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Gesellschaft

Onlinehilfe bei Radikalisierungsverdacht

Daniel Heinrich
9. Januar 2019

Die Türkische Gemeinde in Deutschland möchte Betroffenen beim Kampf gegen religiösen Extremismus helfen. Experten loben das Projekt, vor allem in Abgrenzung zum Verhalten einiger Islamverbände.

Mevlana-Moschee  in Berlin
Bild: picture alliance/dpa/C. Soeder

Der Stolz auf das Vorhaben ist Nevin Uca regelrecht anzuhören. Uca ist die Projektleiterin von "emel", einem Online-Beratungsangebot der Türkischen Gemeinde Deutschlands (TGD). Die TGD versteht sich seit ihrer Gründung 1995 als bundesweite Interessenvertretung türkeistämmiger Menschen in Deutschland. Das Projekt, das am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde, sagt religiös begründetem Extremismus den Kampf an. Im Gespräch mit der Deutschen Welle skizziert Uca die zugrunde liegende Idee. "Wir möchten Eltern oder anderen Familienangehörigen, aber auch Lehrern und Pädagogen, die sich von religiösem Extremismus in ihrer Umgebung betroffen fühlen, eine Beratung anbieten." Zwar gebe es schon persönliche oder telefonische Beratungsstellen, eine Online-Beratung, so Uca, sei allerdings europaweit bisher "einmalig".

Insgesamt stehen vier ausgebildete Online-Berater und zwei Mentoren bereit. Die Ratsuchenden können sich kostenlos entweder per E-Mail oder Chat in Türkisch, Arabisch und Deutsch an die TGD wenden. Die Beratung erfolgt anonym, allerdings muss man sich zu Beginn auf der Online-Plattform registrieren.

Abdel-Hakim Ourghi ist Islamwissenschaftler und Religionspädagoge. Seit 2011 leitet er den Fachbereich Islamische Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg. Im Gespräch mit der DW zeigt sich der 51-Jährige von dem Projekt sehr angetan: "Ich finde eine solche Plattform sehr sinnvoll, weil dort Betroffene, in erster Linie Muslime, von Muslimen betreut werden. Das schafft Vertrauen bei Eltern, bei Jugendlichen - eigentlich im gesamten Umfeld. Es muss darum gehen, in der eigenen Gemeinde die Politisierung des Islam zu kritisieren. Solche Projekte können in jedem Fall die Aufklärung gegen religiösen Extremismus ergänzen."

Islamverbände in der Kritik

Ourghis Zustimmung für das Projekt der TGD liegt auch am Verhalten einiger muslimischer Verbände in Deutschland. Er streicht allen voran die DITIB als Negativbeispiel hervor. Erst in der vergangenen Woche hatte Deutschlands größter Moscheen-Dachverband, in Zusammenarbeit mit dem türkischen Religionsamt Diyanet, in Köln zu einem Treffen europäischer Muslime geladen. Pressevertreter waren nicht eingeladen. Unter den rund 100 Teilnehmern aus 17 Ländern waren auch Vertreter der Muslimbruderschaft. Diese wird aufgrund ihrer radikalen Haltung vom Verfassungsschutz beobachtet. In einer Schlusserklärung hatte die Konferenz Forderungen nach einer Anpassung von Muslimen an europäische Gesellschaften eine Absage erteilt. Konzepte wie ein "deutscher Islam" stünden im Widerspruch zur universalen Lehre des Islam.

Abdel-Hakim Ourghi ist Islamwissenschaftler und Religionspädagoge in Freiburg. Er übt Kritik an einigen IslamverbändenBild: Privat

Pressevertreter waren nicht eingeladen worden. Abdel-Hakim Ourghi sieht im intransparenten Verhalten der Verbände ein Grundproblem: "Bei allen etablierten islamischen Dachverbänden in Deutschland gibt es Nachholbedarf. Es geht darum, dass man nicht innerhalb der Gemeinden auf Arabisch oder Türkisch einen konservativen Islam predigt, und in der Öffentlichkeit auf Deutsch einen gemäßigten Islam vertritt. Diese kulturelle Dualität schafft mehr Probleme als Lösungen anzubieten."

Türkische Gemeinde setzt auf Dialog

Auch bei der Türkischen Gemeinde sieht man Einflussnahme aus dem Ausland, beispielsweise aus der Türkei, kritisch. Von einem theologischen Ansatz möchte man sich auch beim neuen Projekt "emel" dezidiert abgrenzen, betont Nevin Uca im Gespräch mit der DW: "Wir möchten keine religiöse, sondern eine psychosoziale Beratung anbieten und setzen daher sehr stark auf Dialog und Kommunikation der Betroffenen. Mal angenommen, ein Vater schreibt uns, dass er sich Sorgen um seinen Sohn macht. Dieser würde sich im Internet immer komische Videos ansehen und er hat Angst, dass der Sohn in ein radikal islamistisches Umfeld abrutschen könne. In dem Fall würde es uns darum gehen, erst einmal die persönliche Beziehung zwischen Vater und Sohn wieder zu stärken." Durch die gegebene Anonymität erhofft sie sich, dass es "beispielsweise einer türkischen Mutter leichter fällt, sich zu öffnen, von den Sorgen zu erzählen, dass sich ihr Sohn gerade radikalisiert". Das würde sie, so Uca, unter anderen Umständen "vielleicht aus Scham" nicht tun.

Volles Haus beim Erdogan-Besuch im Herbst 2018: Zentralmoschee der DITIB in KölnBild: Reuters/W. Rattay

Das Projekt, das von der EU und vom Bundesinnenministerium im Rahmen des Programms "Demokratie leben!" finanziert ist, ist zunächst auf zwei Jahre angesetzt.

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