworden seien, so die Expertin. "Oft hören wir solche Aussagen von Männern, die immer noch glauben, dass eine Frau kein Wesen mit einer eigenen Sexualität sei, sondern für die Bedürfnisse der Männer zur Verfügung stehen sollte."

Die Ergebnisse ihrer Untersuchung haben die Mitglieder von OsnaŽena schon vor Monaten an die für Cyber-Kriminalität zuständige Staatsanwaltschaft übergeben - bisher ohne Resultat. "Die Institutionen sind träge, in Vorurteilen verwurzelt und bestehen aus Menschen, die selbst Teil einer Gesellschaft sind, die in patriarchalischen Mustern lebt", erklärt Nikolina Tomasevic. Sie sieht die Gefahr, dass die serbische Gesellschaft aufgrund der mangelnden Reaktion der Institutionen "beginnt, derartiges Verhalten zu normalisieren".

Es braucht einen Wandel im Diskurs über Sexualität

Sanja Pavlovic fordert eine Veränderung der passiven, wenn nicht gar akzeptierenden Haltung gegenüber Rachepornografie und Cybermobbing in Serbien. Dazu bedürfe es staatlicher Maßnahmen wie ein Verbot, das auch angewandt werden müsse: "Es ist sinnlos, ein Gesetz zu haben, das nicht genutzt wird." Schlimm sei auch, wenn Frauen, die eine Tat meldeten, mit Spott, Beleidigungen und Unglauben konfrontiert würden.

"Die serbische Gesellschaft braucht einen Wandel im Diskurs über Sexualität, über Begriffe wie Einverständnis, Lust, Geschlechterrollen und andere Stereotype", fasst Pavlovic zusammen. Diese Themen müssten durch das Bildungssystem zeitgemäß und altersgerecht angegangen werden. "Ich denke, dass nur das zu einer neuen Generation führen kann, die sich der Frauen bewusster ist und sie mehr respektiert."

Adaption aus dem Serbischen: Rüdiger Rossig

Was tun gegen Rachepornos?

03:15

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